Repression in Iran: Sexuelle Gewalt unter dem Mullah-Regime
In iranischen Gefängnissen wird systematisch sexuelle Gewalt ausgeübt. Diese ist schon immer Bestandteil der Repression. Jetzt wird sie öffentlich.
Die Proteste in Iran sind in der zehnten Woche. Ein Ende scheint nicht absehbar, im Gegenteil, sie ziehen immer weitere Kreise. Die Wut der Protestierenden steigt mit jeder Todesnachricht, ihre Entschlossenheit, auf die Straßen zu gehen, wächst mit jeder Grausamkeit, die dieses Regime vollzieht. Und derer gibt es genug.
Empfohlener externer Inhalt
Der US-amerikanische Nachrichtensender CNN veröffentlichte nun einen Report, der das bestätigt, was Beobachter*innen schon seit Wochen von Menschen in Iran hören: In den Gefängnissen und Haftanstalten der Islamischen Republik wird systematisch sexuelle Gewalt ausgeübt. Nur durch Berichte von Augenzeug*innen, aus Gefängnissen und aus Kliniken, kommen diese Zeugnisse nun an die Öffentlichkeit.
CNN schildert den Fall von Armita Abbasi, einer 20-jährigen Frau aus Karaj. Kurze Zeit nach ihrer „Festnahme“ – Festnahmen kommen im Iran einer Verschleppung gleich – wurde sie in ein Krankenhaus in Karaj eingeliefert. Es waren medizinische Fachkräfte, die angesichts des Horrors, den sie empfanden, heimlich Informationen über Abbasis Fall weitergaben, unter Lebensgefahr wohlgemerkt. Sie blutete aus dem Rektum, schrieb eine Person. Das Mädchen muss mit massiver Gewalt vergewaltigt worden sein. Ihr Kopf sei rasiert worden, sie war verängstigt und habe gezittert.
Die Person, die Armita Abbasi behandeln sollte, schrieb laut CNN: „Es ist nicht meine Absicht, Angst und Horror zu verbreiten. Aber das ist die Wahrheit. Es ist ein Verbrechen und ich kann nicht schweigen. Mein Herz, das sie gesehen hat und sie nicht befreien konnte, macht mich wahnsinnig.“ Denn die Regimekräfte ließen sie aus der Klinik verschwinden, bevor ihre Familie zu ihr konnte. Sie soll seitdem im berüchtigten Fardis-Gefängnis sein. Es gibt keine Informationen darüber, wie es ihr geht.
Der CNN-Bericht legt systematische Vergewaltigungen in Gefängnissen frei. Die Reporter*innen haben mit Augenzeug*innen gesprochen, die sich befreien konnten und über die Grenze in den Irak fliehen konnten. Eine der Frauen, die flüchten konnte, erzählt von ihren Erlebnissen in der Haft. Unter den Gefangenen seien viele Frauen, auch Jungs seien dabei gewesen, manche Kinder gerade mal 13 oder 14 Jahre alt. Sie alle seien brutal vergewaltigt worden, die Mädchen und Frauen verletze man schwerer. Die Befragungsräume seien die Orte, an denen vergewaltigt werde: „Ein Offizier nimmt ein hübsches Mädchen in einen Raum, um alleine mit ihr zu sein und sie vergewaltigen zu können.“
Sie erzählt von einem Geschwisterpaar, Teenager, das mit ihr im Gefängnis war. Das Mädchen wurde mitgenommen. Als der Bruder zu ihr gehen wollte, um sie zu beschützen, wurde er zusammengeschlagen, bis er auf dem Boden lag und sich einnässte. Derweil hörte man die Schreie seiner Schwester aus dem Nebenraum.
Geschichten wie diese kennt man nicht erst seit Beginn der Proteste. Von der systematischen Ausübung sexueller Gewalt wissen die Menschen im Iran schon seit vielen Jahren. So werden Frauen, die zum Tode verurteilt wurden und noch „jungfräulich“ sind, vor ihrer Hinrichtung vergewaltigt. Denn es ist im Iran verboten, Jungfrauen zu exekutieren. Frauen, die seit Wochen protestieren, warnen einander, die Antibabypille einzunehmen, für den Fall, dass sie gefangen genommen werden.
Sexuell Gewalt als Mittel der Unterdrückung ist kein Zufallsprodukt der Islamischen Republik, sie ist fundamentaler Teil der Ideologie. Der Gründer des iranischen Gottesstaats, Ruhollah Chomeini, nannte Gegner*innen der Zwangsverschleierung und Frauen, die Freiheitsrechte einforderten, „Prostituierte“. Freiheit im westlichen Sinne, so der Revolutionsführer, sei „Verdorbenheit und Prostitution“. In offiziellen Verlautbarungen des Regimes in den 1980er Jahren hieß es, Verteidigerinnen von Frauenrechten seien Unterstützerinnen von „sexueller Sklaverei“.
Heißt: Frauen, die sich für Freiheitsrechte einsetzen, Frauen, die sich gegen die Zwangsverschleierung wehren oder sie ablehnen, sind Freiwild. Vergewaltigung und sexuelle Gewalt sind in diesem Weltbild legitime Instrumente.
