Richterbeschluss für Abschiebungen: Geisel strickt sich sein Recht
Das Grundgesetz garantiert die Unverletzlichkeit der Wohnung. Der Innensenator findet Abschiebungen aus Wohnungen und Heimen trotzdem richtig.
Selten hat ein Senator in letzter Zeit so scharf gegen eine Kollegin polemisiert und sich dabei so weit aus dem Fenster gelehnt wie Innensenator Andreas Geisel (SPD) diese Woche. Im Streit um die Frage, ob die Polizei bei Abschiebungen einen richterlichen Durchsuchungsbeschluss braucht, warf er Integrationssenatorin Elke Breitenbach (Linke) am Montag „Eskalation“ vor und behauptete, sie würde sich einer „politischen Lösung“ widersetzen. Zugleich offenbarte er ein merkwürdiges Rechtsverständnis, indem er behauptete, es gehe hier um „zwei unterschiedliche Rechtsauffassungen“. Und setzte noch eins drauf: „Wir setzen geltendes Recht in Berlin weiterhin um.“
Genau dies ist seit Jahren nicht der Fall – sagt der Flüchtlingsrat, sagen diverse Juristen, sagen das Berliner Kammergericht und das Oberverwaltungsgericht. Geltendes Recht in Deutschland ist das Grundgesetz, das die Unverletzlichkeit der Wohnung garantiert (Art. 13) und Durchsuchungen nur mit richterlichem Beschluss erlaubt. Und jetzt Achtung: Das GG gilt sogar für Flüchtlinge! Jedenfalls noch.
Dennoch dringt die Polizei in Berlin (und andernorts) seit Jahr und Tag ohne Durchsuchungsbeschluss in Wohnungen und Heime ein, um Menschen herauszuholen, die abgeschoben werden sollen. Denn die Innenverwaltung ist der Auffassung, man durchsuche die Wohnungen und Zimmer ja nicht, sondern betrete sie nur. Das ist zwar juristisch nicht haltbar, haben die erwähnten Gerichte festgestellt – aber Geisel beharrt, er habe eben eine „andere Rechtsauffassung“.
Diesem Agieren im de facto rechtsfreien Raum hat Breitenbach einen Riegel vorgeschoben, als sie Heimleiter vorige Woche anwies, die Polizei nur noch mit Durchsuchungsbeschluss hereinzulassen. Dass Geisel tobt, ist zwar aus seiner Sicht verständlich: Schließlich werden Abschiebungen nicht einfacher, wenn man jedes Mal einen Richterbeschluss braucht. Aber so ist das eben in einem Rechtsstaat. Auch wenn viele von ihm und seiner Durchsetzung nur reden, wenn es darum geht, zügiger und mehr abzuschieben.
Sie alle – inklusive Geisel – haben gehofft, dass sich der Streit in ihrem Sinne durch das „Hau-ab-Gesetz“ erledigt hat, das Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) am gestrigen Freitag durch den Bundestag gedrückt hat. Ob dem so ist, wird aber erst die Zukunft erweisen: Denn einerseits steht in diesem „Geordnete-Rückkehr-Gesetz“ explizit, dass ein Richterbeschluss notwendig ist, um Flüchtlinge aus ihren Wohnungen abzuschieben. Andererseits soll dies nicht gelten, wenn „Gefahr im Verzug“ ist. Was das genau heißt, werden wohl die Gerichte klären müssen.
Und man darf wetten: Wenn die Richter wieder nicht im Sinne Geisels entscheiden, handelt er eben nach seiner eigenen „Rechtsauffassung“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja
Die Wahrheit
Der erste Schnee
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Biden genehmigt Lieferung von Antipersonenminen