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Datenskandal bei SPD-JugendorganisationTricksen, täuschen, tarnen

Mitglieder des Juso-Vorstands Baden-Württemberg missbrauchten jahrelang Daten. Linke Kreisverbände sollten unterwandert werden.

Leon Hahn, Juso-Landeschef BaWü, war Teil des Skandals und lässt vorläufig alle Parteiämter ruhen Foto: picture alliance

Reutlingen taz | Die Anweisung an das Juso-Mitglied M. E. aus dem Rhein-Neckar-Kreis klang konspirativ: „Bitte achte darauf“, stand zu Beginn der Mail vom 15. März 2017, abgeschickt um 20.33 Uhr, „dass beim Weiterleiten nichts mehr von den anderen Sachen dabei ist, sodass man nicht sieht, dass ich, Matthias oder Farah was damit zu tun haben.“

Daraufhin folgt ein vorformuliertes Bewerbungsschreiben um einen Vorstandsposten innerhalb des Juso-Kreisverbandes Rhein-Neckar, inklusive Lebenslauf. Mitglied M. E. brauchte es nur noch abzuschicken. Die verdeckte Aktion war offenbar Teil einer Strategie des Juso-Landesvorstandes, um linke Kreisverbände in Baden-Württemberg gezielt zu unterwandern.

Diese und andere Mails gehören zu einer ganzen Sammlung von Unterlagen, die der taz vorliegen und aus denen hervorgeht, dass sich sieben von neun Vorstandsmitgliedern im Landesvorstand der baden-württembergischen Jungsozialisten seit längerer Zeit an Manipulationen und fragwürdigen Praktiken beteiligen. Um bei parteiinternen Wahlen die eigenen Kandidaten durchzuboxen, beschafften sie sich rechtswidrig Mitgliedslisten und legten Dossiers über Andersdenkende an.

Alle Beteiligten zählen zur einflussreichen Gruppe der „Netzwerker“ in der SPD, einem Sammelbegriff für pragmatische Karrieristen. Auch dem Datenschutzbeauftragten des Landes liegen die Unterlagen inzwischen vor. Die baden-württembergische SPD und ihr neuer Vorsitzender Andreas Stoch mussten deshalb reagieren: Der Landesgeschäftsführer der Jungso­zia­listen wurde inzwischen gekündigt.

Südwest-Jusos Teil des konservativen Lagers

Der Parteinachwuchs im Südwesten gehört mehrheitlich schon seit Jahren zum eher konservativen „Netzwerker“-Lager innerhalb der SPD. Das lose Bündnis war Ende der 90er Jahre von jüngeren Bundestagsabgeordneten gegründet worden, um die lähmenden Flügelkämpfe innerhalb der Partei zu beenden. Einer der Gründer ist der heutige Bundesminister für Arbeit und Soziales, Hubertus Heil.

Der Parteinachwuchs im Südwesten nahm die Bezeichnung „Netzwerker“ offenbar wörtlich. Juso-Kreisverbände, die durch abweichende Meinungen auffielen, wurden von den Netzwerkern von bestimmten Informationen ausgeschlossen und deren Mitglieder auf eine Liste gesetzt, die alle Namen von Abweichlern oder Unentschlossenen enthielt. Auf diesem Weg wollten die Netzwerker schon im Vorfeld interner Abstimmungen sicherstellen, dass sie eine Mehrheit unter den Delegierten zustande bekommen würden.

Besonders aktiv wurden die „Netzwerk-Jusos“ im Herbst vergangenen Jahres. Die Wahl der SPD-Landesvorsitzenden stand auf der Tagesordnung des Landesparteitags. Die bisherige SPD-Chefin in Baden-Württemberg, Leni Breymaier, war als linke Gewerkschafterin den Netzwerkern ein Dorn im Auge. Mit dem Gegenkandidat Lars Castellucci sollte einer der Ihren den Vorsitz im Land übernehmen. Eine Mitgliederbefragung und ein anschließender Landesparteitag sollte die Chef-Frage klären.

Das war die Stunde der Netzwerker. Über die parteiinterne Datenverwaltung MavIS wurden Anschriften und Adressen von SPD-Mitgliedern gezogen und über jeden Juso-Delegierten ein Geheimdossier angelegt. Die Initiatorin der Kaderakten, so steht es im Verlaufsprotokoll, war die heutige Juso-Landesvorsitzende Stephanie Bernickel.

„Aktivitäten unter der Decke“

Neben den Einschätzungen von Delegierten – „steht argumentativ voll bei uns“ – hält das Dossier auch fest, welcher Delegierte noch bearbeitet werden muss und wer dafür im Landesvorstand zuständig ist. Bei dem Delegierten aus dem Kreisverband von Leni Breymaier notiert die Juso-Vorsitzende etwa: „KV von Leni; daher Aktivitäten unter der Decke“.

