Schnellere Abschiebungen: Regierung lügt sich Realität schön
Die Bundesregierung will die Maghrebländer zu sicheren Herkunftsstaaten erklären. Doch Homosexualität ist in diesen Ländern strafbar.
Doch dieses Versprechen gilt nicht für ausländische Homosexuelle, die besonderen Schutz brauchen. Schwule und Lesben aus nordafrikanischen Staaten, die in ihrer Heimat Strafverfolgung fürchten müssen, zeigt die Bundesregierung ein anderes, kaltes Gesicht. Das belegt das Gesetz, mit dem die Koalition Algerien, Marokko und Tunesien zu sicheren Herkunftsstaaten erklären will. Der Entwurf wird im Moment im Bundestag und im Bundesrat beraten.
In allen drei Staaten ist Homosexualität laut Gesetz strafbar. Schwule oder Lesben, die erwischt werden, können ins Gefängnis wandern. Menschenrechtsorganisationen haben Fälle von Folter dokumentiert, zum Beispiel kam es zu „analen Untersuchungen“ im Gefängnis – gegen den Willen der Inhaftierten. Beispiel Algerien: Dort müssen Schwule und Lesben mit einer Freiheitsstrafe von bis zu zwei Jahren oder einer Geldstrafe rechnen. Für die Erregung öffentlichen Ärgernisses „gegen die Natur mit Personen des gleichen Geschlechts“ gibt es bis zu drei Jahre Haft.
Wie lassen sich Schnellabschiebungen von Homosexuellen in einen solchen Staat rechtfertigen? Die Regierung greift zu einem abenteuerlichen Argument. In einer Antwort an den Bundesrat, der Zweifel anmeldete, führt sie aus: „Homosexualität wird für die Behörden [in Algerien] dann strafrechtlich relevant, wenn sie offen ausgelebt wird.“ Wenn man die Begründung, die der taz vorliegt, im Sinne der Regierung vervollständigt, heißt das: Schwule und Lesben bekommen keine Probleme, wenn sie ihre Sexualität im Geheimen leben. Sie können also unproblematisch abgeschoben werden.
Kritik von allen Seiten
Luise Amtsberg, die Flüchtlingsexpertin der Grünen-Fraktion, wirft der Regierung „ein skandalöses Verständnis von Freiheit und Selbstbestimmung“ vor. Sie erteile den Maghrebstaaten damit „einen Blankocheck für Menschenrechtsverletzungen.“ Auch diverse Menschenrechtsorganisationen und die beiden großen Kirchen wehren sich mit aller Kraft gegen den Gesetzentwurf. In einer Anhörung im Innenausschuss, die am Montag Nachmittag stattfand, schlugen mehrere geladene Sachverständige der Bundesregierung ihr Gesetz um die Ohren.
Der Ratschlag der Regierung an Schutzsuchende, ihre Sexualität geheim zu halten, verstoße gegen die Rechtssprechung des Europäischen Gerichtshofes, wirft der Lesben- und Schwulenverband (LSVD) der Bundesregierung vor. Der EuGH hatte 2013 entschieden, dass Behörden bei einer Prüfung nicht von Asylbewerbern erwarten könnten, dass sie ihre Homosexualität in ihrem Herkunftsland geheim hielten. Die Position der Regierung sei daher „menschenrechtlich unhaltbar“, folgert der LSVD in seiner Stellungnahme an den Innenausschuss.
Das sehen auch Amnesty International und andere Menschenrechtsorganisationen so. Amnesty verweist in seiner Stellungnahme ebenfalls auf das EuGH-Urteil. Und zieht das Fazit: „Die Kriminalisierung von Homosexualität (…) muss auch von der Bundesregierung als Menschenrechtsverletzung benannt und anerkannt werden.“
Das Gesetz ist eine Antwort der Regierung auf die sexuellen Attacken der Kölner Silvesternacht. Menschen aus den drei nordafrikanischen Staaten, so die Botschaft, sollen schnell und unkompliziert abgeschoben werden können. Der Entwurf soll bis zur Sommerpause Bundestag und -rat passieren. In der Länderkammer müssen auch rot-grüne Landesregierungen zustimmen, damit er eine Mehrheit bekommt.
Grüne in Not
Gerade die Grünen stürzt dies in Nöte. Offiziell lehnt die Partei das Konzept der sicheren Herkunftsstaaten ab. Die Fraktion hat sich in einer Plenardebatte bereits hart gegen den Plan gestellt, Algerien, Marokko und Tunesien für sicher zu erklären. Doch Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) hat in der Vergangenheit Erweiterungen der Liste der sicheren Herkunftsstaaten abgesegnet.
Die Bundesregierung verweist dagegen auf die niedrigen Schutzquoten für Leute aus den nordafrikanischen Staaten. 2015 wurde nur knapp ein Prozent der Asylbewerber aus Algerien und 2,3 Prozent der Asylbewerber aus Marokko anerkannt. Die Anerkennungsquote für Tunesien lag sogar bei Null. Die Koalition will mit dem Gesetz Leute abschrecken, die keine Chance auf Asyl haben, weil sie vor Armut oder Perspektivlosigkeit fliehen.
Bereits die öffentliche Diskussion über das Gesetz scheint abschreckend zu wirken. Das belegen Zahlen des Bundesamtes für Migration. Im Januar kamen 1.563 Menschen aus Algerien nach Deutschland, aus Marokko kamen 1.623 und aus Tunesien 170. Im Februar und März waren es deutlich weniger. Im März zählte das BAMF nur noch 212 Menschen aus Algerien, 225 aus Marokko und 43 aus Tunesien. BAMF-Abteilungsleiterin Ursula Praschma sagt: Die Diskussion über das Gesetz im Januar habe „zu einer spürbaren Reduzierung bei den Neuzugängen geführt.“
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