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Schlappe der Opposition in GeorgienDie junge Generation nicht im Stich lassen!

Kommentar von Barbara Oertel

Die EU mag Gründe haben für Sanktionen gegen Georgien. Doch gerade für die junge Opposition im Land wäre das fatal. Sie wird nicht klein beigeben.

Die pro-Europäer in Georgien werden sich nicht unterkriegen lassen Foto: Jan Schmidt-Whitley

V ielleicht wird man nie erfahren, wie viele Wäh­le­r*in­nen in Georgien am Samstag wirklich für die Regierungspartei Georgischer Traum (KO) gestimmt haben und deren plumper Antikriegspropaganda – natürlich ist der Westen schuld – auf den Leim gegangen sind. Doch dessen ungeachtet ist das Ergebnis für die Opposition, die es trotz aller internen Zwistigkeiten geschafft hat, sich zusammenzuraufen, eine herbe Enttäuschung. Schließlich ging und geht es um nichts Geringeres als die Entscheidung darüber, ob die Südkaukasusrepublik ihre Chancen auf einen EU-Beitritt wahrt oder weiter in Richtung Moskau marschiert.

Sowohl der Wahlkampf des KO als auch der Ablauf des Wahltags erinnern eher an Methoden, die in Russland und Belarus gängig sind. Das stimmt für die nächsten Jahre, sollte der KO an der Macht bleiben, nicht gerade optimistisch. Wahlmanipulationen in bedeutendem Ausmaß, Bedrohungen von Wahlbeobachtern und Me­di­en­ver­tre­te­r*in­nen bis hin zu massiven tätlichen Übergriffen, Druck auf Wäh­le­r*in­nen sowie die Stigmatisierung der Opposition und ihrer Un­ter­stüt­ze­r*in­nen als kriegslüsterne Feinde Georgiens, die nichts weiter seien als hirnlose, willfährige Erfüllungsgehilfen des Westens: Wer diese Praktiken nötig hat, scheint sich seines „überwältigenden Sieges“ offensichtlich doch nicht so ganz sicher zu sein. So ist es wohl kein Zufall, dass größere Feiern des KO einfach ausfielen.

Die Frage ist jetzt, wie das Oppositionslager mit dieser Situation umgehen wird. Die wochenlangen Massenproteste gegen das sogenannte Agentengesetz und eine neue Regelung zum Verbot von „LGTBQ+ Propaganda“ im vergangenen Frühjahr haben gezeigt, dass die Ge­or­gie­r*in­nen echte Ste­he­r*in­nen­qua­li­tä­ten haben. Um sich ihre europäische Zukunft nicht verbauen zu lassen, sind viele bereit, einen hohen Preis zu zahlen.

Dilemma der EU

Wahrscheinlich also werden die enttäuschten Wäh­le­r*in­nen nicht einfach zur Tagesordnung übergehen. Dann ist jedoch alles möglich – mit allen schrecklichen Konsequenzen. Denn die Brutalität von Polizei und Sicherheitskräften bei ihren Einsätzen gegen De­mons­tran­t*in­nen ist hinlänglich bekannt.

Auch die EU steckt in einem Dilemma. Schon jetzt liegt der Beitrittprozess auf Eis. Nach Lage der Dinge dürfte das erst einmal so bleiben, will Brüssel sein Gesicht wahren. Schlimmer noch: Weitere Sanktionen stehen im Raum, wie die Abschaffung der Visafreiheit. Auch wenn dieser Schritt aus EU-Perspektive geboten scheint, würde vor allem die junge Generation nach den Wahlen ein zweites Mal bestraft. Kann man das ernsthaft wollen? Die Antwort lautet eindeutig: Nein!

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Ressortleiterin Ausland
Geboren 1964, ist seit 1995 Osteuropa-Redakteurin der taz und seit 2011 eine der beiden Chefs der Auslandsredaktion. Sie hat Slawistik und Politikwissenschaft in Hamburg, Paris und St. Petersburg sowie Medien und interkulturelle Kommunikation in Frankfurt/Oder und Sofia studiert. Sie schreibt hin und wieder für das Journal von amnesty international. Bislang meidet sie Facebook und Twitter und weiß auch warum.
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5 Kommentare

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  • Serbien: Beitrittskandidat, der lieber mit Russland ist



    Moldawien: Die Pro-EU-Partei nur hauchdünn vor der prorussischen.



