Russlandpolitik von Merkel und Co.: Fragen am Golf von Neapel
Hoch über dem Meer ist der Blick frei auf Merkels Lieblingsinsel. Was sie im Urlaub von der eigenen Politik wohl denkt? Und was will Scholz?
O stermontag, hoch oben über Neapel. Ich stehe an der Klippe des Cap Posillipo und genieße den Ausblick über das Meer. Unter mir öffnet sich prachtvoll der Golf, von hier aus sieht man die „drei Schönen“ im Wasser liegen, die Inseln Capri, Procida und Ischia, die Lieblingsinsel der Ex-Kanzlerin. Ich stelle mir vor, wie „La Märkäl“, wie die Italiener sie nennen, drüben in einem Strandrestaurant sitzt mit ihrem Mann, vor sich einen Teller Linguine allo Scoglio, nach Klippenart, mit Muscheln, vielleicht auch ein Glas Weißwein. Merkels bevorzugter Ort ist das beschauliche Fischerdorf Sant’ Angelo – vor rund zwanzig Jahren, es war während des zweiten Tschetschenienkriegs, habe ich einmal einen Tross Leibwächter und Fotografen über die Piazza huschen sehen, in ihrer Mitte zwei Menschen, das müssen sie gewesen sein.
Vielleicht war es aber auch Gerhard Schröder mit seiner damals aktuellen Gattin, auch er ein Liebhaber der Insel mit den Thermalquellen und seit 2004 Ehrenbürger von Ischia. Ob er es noch ist, angesichts seiner Freundschaft zum Kriegsverbrecher Putin? Und ob Merkel, wenn sie heute auf Ischia urlaubt, dort noch so willkommen ist wie früher, jetzt wo die verheerenden Folgen ihrer von deutschem Wirtschaftsegoismus getriebenen „europäischen“ Russlandpolitik so klar daliegen wie das Meer am Strand von Sant’ Angelo?
Jedenfalls war von Frau a. D. bislang nicht mehr zu hören als eine schmallippige Mitteilung, dass es richtig war, 2008 der Ukraine und Georgien den Nato-Beitritt zu verweigern. Ob Merkel in ihrem Urlaub von der eigenen Politik wohl die blau-gelbe Solidaritätsbeflaggung auf vielen Dächern in Kampanien wahrnimmt, die Informations- und Hilfestationen für ankommende Flüchtlinge, die zwischen den Touristenströmen umherirrenden Frauen und Kinder?
Im Bus 140, der den Hügel zum Hafen herunterrattert, spricht mich eine Frau auf Polnisch an, dann auf Ukrainisch. Sorry, deutsche Touristin, sage ich. Das ist gut, antwortet sie auf Englisch, so solle es auch sein: zu Ostern Meer und Pizza mit der Familie. Sie hingegen hänge hier fest und warte auf ihren Mann, der in Deutschland Arbeit gefunden habe. Bald wollten sie sich in Neapel treffen und zusammen überlegen, wie und vor allem wo es jetzt für sie weitergehe. Nach Hause könnten sie nicht mehr, „kaputt“, murmelt sie auf Deutsch und zuckt hilflos mit den Schultern.
Ja, es ist ein Luxus, sich für ein paar Tage eine Auszeit vom Alltag und den (Kriegs)nachrichten zu nehmen und mit der Familie auf den Klippen herumzusteigen. So ganz wegdrängen lassen sich die Nachrichten natürlich nicht – beim Kaffee mit einem italienischen Bekannten fragt mich der, ob eigentlich schon jemand zurückgetreten sei aus der Ära Merkel. Eine logische Frage, vor allem aus Italien, wo man noch gut im Ohr hat, wie schulmeisterlich deutsche Politiker:innen in der Eurokrise den südlichen „Schuldenstaaten“ erklärten, dass man für die Folgen der eigenen Politik halt auch selbst einstehen müsse.
Wer steht eigentlich ein für die offensichtlich gescheiterte deutsche Russlandpolitik? Merkel ja nicht mehr. Steinmeier? Hat wortreich Abbitte geleistet, um sein Amt zu retten. Oder Nord-Stream-2-Königin Schwesig? Beharrt noch immer auf den Vorzügen der „brückenbauenden“ Gasinfrastruktur. Und Bundeskanzler Scholz? Was denkt er, was will er, was will er liefern nach Kiew?
Ehrlich gesagt: keine Ahnung. Oder wie würden Sie so einen Satz übersetzen, und sei es auch nur ins Deutsche: „Deshalb ist es so, dass es kein Zufall ist, dass alle zu dem gleichen Schluss gekommen sind, dass den meisten Sinn macht, wenn zum Beispiel solche Systeme, die bei den osteuropäischen Nato-Partnern noch vorhanden sind, von dort aus eingesetzt werden, und wir denen dann ermöglichen, dass ihre eigene Sicherheit für die Zukunft gewährleistet bleibt.“
Ist damit dieser Waffen-Ringtausch gemeint? Oder ist das wieder nur so eine Scholz’sche Nullfloskel? Zur Übersetzung behelfe ich mich mit einer international bekannten Geste: Beide Handflächen zeigen geöffnet nach oben.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Erderwärmung und Donald Trump
Kipppunkt für unseren Klimaschutz
Streit um Russland in der AfD
Chrupalla hat Ärger wegen Anti-Nato-Aussagen
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
EU-Gipfel zur Ukraine-Frage
Am Horizont droht Trump – und die EU ist leider planlos