Saša Stanišić und die „Tagesschau“: Und raus bist du!
Saša Stanišić gewinnt den Deutschen Buchpreis, die „Tagesschau“ schreibt seinen Namen falsch. Eigentlich keine Überraschung.
Was muss ein Mensch tun, um als zugehörig zu gelten? Reicht es, fast 30 Jahre lang in Deutschland zu leben, einen deutschen Pass zu haben, Deutsch zu studieren, eine Poetikdozentur an einer deutschen Hochschule innezuhaben, deutschsprachige Bücher zu schreiben, mit ihnen Bestsellerlisten zu füllen und für diese Werke mit renommierten Stipendien und Preisen ausgezeichnet zu werden, um als deutscher Schriftsteller zu gelten?
Offenbar nicht. Das zumindest könnte man meinen, wenn man am Montagabend um 20 Uhr die „Tagesschau“ angeschaut hat. Nachdem Saša Stanišić den Deutschen Buchpreis erhielt, berichteten die Kolleg*innen der ARD: „Sasa Stanisic erhält Deutschen Buchpreis“.
Nicht nur die „Tagesschau“ hielt es für zweitrangig, den Namen des Autors korrekt zu schreiben. Auch die taz schrieb ihn falsch. Und im April erklärte die Frankfurter Rundschau sogar: „Vorweg sei bemerkt, dass das Schriftprogramm, über das wir für die Zeitung verfügen, leider nicht in der Lage ist, den Namen des Autors korrekt abzubilden.“ Zur Erinnerung: Es ist 2019, jedes Handy kann Stanišić korrekt schreiben.
Vielleicht war es Nachlässigkeit. Vielleicht lag es auch daran, dass die ARD den Schriftsatz einfach nicht hat.* Oder es lag daran, dass Annika und Karsten von der „Tagesschau“ nicht wissen, wie es sich anfühlt, wenn der eigene Name falsch geschrieben wird, und deswegen nicht darauf achten. Wie auch immer: Es ist, wie Jagoda Marinić twitterte, Zeit, dass die ARD ihr Buchstabensortiment der deutschen Literatur anpasst.
Helena statt Jelena, Fernando statt Jihad
Denn es ist zwar kein Problem, wenn man einen Namen falsch schreibt. Aber es ist ein Problem, wenn das einfach so hingenommen wird. Wenn man sich nicht einmal die Mühe macht, einen Namen richtig zu schreiben. Und es ist ein Problem, wenn die bekannteste Nachrichtensendung in Deutschland die Namen von Menschen, die in diesem Land das öffentliche Leben prägen, wissentlich falsch schreibt – nicht zuletzt, weil es die Aufgabe von Journalismus ist, korrekt zu berichten.
Gleichermaßen beschämend und ironisch ist, dass ausgerechnet die Würdigung eines Buches über Identität, über Zugehörigkeit und Fremdsein dieses Werk als das markiert: anders. Aber es ist eben auch keine Überraschung. Nicht wenige migrantische Personen ändern ihren Namen oder die Schreibweise ihrer Namen, um in diesem Land richtig angesprochen und benannt zu werden, um weniger anders, um zugehörig zu sein: Sie nennen sich Helena statt Jelena, Vanessa statt Hồng Vân, Fernando statt Jihad.
Die Lektüre von „Herkunft“ sei allen ans Herz gelegt, die das Problem nicht nachvollziehen möchten. Denn über seinen Namen, oder wie Stanišić sagt: die Häkchen in seinem Namen, schrieb er bereits in dem nun ausgezeichneten Buch. Stanišić empfand sie in Deutschland als „Hindernis“: „Sie stimmten Beamte und Vermieter skeptisch, an der Grenze dauerte die Passkontrolle länger als bei Petra vor und Ingo hinter dir.“ Es ist egal, was Migrant*innen in Deutschland tun, am Ende bleiben sie ein Sonderzeichen.
* Bis zur Veröffentlichung des Beitrages am 15.10. um 16.11 Uhr gelang es nicht, eine Stellungnahme der ARD zum Thema zu bekommen.
* Update: Am 16.10. um 16:04 Uhr gab ein Sprecher des NDR folgende Stellungnahme der Redaktion weiter: „ARD-aktuell nutzt nur bei französischen, spanischen und portugiesischen Namen Akzente, Tilden u. ä. – sowohl bei Klein- als auch bei Großbuchstaben. Diese Sprachen sind weiter verbreitet als andere und werden über die jeweiligen Länder hinaus gesprochen (z.B. in Lateinamerika oder Afrika/Asien). Auch Agenturen arbeiten offensichtlich mit unterschiedlichen Richtlinien – dort sieht man bei Fällen wie diesem diverse Schreibweisen.“
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