piwik no script img

Russischer Impfstoff gegen VirusDer kalte Corona-Krieg

Kommentar von Barbara Oertel

Russlands Wissenschaftler liegen Präsident Putin zufolge im internationalen Wettlauf um einen Impfstoff weit vorn. Zweifel sind angebracht.

Auf einem Pressefoto wird der neue Impfstoff an einem Institut in Moskau präsentiert Foto: RDIF/ap

C hapeau, Wladimir Putin! Dieser Mann sollte nicht unterschätzt werden. Wieder ist Russlands Präsident an vorderster Front unterwegs. Diesmal nicht im Donbass, um seine Landleute vor ukrainischen „Faschisten“ zu schützen, sondern im Kampf gegen Corona. Russland hat bereits jetzt den ersten Impfstoff, schon stehen Leute wie Brasiliens Präsident Jair Bolsonaro in der Warteschlange, um das Gegenmittel zu erwerben.

Nun kann niemand ernsthaft behaupten, Russland mangele es an fähigen Wissenschaftler*innen. Schon zu Sowjetzeiten gab es hervorragende Spe­zia­lis­t*in­nen, die in ihrem Eifer allenfalls durch eine chronisch defizitäre Ausstattung gebremst wurden. Auch ist Putin schwerlich der Vorwurf zu machen, er habe, anders als sein belarussischer Amtskollege Alexander Lukaschenko, die Pandemie nicht ernst genommen.

Was allerdings nichts an dem Umstand ändert, dass allzu auskunftsfreudiges medizinisches Personal auch schon mal den Job verlor. Und an die offiziellen Statistiken glaubt ohnehin keiner. Dennoch kommt ­Moskaus Vorstoß überraschend – auch für einheimische Expert*innen, die an der Wirksamkeit des Stoffes Zweifel haben. Doch es geht nicht nur um die neue Wunderwaffe Sputnik V. Vielmehr fühlt man sich an den Wettlauf zwischen zwei Systemen zu Zeiten des Kalten Krieges erinnert.

Der „riesige Sprung für die Menschheit“, wie Neil Armstrong die erste Mondladung 1969 nannte, gelang den Amerikanern und nicht den Sowjets. 12 Jahre zuvor hatte SED-Chef Walter Ulbricht das kapitalistische System noch überholen wollen, ohne es einzuholen. Auch daraus wurde nichts. Die Mitkonkurrent*innen um die Entwicklung eines Corona-Impfstoffs sollten sich auf keinen Überbietungswettbewerb einlassen.

Denn es geht um Menschenleben. Sollte allerdings Sputnik (übersetzt: Weggefährte) V – dem Virus tatsächlich den Garaus machen, wäre das ein mindestens ebenso großer Sprung für die Menschheit.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Ressortleiterin Ausland
Geboren 1964, ist seit 1995 Osteuropa-Redakteurin der taz und seit 2011 eine der beiden Chefs der Auslandsredaktion. Sie hat Slawistik und Politikwissenschaft in Hamburg, Paris und St. Petersburg sowie Medien und interkulturelle Kommunikation in Frankfurt/Oder und Sofia studiert. Sie schreibt hin und wieder für das Journal von amnesty international. Bislang meidet sie Facebook und Twitter und weiß auch warum.
Mehr zum Thema

9 Kommentare

 / 
  • Ist schon interessant, auf welcher polemischen Ebene der vermeintliche Erfolg der russischen Forscher abgehandelt wird. Dabei habe ich z.B. in deutschen Qualitätsmedien wie den FREITAG lesen können, dass das russische Medikament erst einmal REGISTRIERT wurde, was erst die Voraussetzung zum Massentest ist.

    Tatsächlich arbeiten sich deutsche Medien oft einfach nur an Putin ab, der nicht ohne Stolz und mit -zugegebenermaßen- dicker Hose Sputnik V als Durchbruch vorstellte. Aber von Zulassung war keine Rede. Nur von guter Wirksamkeit.



    Nur bei unseren Qualitätsmedien wurde einfach Registrierung mit Zulassung gleichgesetzt bzw. aus welchen Gründen auch immer verwechselt.

    Mit vielen Milliarden Steuergeldern wurden westliche Pharmafirmen zugeschüttet, damit so schnell wie möglich ein Impfstoff entwickelt werden kann. Auch hier gibt es beschleunigte Verfahren. Aber es geht auch um riesige Profite.



    Wenn bei uns ein wirksamer Impfstoff gegen Covid19 fertig ist, wird er wahrscheinlich für viel Geld und überteuert auf den Markt kommen. Unabhängig von den Steuermilliarden, die kassiert wurden.

    In Russland soll ab Januar 2021 allen Bürgern auf freiwilliger Basis der Impfstoff Sputnik V kostenlos zur Verfügung gestellt werden.

    • @Rolf B.:

      Laut taz gibt es auch keine Faschisten in der Ukraine die in der Politik mitmischen und auf der Strasse Terror und Angst verbreiten...

