Rentenkonzept der SPD: Der rote Olaf und die schwarze Null
Olaf Scholz irritiert mit seiner Ankündigung, dass die Rente bis 2040 sicher sein soll. Einen Finanzierungsplan dafür hat der Finanzminister indes nicht.
Am Sonntag hat die Bundespressekonferenz in Berlin zum Tag der offenen Tür geladen. Scholz sitzt vor einem vollen Saal und freut sich über reges Feedback. Mehrere BürgerInnen fragen nach seinem Vorschlag, das Rentenniveau bis 2040 zu stabilisieren.
Seitdem Scholz die Idee vor gut einer Woche ins Spiel brachte, läuft alles nach Plan: Die Union und die FDP toben, Ökonomen erklären die Idee für nicht finanzierbar, die konservative Presse druckt böse Kommentare. Vom DGB, einem wichtigen Verbündeten der SPD, wird Scholz gelobt.
Es ist auch eine Neuerfindung seiner selbst. Aus dem Technokraten Scholz, der die Agendapolitik Gerhard Schröders als Generalsekretär mitverantwortete, der sich im Finanzministerium als Fan der schwarzen Null präsentierte, wird plötzlich der rote Olaf, ein Kämpfer für linke Sozialpolitik. Er sei mit 17 Jahren in die SPD eingetreten, erzählt Scholz in der Bürgersprechstunde. Und er wisse sehr genau, was Projekte für die älteste linke Sammlungsbewegung in Deutschland seien. Er meint: die SPD.
Machtzentrum der Partei
Der Vizekanzler und die Parteivorsitzende Andrea Nahles bilden das neue Machtzentrum der Partei – und rücken sie gerade behutsam nach links. Beide haben verabredet, das sozialdemokratische Profil in der Koalition zu schärfen. Die SPD, davon sind sie überzeugt, müsse aus dem Kommunikationsrahmen der Groko ausbrechen, wenn sie punkten wolle. Das Ergebnis ist ein linkerer Sound, der auf Brot-und-Butter-Themen setzt.
Nahles forderte jüngst, die Hartz-IV-Sanktionen für junge Menschen abzuschaffen. Scholz zielt mit der Rentendebatte auf eine Angst, die viele Menschen umtreibt: Bleibt im Alter genug zum Leben? Ein Grund für die sozialpolitische Offensive sind die schlechten Aussichten in den nächsten Wahlen.
Die Bundespartei krebst in Umfragen bei 18 Prozent, und bei Landtagswahlen in Hessen und Bayern im Oktober drohen Niederlagen. Thorsten Schäfer-Gümbel, Spitzenkandidat in Wiesbaden, könnte auch im dritten Anlauf auf das Ministerpräsidentenamt scheitern. Und in München droht die SPD pulverisiert zu werden. Sie liegt in Umfragen bei 12 Prozent, hinter den Grünen und der AfD.
Scholz und Nahles stehen intern unter enormem Druck. Viele Mitglieder halten nichts von der Berliner Groko und finden falsch, dass die SPD erneut in das ungeliebte Bündnis eingetreten ist. Wichtige Landesverbände wie der in Nordrhein-Westfalen wünschen sich eine linkere Profilierung. Auch dass Scholz und Nahles stoisch hinnahmen, dass die CSU mit ihrer Anti-Flüchtlings-Rhetorik monatelang den Diskurs dominierte, kam nicht gut an.
Scholz kommt schlecht an
„Die SPD kann in der Großen Koalition gerne noch dynamischer und mit mehr Profil auftreten“, mahnte Schäfer-Gümbel Ende Juli in der Welt. Die Bundes-SPD müsse an „ihrer eigenen Erkennbarkeit stärker arbeiten“. So wie Schäfer-Gümbel, eigentlich ein Mann der leisen Töne, sehen das viele in der SPD.
Gerade Scholz wird skeptisch beäugt. Auf Parteitagen kommt seine nüchterne Art schlecht an, er fährt bei Vorstandswahlen stets miese Ergebnisse ein. Im Mai präsentierte der neue Finanzminister den Haushalt für 2019 und die Planung für die nächsten Jahre – der Stolz auf die sinkende Schuldenstandsquote stand ihm ins Gesicht geschrieben.
