SPD-Parteitag in Baden-Württemberg: Nahles als Geburtshelferin
Die Partei ist zerstritten, einigt sich aber doch auf Andreas Stoch als Vorsitzenden der Südwest-SPD. Die Chefin der Bundespartei bleibt fern.
Andreas Stoch steht am Samstagnachmittag auf dem Stuhl und reckt die Arme in die Luft. Die Delegierten jubeln, auch wenn das Ergebnis denkbar knapp ist. Mit acht Stimmen Vorsprung hat Stoch die Abstimmung gegen seinen Gegner für sich entschieden. Der Parteitag scheint erleichtert. Die Führungskrise der Südwest-SPD ist fürs Erste beendet.
Der Parteitag kennt gleich mehrere Verlierer. Da ist zuerst Leni Breymaier und ihre glücklose Generalsekretärin Luisa Boos. Die ehemalige Verdi-Landeschefin Breymaier hatte 2016 nach dem für die SPD bitteren Wahlergebnis von 12,7 Prozent den Vorsitz übernommen, um die Partei zu reformieren. Der traditionell eher konservative Landesverband hatte sich im Kontrast zum Vorgänger Nils Schmid bewusst für die eher linke und recht kantige Schwäbin entschieden.
Als nach zwei mühsamen Jahren die Wiederwahl anstand, sah sich Breymaier plötzlich einem Herausforderer der konservativen Netzwerker gegenüber: dem Bundestagsabgeordneten Lars Castellucci. Breymaier schlug einen Mitgliederentscheid vor, den sie klar zu gewinnen hoffte. Als dann in der Nacht zum Montag eine weitere Auszählung notwendig wurde, war es Breymaier offenbar zu viel. Am Dienstag erklärte sie ihren Rückzug und schlug ihrem Herausforderer Castellucci vor, sich ebenfalls zurückzuziehen. Erst danach wurde bekannt, dass Breymaier eigentlich mit 39 Stimmen Vorsprung gewonnen hatte.
Mit dieser Vorgeschichte tritt Lars Castellucci am Samstag vor den Parteitag, beschwört Willy Brand und seine Herkunft als Sohn eines italienischen Einwanderers. Sein Gewissen habe ihn verpflichtet, heute für den Parteivorsitz anzutreten, obwohl er bei der Befragung unterlegen gewesen sei. Es sind vor allem die Jungen, die Castellucci an diesem Vormittag bejubeln. Die Jusos in Baden-Württemberg sind, anders als in anderen Landesverbänden, eher auf dem konservativen Flügel der Partei zu finden.
Frank Mentrup, Oberbürgermeister von Karlsruhe, spricht dann aus, was viele denken: Neuer Vorsitzender könne nicht jemand sein, der einen Mitgliederentscheid verloren hat. „Wenn Lars gewählt wird, haben wir ein Glaubwürdigkeitsproblem“, so Mentrup. Der Parteitag folgt dieser Einschätzung und wählt Andreas Stoch mit der denkbar knappsten Mehrheit im ersten Wahlgang zum Vorsitzenden. Der Fraktionschef im Stuttgarter Landtag hatte bis Donnerstag mit seiner Kandidatur gewartet. Er fühlt sich keinem Flügel zugehörig, gilt als einer, der Konsens herstellen kann. Stoch kam 2009 als Nachrücker in den Landtag, war ab 2013 im grün-roten Kabinett Kultusminister. Mit Stoch wurde Sascha Binder zum Generalsekretär gewählt.
Luisa Boos war nach Breymaiers Rücktritt nicht mehr angetreten. Mit der Zerstrittenheit soll es in der Landes-SPD unter neuer Führung vorbei sein, verspricht Stoch. Die Gegner stünden außerhalb. Eigentlich meint er damit die AfD und die „arrogante Politik“ von Schwarz-Grün im Land. Viele Parteimitglieder meinen aber eher den SPD-Bundesvorstand. Die größte Einigkeit herrscht auf dem Parteitag, als sich der Unmut über Andrea Nahles Bahn bricht. Die Parteivorsitzende war als Rednerin angekündigt, sagte aber am Samstag in einer Telefonkonferenz mit führenden Parteimitgliedern ab.
Offizieller Grund: Die Landespartei müsse erst ihre Führungskrise beilegen. Der tatsächliche Grund dürfte ein Streit der Landespartei mit der Bundespartei über die Besetzung der Liste für die im kommenden Jahr anstehende Europawahl sein. Zwei verdiente Mitglieder aus dem Südwesten verloren ihre sicheren Listenplätze zugunsten jüngerer Kandidaten. Eine davon ist die Vizepräsidentin des Europaparlaments, Evelyne Gebhardt. Dass Nahles sich vor der Diskussion in Sindelfingen gedrückt hat, kommt in Baden-Württemberg flügelübergreifend nicht gut an, erfüllt aber für den Parteitag seinen Zweck: gemeinsame Feinde einen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Krise bei Volkswagen
1.000 Befristete müssen gehen
Scholz stellt Vertrauensfrage
Traut mir nicht
Wahlprogramm der Union
Scharfe Asylpolitik und Steuersenkungen
Mord an UnitedHealthcare-CEO
Gewalt erzeugt Gewalt
Rechtsextreme Demo in Friedrichshain
Antifa, da geht noch was
Künftige US-Regierung
Donald Trumps Gruselkabinett