Scheuers Pkw-Maut-Desaster: Rechnungshof prüft Vertragsvergabe
Brisanter Verdacht: Hat das Verkehrsministerium bei der Vergabe der Pkw-Mautverträge getrickst, damit private Betreiber den Zuschlag bekommen?
„Der Bundesrechnungshof prüft derzeit unter Berücksichtigung des Urteils des Europäischen Gerichtshofes vom 18. Juni 2019 die Verträge, die das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) zur Infrastrukturabgabe mit den Auftragnehmern geschlossen hat“, heißt es in dem Brief.
Der Rechnungshofpräsident antwortet auf eine Bitte der beiden Bundestagsabgeordneten um Prüfung. Sie haben den Verdacht, dass bei der Vergabe des Maut-Auftrags an private Betreiber der Grundsatz der Wirtschaftlichkeit verletzt wurde, indem das ebenfalls diskutierte staatliche Mautmodell künstlich teurer gerechnet wurde.
„Wären alle Kosten und Risiken korrekt abgebildet worden, dann hätte das Betreibermodell wahrscheinlich keinen Kostenvorteil von circa 84 Millionen Euro mehr gegenüber dem Staatsmodell realisieren können“, heißt es in dem Schreiben von Kindler und Kühn an den Bundesrechnungshof. So habe das Bundesverkehrsministerium bei der abschließenden Wirtschaftlichkeitsbetrachtung die Kosten bei einem staatlichen Betrieb für Porto und ein Informationscenter gegenüber der vorläufigen Kalkulation um mehr als 200 Millionen Euro erhöht.
Scheuer hätte das Pkw-Maut-System überhaupt nicht an private Unternehmen vergeben dürfen, sagt der Bundestagsabgeordnete Kindler. „Die Wirtschaftlichkeitsberechnung waren Gefälligkeitsgutachten teurer Berater des Verkehrsministeriums“, kritisiert er. „Statt ehrlich auf die Kosten einer Privatisierung des Pkw-Maut-Systems zu schauen, wurde die Analyse gezielt schöngerechnet, damit Scheuer das Pkw-Maut-System an Konzerne geben konnte.“ Das Verkehrsministerium habe gewusst, dass die Privatisierung wirtschaftlich schlechter als der Betrieb durch den Staat war.
Immer mehr Ungereimtheiten
Die deutsche Pkw-Maut für Ausländer war ein Prestigeprojekt der CSU. Der Europäische Gerichtshof hat es im Juni für nicht rechtmäßig erklärt. Das Bundesverkehrsministerium hatte aber schon Ende vergangenen Jahres Verträge mit Unternehmen geschlossen, die das Mautsystem betreiben sollen. „In den Verträgen hat Minister Scheuer den privaten Mautbetreibern für den Fall, dass der Europäische Gerichtshof die Pkw-Maut kippen sollte, eine exorbitante Entschädigungsregelung zugebilligt“, sagt der Bundestagsabgeordnete Kühn. „Genau deswegen drohen dem Bund nun Schadensersatzforderungen in dreistelliger Millionenhöhe.“
Über die Untersuchung der Vergabe an private Betreiber will der Bundesrechnungshof dem Haushaltsausschuss kurzfristig Bericht erstatten. Bislang war nur bekannt, dass sich der Bundesrechnungshof mit der Abwicklung des Projekts nach dessen Stopp durch den Europäischen Gerichtshof befasst. Ebenfalls brisant: In einem Nebenvertrag mit den privaten Betreibern soll nach Erkenntnissen der Grünen geregelt worden sein, dass der staatliche Lkw-Maut-Betreiber Toll Collect als Unterauftragnehmer wichtige Aufgaben für die privaten Unternehmen übernehmen, ihnen aber nicht die vollen Kosten in Rechnung stellen sollte. Damit wären die Ausgaben für die Unternehmen auf Kosten der Steuerzahler extrem gesenkt worden.
In den vergangenen Wochen sind immer mehr Ungereimtheiten im Zusammenhang mit dem Maut-Projekt bekannt geworden, unter anderem von Geheimtreffen von Scheuer mit den Mautbetreibern kurz vor Ende der Ausschreibefrist. In Kürze wird der Bundestag auf Antrag von Grünen, Linkspartei und FDP einen Untersuchungsausschuss zur Maut-Affäre einrichten. Der soll auch klären, ob die Betreiber Scheuer das Angebot gemacht haben, mit der Vertragsunterzeichnung bis nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs zu warten. Scheuer bestreitet das ebenso wie den Vorwurf, er habe die Betreiber aufgefordert, ihr Angebot zu verschweigen.
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