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Rot-grüner Koalitionsvertrag in HamburgGeschenke unter Vorbehalt

Nach sechs Wochen Verhandlungen haben sich SPD und Grüne in Hamburg auf die Grundlagen ihrer Koalition geeinigt. Im Fokus: Klima- und Verkehrswende.

Peter Tschentscher, erster Bürgermeister, im Mittelpunkt bei der Vorstellung des Koalitionsvertrags Foto: Christian Charisius/dpa

Hamburg taz | Der Koalitionsvertrag ist ausformuliert, das Personaltableau steht. Nach sechs Wochen zähen Verhandlungen einigten sich SPD und Grüne im Stadtstaat Hamburg auf die Grundlagen ihrer Koalition. Hamburg bleibt damit bundesweit das einzige Bundesland, in dem es eine stabile rot-grüne Mehrheit gibt, die auch regiert.

Im Fokus des 204-seitigen Vertrags steht eine Klima- und Verkehrswende der Stadt, die vor allem zwei grüne Politiker vorantreiben sollen: der alte-neue Umweltsenator Jens Kerstan und der frisch gekürte Verkehrssenator Anjes Tjarks. „Die bisherigen Leitlinien werden fortgeführt und durch neue Impulse ergänzt“, sagt Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD), man könne auf den Ergebnissen zurückliegender Zusammenarbeit aufbauen.

Im Herbst hatten zuerst die Grünen ein Konzept für eine autoarme Innenstadt vorgelegt, die SPD hatte kurz vor der Wahl im Februar fast wortgleich nachgezogen. Auch der Ausbau des Radwegesystems soll weiter forciert werden. Der lief allerdings schon in der vergangenen Legislatur stockender, als von Rot und Grün vereinbart. Zudem hatte der vorige Senat einen Klimaplan samt Klimaschutzgesetz verabschiedet, der nun umgesetzt werden soll. Ziel ist ein klimaneutrales Hamburg „deutlich vor 2050“.

Hamburgs Umweltverbände hatten vor allem das Klimaschutzgesetz im Kern durchaus gelobt, auch wenn sie sich die Ziele noch ambitionierter und vor allem die geplanten Maßnahmen noch detaillierter gewünscht hätten. Nun heißt es für die neue Koalition auf gut Hamburgisch: Butter bei die Fische geben.

Weiterhin kein Polizeibeauftragter

In den Koalitionsgesprächen hatte die SPD aber auch deutlich gemacht, dass sie auch in Zukunft die Leitlinien der Politik bestimmen und die klassischen Kernressorts führen will. Die Bereiche Inneres, Finanzen und Wirtschaft werden so weiterhin von SPD-Männern geleitet. Die SPD setzte dabei durch, dass trotz Verkehrs- und Klimawende eine neue Verbindung zwischen den wichtigsten, an Hamburg vorbeiführenden Autobahnen A1 und A7 gebaut wird und auch der Flugverkehr nicht zurückgefahren wird. Hier konnten die Grünen lediglich verhindern, dass der Flughafen erweitert und durch „Entkreuzung der Start- und Landebahnen“ mehr Flugverkehr möglich wird.

Auch im Bereich der inneren Sicherheit konnten die Grünen sich kaum durchsetzen. Der von ihnen geforderte Polizeibeauftragte, bei dem sich Opfer von Polizeiübergriffen melden können, wird ebenso eine Utopie bleiben wie die Legalisierung des Cannabis-Konsums. Allerdings soll gerade bei Jugendlichen in Zukunft stärker das Prinzip „schnelle Hilfe statt Strafe“ gelten.

Daneben setzt Hamburg als wachsende Stadt weiter auf forcierten Wohnungsbau, will erreichen, dass vor allem noch mehr Sozialwohnungen in den beliebtesten Wohnstadtteilen gebaut werden. Der Bereich Bildung und Wissenschaft, von der Kita bis zur Uni, soll mehr Geld bekommen, um die wachsende Zahl an Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen mit Bildungsangeboten zu versorgen und mehr Chancengleichheit sicherzustellen.

An diesem Punkt zeigt sich aber ein ungelöstes Problem der Vereinbarung. Fast allen Ressorts wurden teure Geschenke versprochen, die aufgrund der coronabedingt massiv wegbrechenden Steuereinnahmen aber sämtlich unter einen „Haushaltsvorbehalt“ gestellt wurden. Mögliche Verteilungskonflikte zwischen SPD und Grünen wurden so auf die im Herbst beginnenden Haushaltsverhandlungen vertagt.

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1 Kommentar

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  • "Der Bereich Bildung und Wissenschaft, von der Kita bis zur Uni, soll mehr Geld bekommen, um die wachsende Zahl an Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen mit Bildungsangeboten zu versorgen und mehr Chancengleichheit sicherzustellen."

    Die Betreuungsrelation in den Kitas ist in kaum einem anderen Bundesland so schlecht wie in Hamburg. Die Grünen forderten mal was ganz anderes, dann gabe sie hier ihren Widerstand auf. Die Folge sind miese Bedingungen für Kinder. Ich weiß nicht, wer heute noch guten Gewissens ein Kind in die Krippe bringt ... Und dann wären da noch die Ganztagsschulen, wo Kinder und Jugendliche von 8 bis 16 oder 17 Uhr sich aufhalten müssen, in einer Atmosphäre, die eine Mischung aus Müll und Bezirksamt ist. Ich kann nicht ganz verstehen, warum das Thema Bildung so wenig berücksichtigt wird. Eine Nachbarin erklärte die Gymnasialwahl für ihr Kind so: Dort sind keine Ausländer, keine Behinderten und keine Armen. Auch wenn das so gar nicht stimmt, zeigt es doch, dass Rot-Grün den bürgerlichen Kreisen unglaubliche Zugeständnisse gemacht hat und dass für viele Kinder und Jugendliche die Schulzeit vor allem eine belastete und irgendwie unvollständige Zeit ist. Dazu kam kürzlich, dass die Schulbehörde, die Eltern zu Lehrern erkoren hat und die Verantwortung für den Lockdown defacto bei den Eltern liegt. Vielleicht stecken das Kinder in der 1. oder 2. Klasse noch gut weg, aber die ausgedünnte Beschulung dürfte gerade bei der 9. und 10. Klasse auf den Stadtteilschulen durchaus eine Langzeitwirkung haben ... Also ich hätte mir deutlich mehr erwünscht, immerhin die Grünen sind im Bereich der etablierten Partei vollständig angekommen, die schocken niemanden mehr, aber sie faszinieren mich auch nicht mehr.