Russische Behörde wieder zugelassen: Doping? Alles außer Kontrolle
Die Welt-Anti-Doping-Agentur lässt die russische Kontrollbehörde Rusada wieder zu. Damit setzt sie ihre Glaubwürdigkeit aufs Spiel.
„Vernichtungssequenz 1, Code 1-1-A“ lautete das Kommando, mit der die Führungscrew des Raumschiffs Enterprise in der Serie „Star Trek“ die Selbstzerstörung einzuleiten pflegte. Das kam gelegentlich bei Übernahmen des Schiffs durch andere Lebensformen vor. Ganz ohne Klingonengefahr indes leitete die Führung der Welt-Anti-Doping-Agentur (Wada) am Donnerstag auf den Seychellen die Selbstzerstörung der eigenen Organisation ein.
Das „9 -1-2“- Abstimmungsergebnis des Exekutivrats, mit dem die Wiederzulassung der russischen Antidopingagentur Rusada beschlossen wurde, erinnert an den Code „1-1-A“ der Sternenflotte. Neun Mitglieder des Exekutivkomitees votierten für die Wiederzulassung, zwei dagegen. Zudem gab es eine Enthaltung. Für die auf Konsens getrimmte Organisation Wada ist dies eine kritische Situation.
Dagegen dürfte Linda Helleland, die norwegische Sportministerin und Vizepräsidentin der Wada, gestimmt haben. „Heute haben wir für die ehrlichen Sportler auf der ganzen Welt versagt. Die Entscheidung wirft einen Schatten auf die Glaubwürdigkeit der Anti-Doping-Bewegung“, sagte sie.
Kritik kam auch von einem der effektivsten Dopingjäger. Travis Tygart, Chef der US-Anti-Doping-Agentur Usada: „Heute haben wir die wichtigste Entscheidung in der Geschichte der Wada erlebt, und sie endete mit einem verheerenden Ergebnis für die sauberen Athleten in aller Welt.“
Bedenken zuvor geäußert
Travis und Helleland hatten, wie viele andere Sportfunktionäre, Sportler und Antidopingaktivisten, ihre Bedenken zuvor auch ausführlich geäußert. Sie erklärten, dass der Wada-Beschluss die eigenen Kriterien für die Wiederzulassung der russischen Antidopingagentur einfach außer Kraft setzen würde.
„Ich kann Fortschritte bei der Rusada erkennen. Aber wir müssen uns an die ursprünglich verabredete road map halten. Das bedeutet, Russland muss die Ergebnisse des McLaren-Reports anerkennen. Und die Rusada muss Zugang zu ihren Doping-Laboratorien gewähren“, erläuterte Helleland.
Linda Helleland, Vizepräsidentin der Wada
Die „road map“ wurde im Januar 2017 festgelegt, infolge des McLaren-Reports. Der hatte ein komplexes Dopingvertuschungssystem des russischen Sports belegt. Mindestens 643 positive Proben wurden von 2011 bis 2015 unter den Tisch gekehrt, das Gros mit 139 Fällen in der Leichtathletik. Aber auch elf Proben im Fußball waren darunter.
Diese Dopingfälle muss man zu dem ohnehin schon großen Anteil dennoch erwischter russischer Sportler hinzurechnen. In den Jahren 2013 bis 2015 betrafen jeweils etwa 10% aller Dopingfälle weltweit russische Athleten, insgesamt 549 Fälle. Mehr als eine Tausendschaft gedopter Athleten aus Russland im Vorbereitungszyklus auf Olympia 2016 in Rio.
Die Welt wartet bis heute
Das ist enorm. Es führte zu Sanktionen, und eben zu Bedingungen wie das Eingestehen der staatlich orchestrierten Dopingvertuschung und dem Zugang zum Labor. Letzteres geschah bislang nur partiell. Im November 2017 vermeldete die IAAF zwar stolz, dass ihren Ermittlern die Lims-Datenbasis des Moskauer Labors übergeben worden war.
„Mit den Lims-Daten allein lässt sich nicht immer ein Dopingfall begründen. In Verbindung mit anderen Beweismitteln kann das aber sehr hilfreich sein“, sagte der Wada-Chefermittler, der frühere deutsche Bundespolizist Günter Younger damals. Auf die anderen Beweismittel, die Rohdaten aus dem Labor etwa, wartet Younger noch heute.