Das gilt nicht nur für Frauen: Jegliche Opposition gegen das Regime der Kleriker wird als verdorben betrachtet und sexualisiert. Der heutige Revolutionsführer Ali Chamenei warnt immer wieder, dass es Menschen im Staat gebe, die „Promiskuität und Prostitution“ propagierten. So wird jegliche Opposition delegitimiert; es ist kein Zufall, dass eine der Anklagen, die die Todesstrafe nach sich ziehen, „Verdorbenheit auf Erden“ heißt. In der heutigen Protestbewegung haben bereits mehrere Protestierende dieses Urteil erhalten. Es werden sicher nicht die letzten sein.
„Sex ist ein Instrument der Unterdrückung geworden“, sagt der Exil-Journalist Maziar Bahari in einem Interview mit CNN. „Deswegen sieht man solche Grausamkeiten in iranischen Gefängnissen, wo Leute, die befragen, die foltern […] freie Bahn haben und die Gefangenen behandeln können, wie sie wollen, vor allem weibliche Gefangene.“ Dank der sozialen Medien und weil das eine von Frauen angeführte Bewegung sei, komme der sexuelle Aspekt in der repressiven Politik Irans nun endlich ans Tageslicht.
Seit Bestehen der Islamischen Republik, also seit 1979 gehören Menschenrechtsverletzungen zur Struktur des politischen Systems. Wenn auch 43 Jahre zu spät, ist es trotzdem gut, dass der UN-Menschenrechtsrat den Forderungen der Bundesregierung nachgekommen ist und jetzt beschlossen hat, diese Verbrechen ab jetzt zu dokumentieren.
Zur gleichen Zeit aber passiert weiterhin viel zu wenig, um das Regime für seine fortwährenden Verbrechen zu sanktionieren. Die zwei Sanktionspakete, die seit Beginn der Proteste auf EU-Ebene verabschiedet wurden, sind ein schlechter Witz. Die EU-Sanktionsliste besteht nun aus 126 Individuen und 11 Institutionen – das heißt: Die meisten Menschen, die dieses System stützen, sind weiterhin nicht sanktioniert. Sie haben ihre Vermögen an verschiedenen Orten der Welt, sie schicken ihre Kinder und Enkelkinder in Freiheit und Luxus an die besten Universitäten in westlichen Staaten.
Der Reichtum der iranischen Oligarchen bleibt unangetastet. Und die Revolutionsgarde, der Hauptträger des Terrors im Iran, bleibt ebenso weitgehend verschont. Anders als von Kanada wurden die Angehörigen der Revolutionsgarde nicht konsequent sanktioniert, und anders als in den USA steht diese Armee nicht auf der EU-Terrorliste.
Würde eine konsequente Sanktionierung das Verhalten des iranischen Regimes ändern? Das kann niemand vorhersagen. Hat diese Frage bei der Sanktionierung von Russland nach ihrem Angriffskrieg in der Ukraine eine Rolle gespielt? Nein. Denn Menschenrechtsverletzungen und Bruch von Völkerrecht müssen sanktioniert werden.
Im Iran heißt das: Die Sanktionen, die in den vergangenen 16 Jahren vor allem die Menschen des Landes getroffen haben, während die Machthaber immer reicher wurden, müssen überprüft werden, die Machtelite gezielt und konsequent sanktioniert, ihre Vermögen eingefroren werden.
Was die Frage der Revolutionsgarden auf der EU-Terrorliste angeht, so hört man aus verlässlichen Quellen, dass nicht die Bundesregierung das Problem sei, sondern Frankreich und Belgien sich querstellen. Dass EU-Staaten sich nicht einig sind, ist keine Seltenheit; gerade in diesem Fall darf aber keine Zeit verloren werden. Es kann nicht sein, dass die Protestierenden in Iran im Kampf gegen das Regime von der EU dermaßen im Stich gelassen werden.
Und so scheinen die Bundesregierung und die EU weiter abzuwarten. Worauf? Der Sieg im Menschenrechtsrat könnte zu einem Pyrrhussieg werden, wenn sich Deutschland darauf ausruht. In der Politik scheint man immer noch nicht verstanden zu haben, dass die Menschen, die auf den Straßen des Landes protestieren, nicht mehr in den Zustand von vor drei Monaten zurückkehren werden.
Zum ersten Mal in der Geschichte der Islamischen Republik schaut die ganze Welt zu: die sexuelle Gewalt, die Menschenrechtsverbrechen, die Grausamkeiten. Der Geist ist aus der Flasche. Und er wird sich nicht mehr einfangen lassen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
Anschlag in Magdeburg
Vorsicht mit psychopathologischen Deutungen
Insolventer Flugtaxi-Entwickler
Lilium findet doch noch Käufer
Polizeigewalt gegen Geflüchtete
An der Hamburger Hafenkante sitzt die Dienstwaffe locker
Rekordhoch beim Kirchenasyl – ein FAQ
Der Staat, die Kirchen und das Asyl
Preise fürs Parken in der Schweiz
Fettes Auto, fette Gebühr