Rücktritt von Christine Lambrecht: Ein kurzer Brief zum langen Abschied
Christine Lambrecht wirft als Verteidigungsministerin hin und gibt den Medien die Schuld am Scheitern. Kanzler Scholz will die Nachfolge bald regeln.
Lambrechts Rückzug ist genauso abgelaufen wie ihre Amtszeit: unerfreulich und geprägt von Indiskretionen. Zuerst hatte am Samstag die Bild, offenbar aus Quellen im Verteidigungsministerium, von dem bevorstehenden Rücktritt berichtet. Dass Lambrecht noch nicht mal ihren Abgang selbst publik machen konnte, darf man als Demütigung deuten. Allerdings lässt Lambrechts kurzer Brief zum langen Abschied auch jede Art von Souveränität vermissen. Dort heißt es: „Die monatelange mediale Fokussierung auf meine Person lässt eine sachliche Berichterstattung und Diskussion über die Soldatinnen und Soldaten, die Bundeswehr und sicherheitspolitische Weichenstellungen im Interesse der Bürgerinnen und Bürger Deutschlands kaum zu.“ Übersetzt heißt das: Die Medien sind schuld an ihrem Rücktritt.
Das dürfte auch Kanzler Olaf Scholz, der Lambrecht bis zuletzt verteidigt hatte, wenig beeindrucken. Denn Scholz’ erklärter Grundsatz lautet: „Don’t complain, don’t explain. Beschwere dich nicht darüber, was war – und erkläre es auch nicht.“
Lambrecht hatte nie ein glückliches Händchen mit den Medien – und ist sich da bis zur letzten Sekunde treu geblieben. Scholz will nun zeitnah die Nachfolge regeln. Und die Zeit drängt. Denn am Freitag treffen sich die VerteidigungsministerInnen der Ukraine-Kontaktgruppe in Ramstein, um über Waffenlieferung an die Ukraine zu beraten. Dass sich Deutschland dort von einer Staatssekretärin oder einem Staatsekretär vertreten lässt, ist unwahrscheinlich.
Nachfolge ist kompliziert
Die Nachfolge ist allerdings kompliziert. Ideal wäre: Eine Frau, die Erfahrung als Ministerin hat und Ahnung vom Militär. Das Problem: Sie gibt es nicht. Dass es bei der Auswahl die Quote im Kabinett zu beachten gilt, macht die Sache nicht einfacher. Und dieser Umstand mindert die Chancen von SPD-Chef Lars Klingbeil, der, mit viel Affinität zur Bundeswehr ausgestattet, weniger Anpassungsschwierigkeiten hätte als Lambrecht.
Aber wenn Klingbeil Minister würde, müsste ein Mann im Kabinett durch eine Frau ersetzt werden. Auch der Doppeljob als SPD-Chef und Minister spricht gegen Klingbeil. Aus dem Umfeld von SPD-Arbeitsminister Hubertus Heil, dem viele zutrauen, auch den schwerfälligen bürokratischen Apparat des Verteidigungsministeriums zu steuern, war am Montag die Andeutung zu hören, dass ein Wechsel in den Bendlerblock nicht anstehe.
Auch Kanzeramtschef Wolfgang Schmidt, der sich intensiv mit Rüstungs- und Außenpolitik befasst hat, trauen viele zu, das Ministerium in den Griff zu bekommen. Doch auch bei Schmidt gibt es das Quotenproblem – zudem ist er als Alter Ego von Scholz als Kanzleramtschefs schwer ersetzbar.
Matthias Wachter, beim BDI als Abteilungsleiter für Rüstung zuständig, nannte Lambrechts Rücktritt „eine große Chance für die Bundeswehr und die Zusammenarbeit mit der Industrie“. Die Rüstungsindustrie erwartet von der neuen Leitung des Ministeriums „strukturelle Reformen, um Beschaffungsprozesse zu vereinfachen und zu beschleunigen“.
Scholz mag Kontinuität
Die naheliegendste Kandidatin für die Nachfolge von Lambrecht wäre die SPD-Politikerin Eva Högl, derzeit Wehrbeauftragte, die zwei der drei Kriterien erfüllt. Erfahrung mit der Ministerialbürokratie hat die 54-jährige Sozialdemokratin nicht, dafür ist sie vertraut mit der Bundeswehr. Der verteidigungspolitische Sprecher der Unionsfraktion, Florian Hahn, hält sie für geeignet, weil die neue Ministerin „Affinität zur Truppe, hohe Einsatzbereitschaft und gewisse Vorerfahrungen“ mitbringen solle.
Hans-Peter Bartels, Högls Vorgänger als Wehrbeauftragter, nannte die Neubesetzung im Deutschlandfunk „eine existenzielle Frage für Deutschland. Diese Besetzung muss jetzt sitzen.“ Der Vorsitzende des Bundeswehrverbands, André Wüstner, forderte eine führungsstarke Nachfolge.
Scholz ist eher bekannt dafür, auf personelle Kontinuität zu setzen und große Umbauten zu scheuen. Als Regierungschef in Hamburg feuerte er kein Mitglied in seinem Senat.
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