Über die Finanzierung seiner Rentenpläne schweigt sich Scholz aus. In der Bundespressekonferenz warnt er vor Panikmache. Schon in der Vergangenheit sei viel für stabile Rentenfinanzen getan worden. Die jetzige Regierung habe ein stabiles Niveau bis 2025 vereinbart. „Deshalb kann man auch gucken, wie kriegen wir den Rest jetzt hin.“ Der Bundeshaushalt bis 2030 könne rund 500 Milliarden Euro umfassen, also viel mehr als jetzt. Deshalb seien Summen, über die diskutiert werde, nicht so unvorstellbar, wie einige das sagten.
Die Kosten für Scholz’ Idee wären in der Tat happig, weil nach 2025 die geburtenstarken Jahrgänge der Babyboomer in Rente gehen. Allerdings sind sie wegen vieler Faktoren schwer zu berechnen. Die arbeitgebernahe Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft veröffentlichte eine Prognose, nach der allein im Jahr 240 rund 75 Milliarden Euro nötig wären, um das Rentenniveau bei 48 Prozent zu fixieren. Ob es so teuer käme, ist offen – mit Zahlen wird auch Politik gemacht.
Unterstützung innerhalb der SPD
Doch in der SPD ist die Unterstützung für Scholz und Nahles groß. „Wir müssen dafür sorgen, dass auch die heute jüngeren Generationen auf ihre Rente vertrauen können“, sagt Bundesvize Natascha Kohnen der taz. „Die SPD ist die einzige Partei, die sich darum kümmert.“ Anders als Scholz denken Kohnen und andere SPDler öffentlich darüber nach, woher die Milliarden für die Rente kommen könnten.
Das werde finanziell eine Herausforderung, sagt Kohnen. Aber: „Ich fände es ohnehin richtig, beispielsweise Riesenvermögen und absolute Spitzenverdiener stärker zu gesellschaftlicher Solidarität heranzuziehen.“ Die Schere zwischen Megareichtum und Altersarmut und Armut dürfe nicht noch weiter aufklaffen.
Selbst Johannes Kahrs, Chef des konservativen Seeheimer Kreises in der SPD, warb per Interview dafür, die gesetzliche Rente mit Steuern zu stabilisieren. Langfristig müsse man über zusätzliche Einnahmequellen sprechen, etwa über die Finanztransaktionsteuer oder eine zusätzliche Steuer für große Vermögen. Die rechten Seeheimer rufen nach einer Vermögensteuer: Allein das zeigt, wie groß die Sehnsucht in der SPD ist, sich hinter Identitätsthemen zu versammeln.
Debatte nicht gewünscht
Doch diese Debatte ist nicht in Scholz’ Sinne. Sein Ministerium dementierte einen Bericht des Spiegel, wonach es Berechnungen für die Finanzierung gebe. Dem SPD-Mann geht es zunächst nicht um belastbare Zahlen, sondern um ein Symbol. Politik, glaubt er, muss den Menschen Sicherheit vermitteln – sonst wenden sie sich ab. Oder, um mit Scholz zu sprechen: „Stabile Renten verhindern einen deutschen Trump.“
Die neue Profilierungsstrategie birgt allerdings ein Risiko. Scholz und Nahles könnten Erwartungen wecken, die durch kleinteilige Groko-Kompromisse permanent enttäuscht werden. Im Moment verhandeln SPD und Union die Feinheiten des Rentenpakets.
CSU-Chef Horst Seehofer kritisiert entsprechend die Forderung der SPD. „Die SPD soll die Leute nicht verunsichern, ich verstehe die Diskussion überhaupt nicht, die außerhalb des Kanzleramts stattfindet“, sagte Seehofer am Sonntag im ZDF-Sommerinterview. Und auch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) wies den Vorschlag auch scharf zurück: „Jeden Tag etwas anderes mitzuteilen, schärft eher die Verunsicherung, als dass es Sicherheit schafft“, sagte Merkel am Sonntag im Sommerinterview der ARD.
Im Rentenpaket enthalten ist eine Verbesserung der Mütterrente, ein Herzensanliegen der CSU – und die Stabilisierung des Rentenniveaus bis 2025 bei 48 Prozent. Was nach 2025 passiert, soll eigentlich eine Expertenkommission klären. Doch auf solche Runden darf ein roter Olaf keine Rücksicht nehmen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Greenpeace-Mitarbeiter über Aufrüstung
„Das 2-Prozent-Ziel ist willkürlich gesetzt“
Selbstzerstörung der FDP
Die Luft wird jetzt auch für Lindner dünn
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Iran als Bedrohung Israels
„Iran könnte ein Arsenal an Atomwaffen bauen“
Rücktritte an der FDP-Spitze
Generalsekretär in offener Feldschlacht gefallen
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“