piwik no script img

Sanktionen gegen RusslandEU-Musterknabe Finnland blockiert

Die finnische Regierung hat darauf gedrängt, die EU-Maßnahmen gegen Russland zu verschieben. Aus egoistischen Gründen.

Die staatliche Fluglinie Finnair würde von russischen Gegensanktionen wie einem Verbot, Sibirien zu überfliegen, schwer getroffen. Bild: Reuters

STOCKHOLM taz | Finnland hat sich als Bremse für das Inkrafttreten neuer EU-Sanktionen gegen Russland erwiesen. Der Staat drängte darauf, weitere Maßnahmen zu verschieben. Die EU-Mitgliedstaaten haben im Zusammenhang mit der Ukraine-Krise zwar bereits neue Sanktionen gegen Russland beschlossen, die Umsetzung dieser am Montag aber verzögert.

Und man sei sehr zufrieden, dieses „wichtigste Ziel“ erreicht zu haben, konstatierte der ehemalige finnische Außenminister Ilkka Kanerva, der seit Juli Präsident der parlamentarischen Versammlung der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) ist. „Wir folgen nicht einfach den anderen, sondern haben eben unsere eigene Meinung, wie man die Krise am klügsten lösen kann“, erklärte er in einem TV-Interview.

Außenminister Erkki Tuomioja und Ministerpräsident Alexander Stubb hatten vor dem EU-Beschluss deutlich gemacht, welche Bauchschmerzen die Regierung bei neuen Maßnahmen hätten. So sprach sich Finnland deutlich gegen die neue Sanktionsrunde aus – vor allem auch aus egoistischen Gründen.

Wurde die Lebensmittelindustrie des Landes durch russische Gegensanktionen bereits hart getroffen, könnten die neuen Maßnahmen gegen die russische Ölförderung in der Arktis auch Auswirkungen auf die Werftindustrie Finnlands haben: Auf der Arctech-Werft in Helsinki werden derzeit fünf Eisbrecher für Russland gebaut, die für die Offshore-Ölforderung eingesetzt werden sollen und somit von den Sanktionen betroffen wären. Die Werft, die zur Hälfte einem russischen Staatskonzernen gehört, hat auch Aufträge für die russische Marine in den Büchern.

Russische Gegensanktionen wie ein Überflugverbot Sibiriens würden die mehrheitlich staatliche Fluglinie Finnair schwer treffen: Die Hälfte ihrer internationalen Routen führt über russischen Luftraum. Dass zudem der geplante Bau eines sechsten finnischen Atomkraftwerks durch den russischen Rosatom-Konzern gefährdet sein könnte, bestätigte auch Wirtschaftsminister Jan Vapaavuori.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

10 Kommentare

 / 
  • Die Finnen haben vollkommen recht. Nicht nur, dass Sie über 70 Jahre jetzt ein mehr als gutes Verhältnis zu Russland hatten selbst im kalten Kriege. Vergleicht man die inkompetenten Balten/Polen mit den Finnen versteht man schon warum Finland eine solche Erfolgsnation ist. Die Finnen teilw. auch die Norweger haben mehr als 1000 km Grenze zu Russland und sind für dieses Fiasko in Brüssel nicht verantwortlich.

    Länder wie Frankreich/Deutschland/England sind eher weit entfernt und nimmt man deren Militär auch eher schwach gerüstet. Finland ist da eine ganz andere Nummer - sicher, dass reicht nie gegen Russlands Armee. Aber es hilft und mit dem 4 km grossen Grenzabstand an der Grenze hat man eine natürliche Grenze die jeder Finne und auch Tourist kennen lernt sobald er dort in die Nähe kommt.

  • Fuer Sanktionen gegen Russland gibt es keinen vernuenftigen Grund. Recht haben sie, die Finnen!

  • Finnland war (während des kalten Krieges) und ist auch jetzt nicht in der Nato und trotz allem EU-Mitglied. Warum war das für die anderen östlichen Anrainerstaaten Russlands kein gangbarer Weg und auch keiner der von Kiew von Anfang an kommuniziert wurde? Die Finnen handeln seit Jahrzehnten eher pragmatisch und sind damit gut gefahren. Ihre Erfahrungen haben Ihnen gezeigt, dass dies für Ihre Nation und geopolitische Lage der richtige Weg ist, es gibt keinen vernünftigen Grund sich nun anders zu verhalten. Schon gar nicht wenn diese Krise vor allem das Ergebnis außenpolitischer Fehler ist. Warum sollten Sie die politische Kurzsichtigkeit in Brüssel und Kiew nun ausbaden?

  • Na, dann müssen wir auch verzögern. Und zwar nicht, weil es okay wäre, adas interessiert keinen, sondern weil Supi-Finnland es macht. Und da dort alles zehnmal so supi ist wie bei uns, müssen wir das auch machen! halt, eine Chance für unsere Wir-sind-Ukraine-Vertreter gibt es noch: Schweden. Da dort alles mindestens so superduper wie in Finnland ist, die aber Nato-mäßig mitziehen - puh, Glück gehabt - haben wir auch allen Grund dazu.

  • 1G
    1714 (Profil gelöscht)

    Die Geschichte Finnlands zeigt deutlich, wie sehr dieses Land vom Russischen Bären abhängt und gezwungen wurde, Dinge zu tun, die sie gar nicht wollten. Niemand hat denen in schwersten Zeiten gehofen, die Schweden nicht, die Alliierten nicht und die Deutschen haben das ausschließlich militärisch auszunutzen versucht und dann verbrannte Erde hinterlassen. Ausbaden musste es das finnische Volk. Sollen sich die Finnen abermals auf eine windelweiche "Solidarität" verlassen und am Ende abermals die Dummen sein? Sie haben gar keine andere Wahl, als so zu handeln.

  • Die Unterzeile "Aus egoistischen Gründen" ist recht tendenziös. So einen "Egoismus" wünschte ich mir von unseren Regierenden. Aber dafür sind sie zu feige dem "Big Brother" gegenüber.

  • Kompliment den Finnen!

    Ich hoffe, dass sich noch weitere Länder diesem Irrsinn verweigern.

    Von unserer GroKo ist soviel Verstand und Rückgrat leider nicht zu erwarten.

  • Egoismus? warum gibts nochmal gleich Sanktionen?

    Weil nicht klar ist, wer den Passagierflieger abschoss.

    Weil nicht klar ist ob Anexion oder Sezession.

    Na, immerhin denken die Finnen noch!

  • Was ist egoistisch daran, dass sich die finnische Regierung daran hält, Schaden vom eigenen Volk zu wenden und seinen Nutzen zu mehren.

     

    In Deutschland haben das die Regierungsmitglieder sogar geschworen und halten sich trotzdem nicht dran.

     

    Wäre es ein echter Eid, den Merkel und Konsorten da geschworen haben, dann müssten sie längst vor Gericht stehen wegen Meineids.

  • Soso, egoistische Gründe. Diese Beschreibung finde ich irgendwie schon fast lustig. Eigentlich ist das sogar ein Kracher. Wenn ich mir so überlege wer hier aus welchen Gründen Russland als das Böse und Putin als den Bösen schlechthin bezeichnet. Als Hitler gar.

     

    Der dürre Arm des Obama reicht vielleicht weit...aber stark genug war er und wird er nimmer mehr werden.

     

    Die Finnen rocken. Ein Hoch auf den Egoismus!