Schul-Lockdown in Hamburg: Kein Laptop? Bußgeld!
Ein Schüler soll Bußgeld für Fehltage zahlen, an denen die Schulen bereits geschlossen waren. Fürs Onlinelernen hatte er nur ein Smartphone.
Nun ist in Hamburg tatsächlich nur der Präsenzunterricht ausgesetzt. Das heißt: Die Schule findet weiter statt, in den meisten Fällen per Fernunterricht am Computer. Nur soll der betreffende Schüler nach taz-Information weder Laptop noch Tablet besitzen, sondern nur ein Smartphone, auf dem Lernprogramme wie Iserv schlecht laufen. Ein Leihgerät der Schule bekam er nicht.
Hamburg hat zwar rund 62.000 Leihgeräte, doch ist das zu wenig bei über 200.000 Schülern. Weil das endlich erkannt wurde, dürfen seit einem Behördenbrief vom 24. Februar die Schulen ihren Schülern eine Bescheinigung ausstellen, mit der sie oder ihre Eltern – sofern sie Sozialleistungen beziehen – beim Jobcenter 350 Euro für ein digitales Endgerät beantragen können. Nur bezieht sich die Bußgeldandrohung im obigen Fall, den wir aus Rücksicht auf das Kind anonymisieren, auf die Zeit davor.
Die taz fragte die Schulbehörde, wie oft es vorkam, dass seit Beginn des Jahres 2021 Schulen bei der Rechtsabteilung einen Antrag auf Bußgeld wegen Schulabsentismus stellten. Und wir fragten, wie oft die Behörde dann tatsächlich so ein Bußgeld –das in der Regel bei 125 Euro beginnt – trotz Lockdown verhängte.
Über 800 Bußgelder im Jahr 2018
In der Antwort wich die Behörde aus. „Statistische Auswertungen“ dazu lägen nicht vor. Sprecher Peter Albrecht erklärt, ein Bußgeld sei „immer nur Ultima Ratio“ und stehe am Ende einer Kette von pädagogischen Maßnahmen. Der „Distanzunterricht“ bestehe aus analogen und digitalen Teilen. Und mit einem Webbrowser, der die Darstellung an die Bildschirmgröße anpasse, könne man auch per Smartphone am Digitalunterricht teilnehmen.
Allerdings hat die Hamburger Schulbehörde solche Bußgelder, die bei Nichtzahlung sogar zu Arrest führen können, schon in Nichtcoronazeiten häufig verhängt, allein im Jahr 2018 an den Stadteilschulen 839-mal, wie eine Linken-Anfrage ergab. Und in der aktuellen „Handreichung zum Umgang mit Schulpflichtverletzungen“ werden Schulen ermuntert, sie sollten sich „nicht scheuen, die Unterstützung durch die Rechtsabteilung in Anspruch zu nehmen“. Neben Bußgeld sei vom Gesetz her auch ein Zwangsgeld oder zwangsweise Zuführung möglich. Der Einsatz dieser Instrumente könne „jederzeit erfolgen“ und müsse „nicht unbedingt erst am Ende der Eskalationsstufe stehen“.
Die Linken-Schulpolitikerin Sabine Boeddinghaus sagt indes, ein Bußgeld habe bei Schulabsentismus nichts mit klugem pädagogischen Handeln zu tun. „Zu dieser restriktiven Maßnahme nun aber in Zeiten der Pandemie zu greifen, zeugt davon, wie sehr die Bedürfnisse der jungen Menschen in Wahrheit aus dem Blick geraten sind.“ Boeddinghaus will nun eine Anfrage stellen, um zu erfahren, wie oft es im Lockdown Bußgeld gab.
„Absentismus ist gerade ein riesiges Problem“, sagt der Sozialarbeiter Yama Waziri vom Verein „First Contact“. „Viele Schüler entwickeln einen ganz anderen Rhythmus, sind nachts bis vier, fünf Uhr wach und schlafen bis mittags.“ Gerade Kinder aus Unterkünften von Geflüchteten aber auch aus anderen migrantischen Familien verlören den Anschluss und bräuchten dringend Lernzeit. „Früher gab es sechs bis acht Stunden Schule am Tag. Das können 90 Minuten Online-Unterricht nicht ersetzen.“
Wichtig sei deshalb aufsuchende Hilfe, sagt der Sozialarbeiter, der in Quartieren wie Mümmelmannsberg arbeitet. Den Eltern Bußgeld anzudrohen, ergebe keinen Sinn. „Viele Familien können keine 125 Euro bezahlen“, sagt Waziri. „Sie sind nicht in der Lage, ihren Kindern den Zugang zum digitalen Lernen zu ermöglichen und können das Problem gar nicht alleine lösen.“
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