Russland schweigt zu Kyjiws Großangriff: War da was?
Der Kreml äußert sich bislang mit keinem Wort zur ukrainischen „Spinnennetz-Operation“ gegen die russische Luftwaffe. Bei der wurden viele Kampfjets zerstört.

Auch ihr Chef, der russische Außenminister Sergei Lawrow, der die Ukraine gern mal als „unfähigen Staat mit überfälligem Präsidenten“ bezeichnet, sagt nichts. Geschweige denn der russische Präsident Wladimir Putin. Er lässt sich am Montag mit seiner Kinder-Ombudsfrau Maria Lwowa-Belowa – gegen beide liegt ein Haftbefehl des Internationalen Strafgerichtshofes in Den Haag wegen Verschleppung ukrainischer Kinder vor – im Kreml ablichten. „War da was?“, sollen die Bilder verbreiten.
Es ist Russlands gängige Strategie auf unerwartete Ereignisse: still sein, bloß nicht reagieren, wenn die Welt eine Reaktion erwartet. Eine schnelle Antwort – zumal eine Antwort in Moskau nie unter Druck formuliert werden will – gilt unter Russlands Offiziellen als Schwäche. Also breitet sich erst einmal eine Art Maulkorb über das Land aus.
Die Zeitungen schreiben den immer gleichen Satz von „Nach Angaben des russischen Verteidigungsministeriums gerieten mehrere Flugzeuge auf Militäranlagen in Brand“. Dass strategische Raketenträger getroffen worden sein sollen, erwähnt kaum einer. Und auch im Fernsehen wird lediglich die Pressemitteilung des russischen Verteidigungsministeriums eingeblendet: „Auf Militärflughäfen in den Regionen Iwanowo, Rjasan und Amur wurden alle terroristischen Attacken abgewehrt. In der Region Murmansk und Irkutsk kam es in Folge von gestarteten FPV-Drohnen in unmittelbarer Nähe von Flughäfen zum Entflammen einzelner Flugzeugeinheiten. Das Feuer ist liquidiert. Opfer innerhalb des Militär- und Zivilpersonals gibt es keine.“ Und schon berichtet der TV-Moderator von Schlägen der russischen Armee in der Ukraine.
Die Propaganda wirft der Ukraine jetzt Terror vor
Derweil zeigen Videoaufnahmen in unterschiedlichen russischen Telegram-Kanälen, wie sich auf Straßen in der Region Irkutsk die Lastwagen stauen: Jeder Wagen wird kontrolliert. Die ukrainische „Operation Spinnennetz“ – bei der, so auf Satellitenbildern zu sehen, mindestens zwölf strategische Bomber getroffen wurden – wurde von Lkws gestartet. Es herrscht offenbar die Sorge, dass noch weitere Lastwagen mit Holzboxen samt Drohnen unterwegs sein könnten.
Z-Blogger Alexander Koz
Immerhin: Die Zeitung Moskowski Komsomolez macht ihre Montagsausgabe mit einem Bild des brennenden Flugplatzes Belaja bei Irkutsk auf. Was da in Flammen steht, wird nicht erklärt. Klar ist für die Redaktion aber eines: Es sei die Ukraine, die Terror verbreite, weil sie nicht am Frieden interessiert sei.
In einem Istanbuler Luxushotel treffen währenddessen ukrainische und russische Delegationen zu direkten Gesprächen zusammen. Mit den Schlägen gegen die Flughäfen und den Sabotageakten, die zum Einsturz von Brücken und entgleisten Zügen bei Brjansk und Kursk führten, habe die Ukraine, so heißt es bei Moskowski Komsomolez, vor ihren westlichen Partnern „prahlen“ wollen. Gelungen sei das jedoch nicht.
Andere versuchen die Verluste kleinzureden. Der russische Propagandist Andrei Medwedew schreibt, als würde er wie ein wütendes Kleinkind mit dem Fuß stampfen: „Ja, es gibt Verluste. Aber unsere restlichen Flugzeuge reichen dreimal aus, um die Ukraine zu zerstören.“ Auch der Z-Blogger Alexander Koz meint auf seinem Telegram-Kanal trotzig: „Wir werden den Krieg trotzdem gewinnen.“
Manche russische Beobachter*innen fordern wie so oft, Moskau müsse nun endlich härter reagieren. „Alle Verhandlungen mit der Ukraine müssen für immer unterbrochen werden“, schreibt der russische Politologe Alexei Pilko. Die Ukraine spiele ein schmutziges Spiel und versuche, Russlands Bemühungen um langanhaltenden Frieden zu stören.
Der Ukraine geht es in Istanbul um sofortigen und bedingungslosen Waffenstillstand, den Russen um die „Beseitigung der Grundursachen“. Das ist in ihren Augen die politische Unterwerfung der Ukraine, letztlich die Kapitulation Kyjiws. Die Positionen bleiben nach wie vor unvereinbar. Das russische Fernsehen bezeichnet am Montag die Forderungen Kyjiws als „von der Realität losgelöste Skizzen“.
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