Rückkehrer nach Deutschland: Fremdes Wunderland
Im Ausland kriegt man von Hitlersatire und Muschischockern aus Deutschland nichts mit. Wer wieder zurückkommt, erlebt einen Kulturschock.
Im Bordprogramm von Lufthansa lief „Kokowääh 2“. Til Schweiger in seiner Pracht und Schrecklichkeit war der Anfang meiner Resozialisierung in den deutschen Kulturraum. Er, der fiese Türsteher, und ich das Landei vorm Club der Eingeweihten. So entwöhnt war ich von allem, was man zwischen Füssen und Flensburg liest, hört, konsumiert oder hasst, dass ich mir schon im Flugzeug eine Nachhilfestunde verordnete.
Sie war zäh. Ich lernte: Matthias Schweighöfer scheint eine richtig große Nummer geworden zu sein. Und plumpe Kalauer, die voll cool tun, schmerzen in der eigenen Sprache doppelt.
Seit zehn Jahren lebe ich am weitest entfernten Ende der Welt, in Neuseeland. Bisher kam ich nur auf Stippvisiten zurück und arbeitete mich neben dem Besuchsprogramm vor allem an den Klischees über mein neues Domizil ab. „Ein Traum, ach, ein Traum!“, seufzt die Taxifahrerin vom Flughafen, als sie Neuseeland hört.
Da gewesen ist sie noch nie. Woher soll sie wissen, dass meine Stadt von einem Erdbeben zerstört wurde und der Sommer dort viel kühler sein kann als Berlin in diesen Tagen im August? Dass Meeresblick und ein entspannteres Lebensgefühl nicht immer für all das entschädigen, was ich zurückgelassen habe? Aber klar – ein Traum.
Diesmal will ich mich erstmals seit meinem Wegzug einen Monat lang auf meine alte Heimat einlassen. Die ist mir aber in der Ferne etwas entglitten. Täglich mal bei Spiegel Online reinzugucken und zu Weihnachten ein paar neue Bücher aus Deutschland – das reicht nicht, um 18.000 Kilometer entfernt auf Dauer mitreden zu können.
In Neuseeland gibt es andere Themen, andere Köpfe, andere Trends, die zu dechiffrieren und zu erkennen, hat lange genug gedauert. Das deutsche Kulturgut blieb dabei über die Jahre auf der Strecke. Ich bin stehen geblieben. Jetzt muss das Defizit im Schnelltempo aufgeholt werden.
In Neuseeland ist Hitler eine Witzfigur
Zweite Lektion: ein Blick in den nächsten Buchladen, gleich nach der lang entbehrten Butterbrezel (hilfloses Kramen im Geldbeutel, kenne mich mit dem Euro-Kleingeld auf die Schnelle nicht mehr aus – verdammt, bin ich jetzt etwa Touristin?).
Die Demokratie hat ein Nachwuchsproblem. Heißt es. Dabei gibt es sie: Junge Menschen, die in eine Partei eintreten. Die sonntaz hat sechs von ihnen begleitet – bis zu ihrem ersten Wahlkampf. Die Titelgeschichte „Wer macht denn sowas?“ lesen Sie in der taz.am wochenende vom 24./25. August 2013. Darin außerdem: Ein Gespräch mit der Ethnologin Yasmine Musharbash über Monster, und ein Porträt über Wolfgang Neskovic, der einst aus der Linksfraktion ausbrach. Außerdem der sonntaz-Streit zur Frage: Braucht Deutschland Coffeeshops? Am Kiosk, eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo.
Eine Wand ist gepflastert mit dem Titel, den ich schon in den Bestsellerlisten sah: „Er ist wieder da“. Der Autor sagt mir so gar nichts, die wieder auferstandene Hauptfigur schon. Der Buchhändler erklärt mir, wie erfrischend, bitterböse und bahnbrechend das Werk sei.
Den Gröfaz plötzlich komisch, nicht nur schrecklich zu finden, befremdet mich nicht, denn so despektierlich betrachten die Angelsachsen ihn seit eh. Wo ich lebe, ist Hitler eher eine Witzfigur wie Shrek. Mein auf Tunnelblick und Schnellspeicherung programmiertes Jetlag-Hirn kann sich „Tabubruch“ gut merken. Der letzte dieser Art, den ich literarisch mitbekam – und das auch nur zeitverzögert – war „Feuchtgebiete“. Frustrierend war das.
Damals konnte ich mit niemandem in und aus Neuseeland eine Diskussion über das Buch anfangen. Kein Mensch dort hatte es gelesen, obwohl es auch auf Englisch erschien. Vielleicht ja besser so für das ramponierte Image der Deutschen im Ausland. Uns eilt im englischsprachigen Raum eh schon der Ruf voraus, freizügig, sexbesessen und eher nachlässig bei der Körperhygiene zu sein (Achtung: Nackt in der Sauna! Unrasierte Achseln! FKK-Strände!). Jetzt also Hitler-Satire statt Muschi-Schocker. Gleich gekauft.
Beim Gemüsehändler nebenan erstehe ich eine Packung von diesen platten Pfirsichen, die jetzt überall einen auf Weinberg machen. Kannte ich nicht, diesen Hang zum Bäuerlichen. Überhaupt, Essen und Trinken – damit gehen Besuche ja meistens los.
