Rückkehr strenger Haushaltspolitik: Das Schreckgespenst des Sparzwangs geht um
Staatliches Sparen schien lange out. Nun feiert es in den USA, Argentinien und selbst Großbritannien eine Wiederauferstehung in neuem Gewand.
W as haben die britische Labour-Politikerin Rachel Reeves, der Rechts-Libertäre Präsident Javier Milei aus Argentinien und Elon Musk, Trumps Berater für „Regierungseffizienz“, gemeinsam? Sie alle predigen das Evangelium der Sparsamkeit als notwendiges Heilmittel für die Leiden und Probleme ihrer jeweiligen Volkswirtschaften.
So hat Reeves, die seit dem Regierungswechsel in Großbritannien vor einem Jahr als Finanzministerin amtiert, die Regeln für Staatsausgaben und staatliche Investitionen noch mal verschärft, obwohl kein Zweifel darüber besteht, dass der Sparkurs der vergangenen 15 Jahre eine der Hauptursachen für die Probleme des Landes ist.
In ähnlicher Weise hat Argentiniens Präsident Milei seinen extremen Sparkurs als den Preis dargestellt, den Argentinien für 20 Jahre der angeblichen staatlichen Überdehnung zahlen muss. Er argumentiert, dass Inflationsbekämpfung der einzige Weg zu Wohlstand sei, auch wenn dies die bereits bestehende bittere Armut noch weiter verschärft.
Und die Vereinigten Staaten brauchen laut Musk angeblich Austerität, um einen Bankrott abzuwenden. Dieses Argument ist eine Finte: Staaten mit eigener Währung, insbesondere mit der wichtigsten globalen Reservewährung, können nicht bankrottgehen. Musks offensichtliche Motivation, die öffentlichen Haushalte rabiat zu kürzen, besteht darin, Spielraum für Steuersenkungen zu schaffen und öffentlich Bedienstete zu entlassen, die seine Agenda nicht mittragen.
Das letzte Mal vernahmen wir die lautstarken Parolen für mehr Austerität während der globalen Finanzkrise in den Jahren 2008 und 2009. In den USA erfolgte die verordnete Abhilfemaßnahme in Form eines recht harmlosen „Sequesters“ (Ausgabenbegrenzung). In Europa ging der Sparkurs jedoch viel weiter, zerstörte das Wachstum eines ganzen Jahrzehnts, schmälerte öffentliche Investitionen und trug zu vielen der Probleme bei, mit denen der Kontinent bis heute zu kämpfen hat.
Das Versagen der privaten Finanzbranche wurde von den Regierenden zu einer Krise angeblich ausufernder Staatsausgaben umdeklariert. Bilaterale Kredite an die Staaten der Peripherie der EU waren kaum mehr als verschleierte Rettungsaktionen für die Banken der Kernländer, die mit Haushaltskürzungen „bezahlt“ wurden.
Diejenigen, die ausgeklügelte Argumente über die expansive Kraft der Haushaltsstraffung anführten, leugneten das Offensichtliche: Wenn der Privatsektor zu sparen versucht und der öffentliche Sektor es ihm gleichtut, wird die Wirtschaft unweigerlich schrumpfen – und der Schuldenstand, gemessen als Anteil vom Bruttoinlandsprodukt, wächst.
Das war der Kern des selbstzerstörerischen europäischen Austeritätsexperiments in den 2010er Jahren. Ungefähr ab dem Jahr 2016 begann dann sogar die Europäische Kommission, eine andere Tonart anzuschlagen. Und als dann die Coronapandemie über uns hereinbrach, schienen die Tage der bizarren Ideologie namens „Wirtschaftswachstum durch Schrumpfung“ gezählt zu sein. Welch ein Irrtum.
Wie der australische Ökonom John Quiggin damals argumentierte, handelt es sich bei Austeritätspolitik um eine Zombie-Idee: nicht auszurotten, weil immun gegen empirische Widerlegung. Die Lehre aus der Covid-Krise – als die vernünftige Reaktion darin bestand, angesichts eines weltweiten Stillstands die Wirtschaft zu retten – wurde so zu einer weiteren „außer Kontrolle geratenen Schuldenkrise“ umgedeutet, die den Staat in den Bankrott zu treiben drohe.
In den 2010er Jahren sollte die Sparpolitik durch die „Wiederherstellung des Vertrauens“ in den Anleihemarkt die öffentlichen Finanzen in der EU stabilisieren. Doch Ausgabenkürzungen in einer bereits rezessiven Wirtschaft verschärften das Problem nur noch.

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Die Angst vor Inflation aufgrund „all dieser Ausgaben“ verwandelte sich rasch in Furcht vor Deflation [Preisverfall wegen mangelnder Nachfrage, der dazu führt, dass nicht mehr investiert wird; d. Red.] und schwindendem Vertrauen. In einer Rezession führt Sparpolitik lediglich zu noch mehr Rezession und Arbeitslosigkeit. Das wissen wir seit Heinrich Brünings Kanzlerschaft in der Endzeit der Weimarer Republik.
