Rückkauf des Privatisierten: Das große Wir-Gefühl
Am 22. 9. entscheiden die HamburgerInnen auch über den Rückkauf der Energienetze: Damit erreicht der Trend zur Rekommunalisierung einen neuen Höhepunkt.
Was ist denn nun richtig? Soll Hamburg seine Energienetze von den Konzernen zurückkaufen, wie es die Initiative „Unser Hamburg – unser Netz“ fordert? Oder genügt eine Minderheitsbeteiligung, wie sie der SPD-Senat eilends erworben hat, um der Initiative den Wind aus den Segeln zu nehmen?
Dass diese Frage so schwer zu beantworten ist, liegt auch daran, dass in diesem Streit keiner mit offenen Karten spielen kann.
Die Initiative argumentiert, wenn Hamburg die Netze besäße, könnte es die Energiewende effektiver forcieren, die Fernwärme billiger machen – und nicht zuletzt sei der Rückkauf für die Stadt ein gutes Geschäft. In der Tat sind fast alle Rekommunalisierungen Erfolgsgeschichten. Die Energiewende dagegen ließe sich mit Investitionen in die Erzeugung effektiver voranbringen als mit dem Eigentum an den Netzen. Nur bei der Fernwärme handelt es sich um regionale Monopole. Wer das Netz besitzt, kann entscheiden, welche Wärme eingespeist wird – und die Preise diktieren. Vor allem hier winken deshalb enorme Gewinne, aus denen man die Kaufkredite bedienen könnte – oder die Preise senken.
Die Aussicht auf ein bisschen ökologischere oder billigere Fernwärme soll also Tausende Hamburger zu einer Bewegung motiviert haben, deren Ziele 58 Prozent der Bevölkerung gutheißen, wie eine Studie der Universität Hamburg im Juni ergab? Nein. Unterschwellig geht es um etwas ganz anderes. Der Volksentscheid ist ein Referendum über den Vattenfall-Konzern. Die Netzrückkauf-Aktivisten wollen die Schweden aus der Stadt jagen. Das versuchen viele von ihnen schon seit Jahren mit Kampagnen wie „Vattenfall Tschüss sagen“ – mit mäßigem Erfolg. Die Netze gelten nun als Schlüssel zum Erfolg: Niemand hat es bisher beweisen können, aber viele vermuten, dass Vattenfall die Anschlussdaten seiner Netzgesellschaft missbraucht, um Stromkunden zu gewinnen. Ohne sie würde der Stromversorger sich wesentlich schwerer tun, Ersatz für die Stromwechsler zu finden, die man ihm mühselig abspenstig gemacht hat.
Woher der Hass gegen Vattenfall? Der Sündenfall des schwedischen Staatskonzerns ist, dass er beim Kauf der Hamburgischen Electricitäts-Werke von der Stadt auch Atomkraftwerke miterworben hat. Schlimmer hat das Unternehmen alles noch gemacht, als es die Zeichen der Energiewende so gründlich verkannt hat, dass es in Hamburg-Moorburg einen Kohlekraft-Dinosaurier baut. Dass Vattenfall längst auch bei der Offshore-Windenergie ein großer Player ist, interessiert in Hamburg niemanden.
Der Strommulti ist nicht der einzige prominente Gegner der Netzrückkauf-Aktivisten: Ihre Kampagne richtet sich auch gegen die Hamburger SPD. Sie bekommt nicht nur die Quittung dafür, dass sie sich einst dem Zeitgeist ergeben und ihre Stadtwerke verscherbelt hat. In dieser Frage lässt sich auch Unmut mobilisieren über den demokratischen Absolutismus, mit dem Olaf Scholz knallhart durchregiert. Ein Sieg in der Netzfrage wäre auch ein Sieg gegen die Obrigkeit an sich. Wir da unten gegen die da oben. Unser Netz, gegen deren Willen zurückgeholt.
Zumal die SPD ihr Schicksal eng an das von Vattenfall geknüpft hat: Scholz hat nie einen Zweifel daran gelassen, dass er einen kompletten Netzrückkauf für Irrsinn hält. Und seit Hamburg ein Viertel der Netze erworben hat, lässt Vattenfall keine Gelegenheit aus, sich als „starker Partner der Stadt“ in Szene zu setzen.
Dabei kann auch die SPD nicht offen argumentieren: Ihr offizielles Argument, ein Rückkauf sei zu teuer, ist nicht überzeugend – den Krediten stünden ja Werte gegenüber, im Haushalt würde der Kauf gar nicht auftauchen und die Refinanzierung über Durchleitungsgebühren scheint plausibel.
Aber mit einem Netzrückkauf würde die in dieser Frage intern durchaus zerstrittene SPD einräumen, dass ihr in den 90er-Jahren ursozialdemokratische Werte wie jener der öffentlichen Daseinsvorsorge abhanden gekommen sind. Aktuell fürchtet sie, dass Vattenfall sich ganz aus Hamburg zurückziehen und seinen Besitz an unberechenbare Investoren verkaufen könnte. Und nicht zuletzt macht sich der Senat Sorgen um den Investitionsstandort, wenn sich weltweit herumspricht, dass das Volk in der Hamburger Industriepolitik mitmischt. Alles Argumente, die, öffentlich ausgesprochen, den Eifer der Rekommunalisierungs-Fans noch befeuern würden.
Lässt man alle Schein- und Hilfsargumente beiseite, reduziert sich die Frage Rückkauf oder nicht auf einen ideologischen Kern: Soll (und kann) der Staat Unternehmer sein oder nicht? Man könnte sagen: Wo, wenn nicht mit einem Monopol mit garantierten Renditen auf einem extrem regulierten Sektor? Die SPD kann schwerlich ordnungspolitisch mit der reinen Marktlehre argumentieren – wegen ihrer Tradition nicht. Und schon gar nicht, nachdem sie vor wenigen Jahren weitere Anteile an der Hapag-Lloyd-Reederei gekauft hat – in einer extrem volatilen Branche und mitten in der größten Schifffahrtskrise der letzten Jahrzehnte. Vielleicht können die Gewinne aus den Netzen ja irgendwann die Verluste der Reederei decken.
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