Den Anfang der Bionade-Welle hatte ich damals, als wir den Umzugscontainer packten, noch mitbekommen. Offensichtlich wurde all die Holunderbrause inzwischen durch Lemonaid und Charitea abgelöst. Klingt clever. Und was trinkt die frühere Kollegin da an der Bar? Einen „Hugo“, aha. Alles irgendwie gespritzt. Bubble Tea, lasse ich mir sagen, sei eigentlich schon wieder out, „nur was für Teenies“.
Ein Lieblingsteenie, die Tochter der besten Freundin, fährt eine Woche mit uns in die Berge. „Was, ihr kennt das Känguru-Manifest nicht?“ Sie spielt uns gleich mal einen Podcast vor, der bei mir aber noch nicht so richtig zündet. Vielleicht bin ich zu alt oder hab den Anschluss verpasst. Ihr Vater, linker Anwalt, zieht an seiner E-Zigarette – auch noch nie vorher gesehen, so ein Ding – und erzählt vom NSU-Prozess. Spannend.
Mit Andreas Dresen fast per Du
Deutsche Parteipolitik dagegen lässt mich zunehmend kalt, was erklärt, warum ich Steinbrück und Steinmeier ständig verwechsle. Da interessiert mich schon eher, dass „Die Partei“ zur Bundestagswahl zugelassen wurde. Nennt mich oberflächlich, aber was bei mir in den letzten Jahren auf die Distanz hängen blieb, waren Bettina Wulff, gefälschte Doktorarbeiten und ein schmieriger Brüderle. Vielleicht sollte ich weniger Spiegel Online lesen und mehr von den vielen neuen, schönen Magazinen. Germany heißt eines. Der Titel wäre vor zehn Jahren nur als Neonazi-Postille denkbar gewesen.
Meine Freundin schwärmt von einer dänischen Serie namens „Borgen“. Bei „Mad Men“ und „The Wire“ kann ich zum Glück mitreden. Jeder außer mir hat „Der Hundertjährige, der aus dem Fenster sprang“ gelesen. Andreas Dresen macht noch immer tolle Filme. Ha – den traf ich mal auf dem Filmfestival des Goethe-Instituts in Christchurch. Bin mit ihm also fast per Du. Jemand empfiehlt, mir mal Rainald Grebe anzuhören.
Überhaupt, die Musik: Diese Helene Fischer ist also neuer Schlagerstar. Da reicht schon ein Blick in die Gala, der mir auch die gut abgehangene Uschi Glas neben der präfossilen Renate Sixt offenbart. Ladys, was sind wir alt geworden! Ich erinnere mich noch an Uschis Aktfotos in Max. Nena und Udo Lindenberg, Gott hab sie selig, geistern mit einem Musical durch die Lande. Götz George gibt wieder Interviews. Da werde ich fast sentimental.
Was ist denn eigentlich aus Patrick Lindner und Freund geworden? Deren adoptierter Sohn – ja, das war mal ein Gossip-Thema – muss doch sicher bald Abi machen. Und wer ist diese Frida Gold auf allen Plakaten? Meine Freundin winkt ab. „Klingt wie Silbermond.“ Und die klangen ja schon wie Rosenstolz, oder? Ist so wie bei Phoenix Foundation und Goodshirt. Beide aus Wellington und so viel besser. Fragt mich doch mal nach denen.
Fernsehen ist schrecklich
Mit Ethnologenblick zappe ich mich durchs Fernsehen. Auf RTL II wird ein Verleiher von Silikon-Sexpuppen interviewt. Bei VOX haben sie Marijke Amado für „Promi Shopping Queen“ reanimiert. Dieter Hildebrandt erklärt, dass er nicht bei der NSDAP war, und Gordon Ramsey klingt auf Deutsch synchronisiert völlig bizarr. Immerhin: Doch noch ein paar bekannte Visagen. Und tatsächlich singt Patrick Lindner irgendwo im Dritten. Heile Welt.
Mittlerweile bin ich in Berlin, wo Geschäfte wie Zeilen aus Hermann-Hesse-Gedichten klingen: Blutsbrüder, Mädchenheim, Zeit für Brot. Alle tragen sie Chinos, eigentlich schon „so last year“, aber ich komme noch aus der Röhrenhosenzone.
Ein Agenturchef führt mich aus. Wir essen bei Tim Raue, den ich mit Tim Mälzer verwechsle, beide gab es zu meiner Zeit noch nicht. Statt ein Taxi zu rufen, wird per App ein Auto rausgesucht, das in der Nähe parkt und mit PIN oder Karte für eine Fahrt geleast wird. Oh, ich staune – Car-Sharing der schnellen Sorte. Ich lebe eindeutig hinterm Mond, da gibt’s das nicht. Ist das jetzt nur in Berlin oder überall so? Der nette Bekannte kennt sich aus: Frauen kaufen Schuhe bei Zalando, Männer seien dem Edelgrillen verfallen. Man gönnt sich den Luxussmoker von Weber und liest Gourmetfleisch-Magazine. Und ich dachte, alle seien Veganer.
In einem Club über den Dächern Berlins bestelle ich mir später einen „Hugo“. Mein Begleiter reagiert: „Das geht eigentlich gar nicht mehr.“
Durchgefallen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Interner Zwist bei Springer
Musk spaltet die „Welt“
Gastbeitrag in der „Welt am Sonntag“
Bequem gemacht im Pseudoliberalismus