Aber wie sieht es mit Austeritätspolitik unter anderen Bedingungen aus? Die aktuellen Fälle USA und Argentinien präsentieren sich in dieser Hinsicht interessant: Die USA sind jedenfalls weit von einer Rezession entfernt. Die Wirtschaft boomt und steht unter Inflationsdruck. Neben der Schaffung von finanziellem Spielraum für Steuersenkungen gibt es noch eine weitere mögliche Erklärung für die Durchsetzung von Sparmaßnahmen unter derartigen Bedingungen – sie hängt mit Geopolitik und globalen Ungleichgewichten zusammen.
Als Joe Biden Anfang 2021 sein Amt antrat, behielt er die meisten von Donald Trump verhängten Zölle bei und schlug einen Kurs der „grünen“ Reindustrialisierung ein. Nun, da Trump wieder an der Macht ist, erhöht er die Zölle weiter, um Exportnationen in die Knie zu zwingen, und ersetzt Bidens grüne Reindustrialisierungsstrategie durch einen auf fossilen Brennstoffen basierenden Ansatz.
Demontage des modernen Staates
Aber das ist noch nicht alles. Musk und seine Regierungseffizienzbehörde DOGE verfolgen den lang gehegten republikanischen und libertären Traum einer Demontage des modernen Verwaltungsstaats. Ihnen wäre ein Staat des 19. Jahrhunderts viel lieber, als Zölle sowohl zum Schutz einheimischer Industrien als auch für die Staatseinnahmen eingesetzt wurden (damals waren Zölle für die US-Staatseinnahmen elementar, da es noch keine Einkommensteuer gab).
In der Folge würden die Tech-Lords aus dem Silicon Valley in die Rolle der Räuberbarone des Gilded Age [wirtschaftliche Aufschwungphase nach dem US-Sezessionskrieg im 19. Jahrhundert; d. Red.] schlüpfen. So entstaubt man Austeritätspolitik und setzt sie für eine ganze Reihe neuer Zwecke ein.
Argentinien hingegen ist seit Jahren mit einer hohen Inflation ohne reales, also inflationsbereinigtes BIP-Wachstum konfrontiert. Mehr als ein Dutzend Stabilisierungspläne kamen und gingen, bevor Milei das scheinbar Unmögliche möglich machte: eine breite Wählerkoalition zugunsten einer harten Austeritätspolitik zu schaffen.
Milei verdankt seinen – bisherigen – Erfolg unter den Wählern den fatalen Umverteilungseffekten einer Dauer-Inflation. Die linkspopulistischen Peronisten verloren ihre lange währende Unterstützung der Armen und der Arbeiterschicht, weil es sich dabei um Wähler handelt, die den größten Teil ihres Einkommens für Konsumgüter ausgeben und deren Kaufkraft durch die steigenden Preise kontinuierlich geschwächt wurde. Die peronistische Koalition schaffte es, die gewerkschaftlich organisierten Arbeiter durch eine Indexierung, also eine automatische Anpassung der Löhne, vor der Inflation abzuschirmen.
Und die wohlhabenden Schichten sicherten sich durch US-Dollar-Bestände ab. Eine Zeit lang reichte dieses Arrangement für die Peronisten aus, um Wahlen zu gewinnen. Doch wer nicht in den Genuss dieser Absicherungen kam, konnte sich immer weniger leisten, und die Armut nahm von Jahr zu Jahr zu.
Austerität als Schadenfreude-Politik
Milei bot einen Ausweg. Er würde harte Sparmaßnahmen ergreifen, die peronistischen Netzwerke zerstören, die Mittelsmänner ausschalten und alles deregulieren. Es würde eine Weile wehtun, aber letztlich die Inflation eindämmen – und die peronistischen Seilschaften könnten ihre Pfründen nicht mehr schützen. Deren Verlust wäre ihr Gewinn. So wird Austerität zu einer Form der Schadenfreude-Politik, ähnlich dem Krieg gegen öffentlich Bedienstete und andere „Eliten“ in den USA.
Wird das nun funktionieren? Sollte es in Argentinien darum gehen, die Inflation trotz zunehmender Armut zu besiegen, dann ja. Wahlpolitisch tragfähig wäre es allerdings nur, wenn diese niedrigere Inflation zu mehr Investitionen und steigenden Reallöhnen führen würde. Sollte dieser Plan jedoch zu einer weiteren Verarmung derjenigen führen, die einst dafür gestimmt haben, würde Milei seine Basis verlieren.
In den USA wird die Austeritätspolitik funktionieren, wenn das Ziel darin liegt, den Verwaltungsstaat abzubauen. Aber in einem Land, in dem 53 Prozent der – mehrheitlich republikanisch geprägten – Landkreise (Counties) ein Viertel ihrer Einkünfte oder noch mehr durch Transferleistungen der Bundesregierung beziehen, könnte dies nach hinten losgehen. Falls die Republikaner jedoch Steuersenkungen im Wert von 4 Billionen US-Dollar für die obersten 10 Prozent durchsetzen, könnte sich das Vorhaben allerdings durchaus für sie lohnen.
Die Austerität ist wieder da. Dieses Mal allerdings nicht nur als schlechte Idee, sondern auch als politische Waffe und gefährliches Umverteilungsinstrument.
Aus dem Englischen von Helga Klinger-Groier
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