Auf das Eingeständnis der russischen Führung, die Dopingvertuschung organisiert zu haben, wartet die Welt noch heute. Das Kriterium mag wie eine Demütigungsgeste vom – ebenfalls nicht Doping-freien – Westen gegenüber Russland wirken. Aufgrund der hierarchischen Grundstruktur der russischen Gesellschaft bleibt die Forderung aber eminent wichtig.
Bei einer Anhörung des US-Kongresses im Rahmen einer Verabschiedung eines neuen, härteren Strafgesetzes betonte die einstige russische Spitzenathletin Julia Stepanova: „Die russischen Sportler folgen Befehlen. Damit das Dopingsystem aufhört, muss der Stopp von oben kommen.“
Putin und das Doping
Auf die Nachfrage einer Kongressabgeordneten, ob, wenn Präsident Putin eine andere Haltung zum Doping an den Tag legte, dann auch die unteren Chargen die Finger vom Doping lassen würden, sagte Insiderin Stepanova klar: „Ja, ich denke, das wäre so.“
Diesen Hebel zur Veränderung gibt die Wada mit ihrem Entscheid von den Seychellen komplett aus der Hand. Die Kontrollinstanz reiht sich damit ein in die Riege der kompromittierten Sportverbände. Die Fifa hatte ihre – freilich auch recht zahnlosen – Ethik-Chefs kurzerhand gefeuert, als die sich gegen die Wiederkandidatur des russischen Sportministers Vitali Mutko – einem der in Sachen Dopingsteuerung hoch belasteten Sportfunktionäre – einsetzten. Auch die Untersuchungen der vertuschten Dopingfälle von Fußballern im Lande des WM-Ausrichters 2018 versandeten.
Das IOC wiederum öffnete die Tür für eine Wiederaufnahme russischer Athleten, ohne auf die Erfüllung der Wada-Kriterien zu drängen. Im Wada-Exekutivkomitee sind fünf der zwölf Mitglieder denn auch IOC-Mitglieder und damit direkte Überbringer der Russland-freundlichen Botschaften von IOC-Präsident Thomas Bach.
Die Kontrolleure stehen hier in einer untergeordneten Position gegenüber denen, die sie eigentlich kontrollieren sollen. Die Struktur ist so, als würde der Steuerbetrüger Uli Hoeneß eine Aufsichtsrolle für die bayrischen Finanzämter innehaben. Absurder Sport.
Wirksamkeit im Dunkeln
Andere Kriterien der road map wurden allerdings erfüllt. Die britische Antidopingagentur Ukad etwa übernahm ab 2017 Dopingkontrollen russischer Athleten und schulte parallel russische Kontrolleure. Ab 2018 kontrollierte dann die Rusada selbst. Laut deren Statistik wurden 3.805 Kontrollen durchgeführt – deutlich mehr als im Vergleichszeitraum 2017 unter Ukad-Aufsicht.
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Von Januar bis September 2017 wurden lediglich 2.278 Proben genommen. Schlimmer aber ist: Für beide Jahrgänge fehlen die Zahlen, wie viele Kontrollen überhaupt zu positiven Tests führten. Die Wirksamkeit der Tests bleibt komplett im Dunkeln.
Bemerkenswert ist immerhin, dass die Rusada in ihrer Statistik von 2018 sogar die Namen der getesteten Athleten aufführt. Derartige Transparenz kennt man im Westen nicht. Die Wada steht nach ihrem umstrittenen Entscheid vor einer Zerreißprobe. Sportler weltweit protestieren. Und selbst ein Funktionär wie Sebastian Coe, Präsident des Leichtathletikweltverbands IAAF, weist darauf hin, dass nicht alle russischen Sportler jetzt automatisch zu Wettkämpfen zugelassen sind.
„Die IAAF behält sich eine eigene Entscheidung vor. Ein wichtiges Kriterium war die Wiederzulassung der Rusada. Offen bleiben aber die Anerkennung des McLaren-Reports durch die russische Seite und der komplette Zugang zu den Laboren“, hieß es in einem IAAF-Statement. Die IAAF berät Ende des Jahres. Sollte sie konsequent und kohärent handeln und den russischen Leichtathletikverband nicht zulassen, ist die Teilung des Weltsports da. Der Code dafür wurde auf den Seychellen eingegeben.
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