  • Ach, übrigens, liebe Medien: Kein Grund, Schaum vor dem Maul zur Schau zu tragen. Andere Länder - andere Sitten. Der russische Impfstoff ist längst noch nicht fertig. Er ist nur schon zu Testzwecken zugelassen, während hierzulande erst getestet und dann zugelassen wird.

    Aber wer, nicht wahr, wird sich mit solchen Kleinigkeiten aufhalten, wenn er von Emotionen lebt, die er erst einmal produzieren muss, damit sie sich auszahlen für ihn?

  • Ein „großer Sprung“ kann allerdings leicht ziemlich teuer werden. Zumindest für die, die immer die Hinde beißen. „Die Chinesen“ etwa könnten ein Versepos darüber schreiben, wenn sie nicht grade an extremer Gedächtnisschwäche leiden würden, weil sie einen starken Mann an ihrer Spitze haben, der andere gar nicht erst einholen, sondern gleich überholen will mittels ihrer schieren Masse.

  • Zitat: „Der ‚riesige Sprung für die Menschheit‘, wie Neil Armstrong die erste Mondladung 1969 nannte, gelang den Amerikanern und nicht den Sowjets.“

    Stimmt. Nachdem „die Amerikaner“ zuvor 12 Jahre lang wie die aufgescheuchten Hühner gegackert, wie wild geforscht und Unsummen ausgegeben hatten, weil im Oktober 1957 der erste künstliche Erdsatellit auf einer Umlaufbahn geschickt worden ist - von „den Russen“.

    Wettbewerb ist eine Sprache, die Kerle überall auf der Welt verstehen und auch sprechen.

  • Drosten als Berater Putins?

    Normalerweise dauert die Entwicklung eines Impfstoffes bis zur Marktreife 10 bis 12 Jahre. Rußland hat da mithin einige Etappen übersprungen. Da folgt Putin offenbar einer Empfehlung von Prof Drosten: „Und für mich, mein persönlicher Schluss ist wirklich, wenn wir das Ganze schaffen wollen als Gesellschaft, in einer Art, dass wir wirklich nicht eine erhöhte Todesrate akzeptieren wollen in der älteren Bevölkerung, dann müssen wir wahrscheinlich regulative Dinge außer Kraft setzen, was Impfstoffe angeht.“ (Prof. Drosten, NDR, 18.3.2020)

  • Der hat bestimmt eigenhändig geforscht. Selbstverständlich oben ohne.

    Im Ernst: der braucht ganz dringend einen PR-Erfolg und zapft lediglich die Ressource, über die er reichlich verfügt -- Zynismus. Verträglichkeitstest und danach Wirksamkeitstest werden einfach als grosse Feldversuche gefahren, Leute gibt es ja genug. "Seine" Wissenschaftler beissen sich sicher auf die Knöchel; nicht zu laut, sonst fliegen sie womöglich aus einem Fenster.

    Ich wünsche Putin und seiner Bande alles Schlechte der Welt, aber in diesem Fall hoffe ich inständig, es möge nicht ins Auge gehen.

    • @tomás zerolo:

      Vom Westen lernen: Die Vorbilder der russischen Medikamenten-Tests

      Zitat Tomàs Zerolo: „Verträglichkeitstest und danach Wirksamkeitstest werden einfach als grosse Feldversuche gefahren, Leute gibt es ja genug.“

      Da haben es die Pharma-Giganten in Westeuropa und Nordamerika schon schwerer. Die müssen nach Indien oder Afrika ausweichen, um billige Versuchslabore für ihre Verträglichkeits- und Wirksamkeitstest und große Feldversuche und Experimente am lebendigen Menschen zu finden (vgl.u.a. „Versuchsperson, ohne es zu wissen“, (SZ, 10.9.2012), „Gekaufte Forschung“ von Christian Kreiß (DLF 22.10.2015), „In der Pharma-Industrie geht Gewinn vor Gesundheit“ (Deutschlandradio Kultur 25.07.2015), „Pharma-Firmen haben keine Skrupel“ (Deutschlandradio Kultur, 25.07.2015)

      • @Reinhardt Gutsche:

        Die gesamte Probandenzahl für das Sputnik-Vakzin bis zur Registrierung (entspricht einer Notzulassung) beträgt 76 (!). Das ist weniger als hierzulande für einen explorativen Phase1-Test verlangt werden. Die russische (!) Gesellschaft für Arzneimitteltests hat sich öffentlich vom Registrierungsprozess distanziert. Die Mehrzahl der Probanden waren übrigens Armeeangehörige, bei denen es Befehlsverweigerung gewesen wäre, wenn sie abgelehnt hätten. Immerhin finden die weiteren Tests mit Sputnik jetzt erst einmal auf den Philippinen und den Emiraten statt. Das ist natürlich überhaupt nicht vergleichbar mit den Untaten der westlichen Pharmaindustrie, richtig?