Diese Art von Kaderbildung hatte offenbar schon unter ihrem Vorgänger Leon Hahn Tradition. In einer Mail vom 14. Juni 2018, die der taz ebenfalls vorliegt, schickte der damalige Juso-Chef kurz vor einer Landesdelegiertenkonferenz eine Liste mit allen Delegierten an die ­Netzwerker im Juso-Vorstand, versehen mit dem Hinweis: „Diese Liste ist absolut vertraulich zu behandeln und darf an niemanden!! weitergegeben werden.“ Hinter jedem Namen ist ein Kürzel eingetragen als Hinweis, wer im Landesvorstand für „die ­individuelle Betreuung“ zuständig ist. „Individuelle Betreuung“ ist dabei die Umschreibung für massive Beeinflussung. Jedes Mitglied wird in dem Geheimdossier politisch eingeschätzt, ob es zu „wir“, zu den „Linken“ oder als „neutral“ zählt.

Noch dreister ging der damalige Juso-Chef Hahn im ­April 2018 vor. Wenige Tage vor einem Landesparteitag bediente er sich wieder aus der Mit­gliederdatei des Zentralcomputers und schickte die Liste mit dem Hinweis „absolut vertraulich behandeln“ an sein Netzwerk.

Juso-Chef Leon Hahn lässt Parteiämter ruhen

Inzwischen hat Hahn alle Parteiämter „vorläufig ruhen“ lassen. Denn seit Dezember 2018 untersucht der Datenschutzbeauftragte des Landes Stefan Brink die Vorgänge in der SPD-Jugendorganisation. Er will Ende Februar seinen Bericht vorlegen. Wie der Datenschützer an die Unterlagen gelangte, ist nicht bekannt. Allerdings ist man in der Landes-SPD alarmiert, denn Brink forderte vor einigen Tagen auch noch MavIS-Daten an, die vor das Jahr 2013 reichen und somit möglicherweise eine mehrjährige Praxis bei der illegalen Weitergabe von Mitgliederdaten belegen könnten.

Die jetzige Juso-Landeschefin Stephanie Bernickel und andere dem Netzwerk angehörende Vorstandsmitglieder wollen vorerst keine Konsequenzen aus dem Datenskandal ziehen. Auf einer Sitzung im oberschwäbischen Ravensburg lehnten die Anwesenden Mitte Februar einen Antrag ab, der den Rücktritt aller Beteiligten und den Ausschluss von politischen Ämtern für mindestens drei Jahre gefordert hatte. Der Antrag war vom Kreisverband Freiburg gestellt worden. Im Dossier ist er als „links“ eingestuft.

Transparenzhinweis: Der Autor arbeitet hauptberuflich als freier Journalist und ist SPD-Mitglied.

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9 Kommentare

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  • Ignoriert man oder leugnet man die Folgen, wenn in einem angeblichen Rechtsstaat, von angeblicher Demokratie, Pressefreiheit und Rechtsstaatlichkeit, mit zweierlei Maß gemessen wurde und wird? Während man in Deutschland, ohne Beweise, von Einflussnahme bei Parteien aber immer nur im Ausland kritisiert, aber selber alles daran setzt, die sog. Rechtsstaatlichkeit von Verantwortlichen mit Füßen getreten wird? Also in Deutschland, wie im gesamten Westen überhaupt, mit zweierlei Maß gemessen wird und täglich wird?

  • Also, diese Kungeleien und auch das Nachrechnen, wie die Stimmen ausfallen und mögliche Einflußnahme, die hat es immer gegeben und überall. Das Interessante daran ist, dass es meist nix mit irgendwelchen politischen Inhalten zu tun hat. Gut, in der SPD sowieso nicht, das merkt man schon, wenn da die Jusos meinen, irgendwen mit "Linke" einstufen zu können.



    In Baden-Württemberg!!!?



    Insofern bin ich jederzeit wieder dankbar, wenn eine Partei, wie z:B. die LINKE, ihre Differenzen inhaltlich öffentlich macht und obwohl auch bestimmt dort gerechnet wird und überlegt wird, wie wer abstimmt, die Überzeugungsarbeit öffentlich ablaufen muss, so dass jeder sie mitbekommt.

    ALLERDINGS:



    Eines ist doch mehr als bedenklich. Da schreibt ein ganzer Jusovorstand, dass bestimmte Unterlagen vertraulich behandelt werden sollen und ist offenbar von jedwedem PC- und Internetwissen vollständig unbeleckt und verschickt das ganze per Mail, wahrscheinlich auch noch unverschlüsselt. Für sowas hat man früher entsprechende Seminare oder Kurse von seiner Parteistiftung abgehalten, bei der nur die genehmen noch Plätze bekamen.



    Diese Leute sollten nicht nur zurücktreten, sondern sofort ihren PC in den Müll werfen, hoffen, dass sie keinen Informatikunterricht in der Schule haben (den die dann wohl kaum mit mehr als 1 Punkt abschließen können) und froh sein, wenn die dermaßen dämlich mit solchen Sachen umgehen, wenn die noch jemals im Leben irgendwer auf einem Posten haben will, wo auch nur das geringste Vertrauen notwendig ist. Wer mit seinen eigenen vertraulichen Dokumenten so umgeht, dem darf man nix anvertrauen, bei dem man auch nur eine persönliche Date eines anderen erhält.

