Sänger Xavier Naidoo: Antisemitismusvorwurf war erlaubt
Durfte Xavier Naidoo als Antisemit bezeichnet werden? Das Bundesverfassungsgericht gibt einer Referentin der Amadeu-Antonio-Stiftung recht.
Melanie Hermann arbeitet bei der Amadeu-Antonio-Stiftung als Expertin für Verschwörungstheorien im Projekt „No world order“. Im Juli 2017 hielt sie in Bayern einen Vortrag über Reichsbürger. Auf eine Frage aus dem Publikum, wie sie denn Xavier Naidoo einschätze, sagte Hermann: „Ich würde ihn zu den Souveränisten zählen, mit einem Bein bei den Reichsbürgern. Er ist Antisemit, das darf ich, glaub ich, aber gar nicht so offen sagen, weil er gerne verklagt. Aber das ist strukturell nachweisbar.“
Tatsächlich hatte Naidoo die Stiftung schon einmal abgemahnt, weil er als „Antisemit“ bezeichnet wurde, was 2015 mit einen gerichtlichen Vergleich endete. Damals ging es um eine Liedstrophe aus Naidoos Song „Raus aus dem Reichstag“, in dem von einem „Baron Totschild“ die Rede ist, der „den Ton angibt“. Die Stiftung sah darin eine Anspielung auf das antisemitische Stereotyp der jüdischen Rothschild-Bank, die mit dunklen Machenschaften im Hintergrund die Fäden ziehe.
Vor zwei Gerichten unterlag die Referentin
Auch diesmal klagte der Mannheimer Sänger und hatte beim Landgericht Regensburg und beim Oberlandesgericht (OLG) Nürnberg mit seinen Unterlassungsklagen Erfolg. Naidoos Persönlichkeitsrecht überwiege die Meinungsfreiheit der Wissenschaftlerin.
Gegen die bayerischen Urteile erhob Hermann jedoch erfolgreich Verfassungsbeschwerde. Eine mit drei Richter:innen besetzte Kammer des Bundesverfassungsgerichts erklärte ihre Eingabe für „offensichtlich begründet“. Dabei monierten die Verfassungsrichter:innen zunächst, das OLG habe die Bezeichnung „Antisemit“ zu Unrecht als „mehrdeutig“ angesehen und dann die schlimmste Bedeutung unterstellt, nämlich dass Naidoo NS-Gedankengut vertrete und möglicherweise sogar bereit sei, Juden zu vernichten.
Eine solche Deutung sei jedoch „fernliegend“, so das Verfassungsgericht. Vielmehr habe Hermann Naidoo lediglich als eine Person bezeichnet, die den Reichsbürgern nahestehe und dabei auch antisemitische Inhalte weitertrage. Damit ist schon die Beeinträchtigung von Naidoos Ruf geringer als vom OLG angenommen.
Karlruhe sieht keine Prangerwirkung
Beanstandet wurde zudem die Annahme des OLG, dass Naidoo als Künstler besonders schutzwürdig sei, weil er von der Interaktion mit seinem Publikum abhänge. Auch Kritik an den politischen Ansichten von Künstlern müsse möglich sein, so das Bundesverfassungsgericht. Wer im öffentlichen Meinungskampf zu einem abwertenden Urteil Anlass gegeben hat, müsse „eine scharfe Reaktion auch dann hinnehmen, wenn sie das persönliche Ansehen mindert“. Dies sei keine Prangerwirkung, vielmehr habe sich Naidoo ja öffentlich gegen den Vorwurf wehren können.
Nach diesen Vorgaben wird das Landgericht Regensburg nun wohl Naidoos Unterlassungsklage ablehnen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Bundeskongress der Jusos
Was Scholz von Esken lernen kann