    Und jetzt Georgien: Egal wie man diese Wahlergebnisse bewertet, bleibt der Eindruck, dass die Mehrheit gar nicht aktiv proeuropäisch denkt.



    Dazu hat die EU mehr als genug innereuropäische Baustellen. Zu Ungarn und Orban muss man nicht viel sagen. Die Slowakei ist ein ähnlicher Fall. Polens Pissparty sind wir gerade so für vier Jahre los. Die Briten sind ausgetreten.



    Wenn man die EU explodieren lassen will, kümmert man sich nicht um die Lösung der inneren Probleme, sondern träumt von weiteren Beitritten.



    So gesehen ist die Abschaffung der Visafreiheit für Georgien keine Sanktion, sondern ein logischer Schritt: Georgien will nicht in die EU? Also gut, dann stoppen wir das für's Erste.

  • Ich stimme der Aussage vollkommen zu, dass man die junge Generation nicht im Stich lassen sollte!



    Sanktionen haben ja oft einen populistischen Hintergrund erreichen aber in den seltensten Fällen ihr Ziel, sondern bewirken oft das Gegenteil. Hoffentlich wird der Westen hier maßvoll vorgehen. Ich hoffe, dass uns Bilder wie aus der Ukraine 2013 und 2014 erspart bleiben und keine westlichen Politiker in Georgien auftreten und die Bevölkerung zum Sturz der Regierung auffordern. Überhaupt könnte die Ukraine als warnendes Beispiel dienen. Ziel in der Georgienpolitik sollte sein dafür zu sorgen, dass sich das Land nicht zu nah an Russland hält ohne zu versuchen es zum jetzigen Zeitpunkt in die westliche Einflusssphäre zu ziehen.

  • es mag schade für die Menschen sein, die Demokratie und Freiheit wünschen. Georgien ist davon so weit entfernt wie Belaruss oder Afganistan. Daher muss die EU sich diesem Land auch genauso gegenüber positionieren; kein miteinander mehr.



    Bei der nächsten Wahl wird es keine ernst zu nehmende Opposition mehr geben. Sie werden Haushaltsunfälle erliegen wie in Russland, oder in Haft sitzen weil sie mit einem westlichen Reporter gesprochen haben. Diktaturen lassen sich nicht durch einfache Wahlen absetzen. In Polen hat das Volk in letzter Sekunde das Ruder herum gerissen. Eine legislatur länger Pisse und die Diktatur wäre gesetzlich etabliert worden. Die Gelegenheit hat Georgien verpasst. Dieses Land ist für die nächsten Jahrzehnte verloren. Wenden wir uns Zielen zu bei denen noch Hoffnung auf eine freiheitliche Zukunft liegt.



    Die Energie, Zeit und Geld die unser Europa aufwendet bringt anderswo hoffentlich mehr Früchte.



    So lange es in Brüssel das Recht auf Veto gibt und keine Möglichkeit ein Land wieder raus zu kicken, ist jegliche Erweiterung unsinnig. Früher wurde die EU von Thatcher erpresst, heute von Orban und seinen Gleichgesinnten.



    Das ist jedoch ein ganz anderes Thema

  • Visafreiheit sollte wohl nicht von Wahlausgängen abhängig gemacht werden. Wo kämen wir denn da hin?

    Und man sollte mal aufhören, die innere Konstellation in Ländern wie Georgien immer so durch die Brille eines geopolitischen Konflikts zwischen Großräumen zu beurteilen. "Für uns" oder "für die Russen". Man kann diesen Ländern keine Entscheidung aufzwingen, das spaltet dort die Gesellschaften. Wir sollten vernünftige Beziehungen zu Georgien haben und seinen Staatsbürgern eine visafreie Einreise ermöglichen. Aber wir dürfen sie nicht zu dieser zerstörerischen Entscheidung drängen: Entweder seid ihr postsowjetisch und mit Russland verbunden, oder ihr seid pro-europäisch. - Man muss beides sein können.

  • Wir alle haben das Ausmaß der russischen Einflussnahme in Georgien stark unterschätzt.



    was fehlt ist eine wirksame Strategie der EU und aller freiheitsliebenden Menschen dagegen.



    Es sieht aus als müssten wir alle wirklich abwarten bis Putin tot ist damit die Freiheit sich durchsetzen kann.