Grüner über EU-Schuldenreform: „Wieder Austeritätspolitik“
Investitionen in Klima und Soziales statt Spardiktat in der Europäischen Union fordert Rasmus Andresen, Chef der deutschen Grünen im EU-Parlament.
taz: Herr Andresen, die Reallöhne sinken – da wirken die nötigen Investitionen in den Klimaschutz auf viele Menschen bedrohlich. Reicht es, wenn die Europäische Union im Zuge ihres Green Deals 87 Milliarden Euro in einen neuen Klimasozialfonds steckt?
Rasmus Andresen: Wir brauchen eine starke soziale Säule im Green Deal, dazu gehört auch der Klimasozialfonds. Doch 87 Milliarden sind für 27 EU-Staaten viel zu wenig, das ist nur ein Tropfen auf den heißen Stein.
ist seit 2019 Abgeordneter im EU-Parlament und spricht dort für die deutsche Gruppe in der Fraktion Die Grüne/EFA. Zuvor saß der 37-Jährige zehn Jahre im Landtag Schleswig-Holstein.
Das Parlament hat diesem Deal aber schon zugestimmt. Wo wollen Sie denn nun noch Geld für Soziales holen?
Richtig, der erweiterte Emissionshandel und der Klimasozialfonds sind schon beschlossen. Aber man kann das nötige Geld auch aus dem EU-Budget holen. Im Sommer steht die Revision des mehrjährigen Finanzrahmens an. Diese Gelegenheit sollte die EU-Kommission nutzen, um hier nachzubessern.
Wie denn?
Schauen Sie sich die USA an. Im Inflation Reduction Act wird die Klimapolitik von vornherein auch als Sozial- und Arbeitsmarktpolitik konzipiert. Davon können wir in Europa viel lernen. Oder nehmen wir Deutschland. Die Heizdebatte zeigt, wie viel sozialen Sprengstoff die Energiewende birgt. Es geht deshalb darum, beides zusammenzudenken, die Energiewende und die soziale Frage. Einige Gewerkschaften machen dies auch schon, wie der gemeinsame Streik von Verdi und Fridays for Future zeigt.
In der EU geht die Reise in eine andere Richtung. Die EU-Kommission fordert in der geplanten Reform der Schuldenregeln wieder eher Budgetdisziplin.
Der Vorschlag der Kommission ist stark an Deutschland und den frugalen Ländern ausgerichtet. Er enthält wenige, schwache Aussagen zum Klima, die soziale Frage spielt gar keine Rolle. Das macht mir Sorgen – denn es kann dazu führen, dass wieder eine Austeritätspolitik kommt und die soziale Infrastruktur geschwächt wird. Ich hoffe, dass das nicht das letzte Wort bleibt.
Ausgerechnet fossile Energiekonzerne haben im vergangenen Jahr kräftig abkassiert. Die EU wollte mit einer Übergewinnsteuer gegensteuern – was ist daraus geworden?
Das war eine gute Initiative der EU-Kommission. Doch die Umsetzung dauert zu lange, die Mitgliedstaaten lassen sich viel Zeit bei der Ratifizierung. Außerdem gibt es zu viele Schlupflöcher. Wenn diese Steuer in Deutschland nur zwei bis drei Milliarden Euro bringt, dann ist das einfach zu wenig. Da ist kein Wumms dahinter.
Müsste das Europaparlament da nicht mehr Druck machen?
Ja, denn die Kommission ist sehr zurückhaltend. Sie hat sich zwar um die Energiepolitik gekümmert, als im letzten Jahr die Preise stiegen. Doch zur sozialen Frage, die damit verbunden ist, kommt sehr wenig. Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen ist auf dem sozialen Auge blind, sie hört viel zu sehr auf die Mitgliedstaaten.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
FDP stellt Wahlkampf Kampagne vor
Lindner ist das Gesicht des fulminanten Scheiterns
Paragraf 218 im Rechtsausschuss
CDU gegen Selbstbestimmung von Frauen
Partei stellt Wahlprogramm vor
Linke will Lebenshaltungskosten für viele senken
Wahlkampf-Kampagne der FDP
Liberale sind nicht zu bremsen
Sednaya Gefängnis in Syrien
Sednaya, Syriens schlimmste Folterstätte
Journalist über Kriegsgefangenschaft
„Gewalt habe ich falsch verstanden“