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SPD-Wahlkampfauftakt in HannoverDer Generalsekretär vorm Edeka

Die SPD im Wahlkampf: Die Niedersachsen-Connection rearrangiert sich, von den Frauen redet keiner und Matthias Miersch bequatscht Samstagseinkäufer.

Applaus, Applaus: Stephan Weil, Lars Klingbeil und Matthias Miersch bei der Listenaufstellung der SPD Niedersachsen Foto: Moritz Frankenberg/dpa

A m ersten Samstag im Januar haben die Sozialdemokraten in Niedersachsen endlich auch mal ihre Landesliste für die Bundestagswahl aufgestellt.

Damit hinken sie den anderen hinterher, aber das liegt daran, dass man hier so viele politische Schwergewichte unterbringen musste: den Parteivorsitzenden Lars Klingbeil, Verteidigungsminister Boris Pistorius, Generalsekretär Matthias Miersch, Arbeitsminister Hubertus Heil.

Das muss ja vorher auch alles ausgehandelt werden, damit das dann in einem Rutsch diszipliniert durchgestimmt werden kann – ohne Kampfkandidaturen und große Vorstellungsreden, die Reihen fest geschlossen, tada!, Kampfgeist beschworen und Aufholjagd.

Das Ganze war ungefähr so spannend wie ein chinesischer Parteitag. Die Argumentationsstrategie ist auch ziemlich klar: Musk bäh, Merz bäh, Scholz hat wenigstens Erfahrung.

Die Quote funktioniert als Argument nur so halb

Eine der Frauen auf der Bühne, ich glaube, es war Dörte Liebetruth, argumentierte, man könne Merz aus feministischen Gründen nicht wählen, der sei ja gegen die Quote. Bei der SPD wird jeder zweite Listenplatz mit einer Frau besetzt, deren Namen kein Mensch kennt, sich kein Mensch merkt und über die auch hinterher nicht geredet wird.

Bei den Männern aus der berüchtigten Niedersachsen-Connection wird dagegen sehr viel darüber spekuliert, wer sich hier jetzt wohl für welches Amt in Stellung bringt – obwohl die SPD die Wahl noch gar nicht verloren hat.

Der Mann, der diesen Wahl-Kampf! und diese Aufholjagd! nun bundesweit organisieren muss, stellt sich – wo er schon mal in der Gegend ist und nicht in Berlin – gleich noch anderthalb Stunden in die Kälte vor den Edeka in Empelde und versucht, mit Menschen ins Gespräch zu kommen.

Matthias Miersch ist nämlich nicht nur nach dem überraschenden Rücktritt von Kevin Kühnert zum Generalsekretär geworden, er ist auch Direktkandidat für den Bundestagswahlkreis Hannover-Land II, der die südliche Hälfte des Speckgürtels um die Landeshauptstadt umfasst.

Die Kunst, freundlich anderer Meinung zu sein

Vor dem Edeka eilen die meisten achselzuckend weiter, stehen bleiben vor allem Genossen und treue SPD-Wähler. Die wollen „dem Matthias“ mal Hallo sagen und sich ein bisschen beschweren: „Also, der Olaf …“ Miersch, der ein außerordentlich kluger, freundlicher und zugewandter Gesprächspartner ist, erklärt dann sehr geduldig, warum er froh ist, dass „der Olaf“ den Kanzlerjob macht und kein anderer.

Irgendwann tritt ein älterer Herr mit Ehefrau auf ihn zu, der ihm erklären möchte, warum Wärmepumpen nicht funktionieren, grüner Stahl Schwachsinn ist und diese ganze Klimaideologie sowieso.

Das weiß Miersch als versierter Umweltpolitiker viel besser, aber er hat eine bemerkenswerte Fähigkeit zu sagen: „Da sind wir verschiedener Meinung“ – ohne dass das Gespräch abreißt oder entgleist. Ich frage mich, ob er damit einer aussterbenden Art angehört.

Der alte Herr hört trotzdem nicht zu, er will hier was loswerden. „Ich komme selbst aus der Branche“, sagt er immer wieder. Rein altersmäßig sieht es so aus, als wäre das eine Weile her. Er strahlt etwas Beleidigtes aus.

Wie einer dieser Männer, die am Ende eines langen Berufslebens feststellen, dass die Belohnung ausbleibt, denke ich: brave und fleißige Biedermänner, die sich nicht viel gönnen und anderen schon gar nicht. Und die nach dem Renteneintritt feststellen, dass sich die Lücke in dem Unternehmen, für das sie gerade noch so unentbehrlich waren, sehr schnell schließt.

Ihre Expertise ist nicht mehr gefragt, die Familie hat sie längst ausgeplant und jetzt wird auch noch an allem rumgenörgelt, was früher richtig war: all dieses Gefasel von Gefühlen und Bedürfnissen und Work-Life-Balance! Und jedes noch so blöde Kind kriegt eine Medaille. Nur er nicht. Kein Lob, kein Ehr’, kein gar nichts. Aber all das sagt er natürlich nicht. Das sind nur meine Vorurteile.

Er sagt im Weggehen dies: „Es gibt ja immer noch Alternativen zum SPD-Wählen, eine Alternative!“ Aber da hat sich der Herr Bundestagsabgeordnete und Generalsekretär schon der nächsten Wählerin zugewandt.

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Nadine Conti
Niedersachsen-Korrespondentin der taz in Hannover seit 2020
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5 Kommentare

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  • Super formuliert, Frau Conti! Ich kann auch verstehen, dass Sie dem älteren Herren nichts Positives abgewinnen können. Aber warum lobt ihn eigentlich niemand für seine berufliche Leistung? Warum gibt ihm niemand, was er braucht? Es könnte so einfach sein, ihn davon abzuhalten, sein Kreuz an der falschen Stelle zu setzen. Der einfache Respekt für seine Leistung erspart jede Menge Palaver und fruchtlose Diskussionen. Eine simple Strategie, um den Rechten das Wasser abzugeben.

  • Nebenpunkt: Die SPD hat wohl in Niedersachsen die Breite und das Selbstbewusstsein, aber offenbar auch die Personalreserve einer Volkspartei.



    Wer auch immer die Personalentwicklung dort betrieben hat, könnte etwas richtig gemacht haben.

  • "Wie einer dieser Männer, die am Ende eines langen Berufslebens feststellen, dass die Belohnung ausbleibt, denke ich: brave und fleißige Biedermänner, die sich nicht viel gönnen und anderen schon gar nicht. Und die nach dem Renteneintritt feststellen, dass sich die Lücke in dem Unternehmen, für das sie gerade noch so unentbehrlich waren, sehr schnell schließt.

    Ihre Expertise ist nicht mehr gefragt, die Familie hat sie längst ausgeplant und jetzt wird auch noch an allem rumgenörgelt, was früher richtig war: all dieses Gefasel von Gefühlen und Bedürfnissen und Work-Life-Balance! Und jedes noch so blöde Kind kriegt eine Medaille. Nur er nicht. Kein Lob, kein Ehr’, kein gar nichts."

    Das ist ganz große Literatur

    • @derzwerg:

      Habe ich auch gedacht :-)

    • @derzwerg:

      Das ist einfühlsam beobachtend und ein tragisch wahrer Roman in Kurzform. Wahrscheinlich häufiger geschrieben, dieser Roman, als mensch denkt.