Schlecht gekleidete Berufsgruppen: Die Modeversager von der Presse

Journalisten gehören zu den am schlechtesten gekleideten Berufsgruppen der Welt. Einen ordentlichen Sozialdemokraten juckt das nicht, andere schon.

Franziska Giffey steht bei der Stimmabgabe vor einer Gruppe Journalisten mit Kameras.

Immer vorne dabei, aber in Modefragen hinten dran: Journalisten, hier bei der letzten Berlin-Wahl Foto: dpa | Christophe Gateau

Einmal stand ich wartend in einem Gerichtsflur herum, vor mir der Anwalt einer der Klägerinnen mit ihrem erwachsenen Sohn, der wachsam und aufgeregt war und offensichtlich zum ersten Mal in so einer Situation.

„Und das ist die Presse?“, fragte er und zeigte mit dem Kinn auf ein paar Kollegen von der Lokalzeitung am anderen Ende des Flures. „Ja“, sagte der Anwalt, „seltsam, dass die immer so abgerissen aussehen, nicht?“

Ich musste an Hape Kerkelings Kunstfigur Horst Schlämmer denken und daran, dass beide ja nicht so ganz Unrecht haben. Journalisten gehören wirklich zu den am schlechtesten gekleideten Berufsgruppen der Welt, vor allem in der Provinz.

Es gibt es nur eine Gruppe, die uns darin ernsthaft Konkurrenz macht, das sind Wissenschaftler und Nerds, also Leute, die – so stelle ich mir das jedenfalls vor – morgens aus dem Bett fallen und sich nachlässig irgendwas überstreifen, was da halt so auf dem Wäscheständer vor sich hinknautscht, während sie im Kopf schon wieder bei viel komplexeren Problemen sind.

Hemden bügeln für den Kanzler

So erklärt sich sicher auch die Rundmail, die der Chef der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) an seine Angestellten richtete. Anlässlich des Besuches von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) in der vergangenen Woche bat er seine Leute, doch lieber im Home-Office zu bleiben oder sich, wenn sie unbedingt ins Büro kommen wollten, wenigstens die Schuhe zuzubinden und das Hemd zu bügeln.

Irgendwas mit „ordentlich“ und „gepflegt“ stand auch noch in der Mail, das sind so Dinge, die auch meine Oma hervorheben würde. „Was ziehst du denn da an?“, war ihre erste Frage, als ich ihr erzählte, dass ich zu so einem Pressehintergrundgespräch mit Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) müsste.

„Adrett“ und „akkurat“ sind Vokabeln, die ich bei ihr gelernt habe. „Du bist ein Arbeiterkind, du musst immer ordentlich und sauber aussehen“, hatte ihr Vater ihr eingebläut und daran hält sie sich, auch mit über 90 Jahren noch. Mit dem Erscheinungsbild ihrer Enkelinnen und Ur-Enkel hat sie gelegentlich erkennbar Probleme, aber sie hat aufgehört, etwas dazu zu sagen.

Ich kann sehr wohl schmuddelig von sauber unterscheiden, manchmal fällt mir das aber zu spät ein. Ansonsten bin ich mit einer seltsamen Blindheit in Modefragen geschlagen. Ich registriere so eine vage Anmutung von „da gibt sich jemand Mühe“ oder „das sieht teuer aus“, aber zu viel mehr reicht es nicht.

Ich habe mich immer gewundert, wie meine mode-affinen Nichten das machen, die mit einem Wimpernschlag ein Outfit einer Marke und einer Preisklasse zuordnen können und dabei noch sagen, ob es aus der aktuellen Kollektion stammt oder der vorletzten. Ich erkenne einen teuren Anzug vor allem daran, dass er einen Männerkörper eine Spur vorteilhafter in Szene setzt als ein billiger, aber das ist ein anderes Thema.

Sozialdemokratische Wurstigkeit

Ich bin mir ganz sicher, dass mir da was entgeht, eine ganze Dimension an Beobachtungen, ein geheimer Code, der etwas mit Kultur, Geschlecht, sozialem Status zu tun hat, aber mir fehlt es an Kenntnissen, am geschulten Blick und ich bin zu faul und ignorant, um daran etwas zu ändern.

Das hat allerdings den Vorteil, dass ich mich selten über das Outfit anderer Leute aufregen muss. Ich käme auch nicht auf die Idee, unangemessene Kleidung für eine persönliche Beleidigung zu halten, für respektlos oder für einen Angriff auf meine Position im hierarchischen Gefüge der Welt oder so etwas. Das scheint mir eines der Probleme zu sein, die eher Konservative haben.

Zu besagtem Termin tauchte der Ministerpräsident jedenfalls in einem verwaschenen Wollpullover mit so vielen Knötchen auf, das sogar in meinem Hirn kurz das Wort „Fusselrasierer“ aufleuchtete. Ich habe das damals für angenehm sozialdemokratische Wurstigkeit gehalten, aber vielleicht hat er auch gedacht: „Egal, sind ja bloß Journalisten.“

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Niedersachsen-Korrespondentin der taz in Hannover seit 2020

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