  • Naja, mit 12,7% kämpft die SPD in BaWü schlicht ums überleben - dass da auch bei den Jusos die Nerven blank liegen, erstaunt mich da nicht wirklich.

  • Datenskandal hört sich irgendwie verharmlosend an. Für mein dafürhalten, wurde zum Zwecke der Absetzung von Leni Breymaier (eine der noch wenigen Aufrechten in der SPD) eine konspirative Seilschaft am Abgrund der Legalität angelegt.



    Leni Breymaier musste weg! Um jeden Preis!

    Um zu wissen, dass die SPD insgesamt keine weitere Chance durch den Wähler verdient hat, muss man sich nur anschauen, was die SPD Protagonisten mit dem Gründer solcher komischen Netzwerke, einem der Hartz IV für „richtig und wichtig“ hält, einen der das bayrische Familiengeld von mtl. 250,-- veranlasste, per Anordnung bei den Familien durch Bescheid wieder zurück zu fordern. Hubertus Heil wurde von der SPD Clique zum Bundesminister für Arbeit und Soziales berufen.



    Und was hat die SPD Clique mit Leni Breymaier getan?

    Die SPD ist seit Schröder durch marktradikale Kräfte kontaminiert. Solange die SPD nicht wirkliche personelle Konsequenzen zieht, und die alten Schröderianer restlos aus der Partei entsorgt, wird alles bleiben wie bisher. Das sieht dann so was: Vor den Wahlen wird die SPD laut links blinken um nach der Wahl erneut rechts abzubiegen und mit jeder Wahl werden die gutgläubigen die noch SPD gewählt immer weniger.

    In Bayern droht der SPD bei der EU Wahl, ein Ergebnis unter 5%. So muss es mit der SPD weiter gehen, damit ein Neuanfang möglich wird.

  • „Diese Liste ist absolut vertraulich zu behandeln und darf an niemanden!! weitergegeben werden.“

    und deshalb speichern man sie auf einem Computer und verschickt sie per Mail. Das sind also die digital Natives? Muss man euch auch noch das Mauscheln beibringen?

    • @pitpit pat:

      Nein, muss man nicht. Mauscheln können die schon ganz gut, die Rechten SPD-Leute. Was sie noch lernen müssten ist, sich dafür zu schämen, dass sie ohne Betrug nicht ans Ziel kommen bzw. sich einen ehrlich errungenen Sieg nicht zutrauen. Aber schon klar: Wie die Alten sungen...

    • @pitpit pat:

      Ha no. Nöja. Anders. Doch. Gellewelle.

      Das ist so derart in Fleisch&Blut jusojudorcds-like vande Muttermilch.



      Seit Lichtjahren. Schmerzfrei completto

      unterm——Reminiszenz—-



      Als sich die “Unfrisierten“ unter den Richtern&Staatsanwälten so ab etwa Anfang/Ende der 70er lockerflockig zusammenfanden. Mußteste diesen steinaltJungschnöseln - Erstmal mit dem Vorschlaghammer dero Flausen (“die Mehrheit von 3 obsiegt die Minderheit von 6!“ - wa) - aussem Kopp&Klamotten klopfen. Doch Doch!

      (ps - Getoppt nur/noch von den exK&AO-Schrägschissern ~~ Richtung Immergriien…ff. Ooch klar. Gellewelle)

      kurz - Sonderform - Indolenz politici •



      “Das muß demokratisch aussehen.



      Wir müssen aber alles in der Hand haben!“



      SpitzbartWalter&OlConny - Darin warense sich voll antidemokratisch einig. Der eine auf sächsisch - Newahr. Der andere auf rheinländisch. Normal.

      Wie die Alten sungen - Zwitschern hück



      Dero kalkig-angejahrten Jungen.

      ——vgl - so schon —



      “Die kleinen Parlamente



      »Zur Geschäftsordnung!«



      www.textlog.de/tuc...ky-parlamente.html



      & der - meinte ja noch - es mit intelligenten Menschen zu tun zu haben. & Däh! —



      ”…Ach, es sind nicht nur die kleinen Parlamente. Auch in den großen ... Aber das ist ein weites Feld.“







      Ignaz Wrobel



      Berliner Tageblatt, 28.11.1919, Nr. 568,



      wieder in: Mona Lisa.

      • @Lowandorder:

        Stimmt auch wieder.

        Der Tucholsky Text gefällt mir. Gilt auch noch im 21. Jh.

  • "pragmatische Karrieristen", die sich um das Recht einen Drecks scheren und die keine Konsequebzen erfahren. Also wird weitergemacht.

    Das ist ein allfälliges Problem der Gesellschaft bei Bankenkrise, Dieselskandal und in der Politik. Danke für die Skrupellosigkeit. Den Frust darüber nutzen die Rechten.