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Rekordhoch beim Kirchenasyl – ein FAQDer Staat, die Kirchen und das Asyl

Bremens SPD-Innensenator versuchte mehrmals, Menschen aus dem Kirchenasyl abzuschieben. Jetzt gibt es eine Einigung mit den evangelischen Kirchen.

Über den Gemeinden, die Kirchenasyl gewähren, dräut es sich zusammen Foto: Imago / Bild Funk MV

Worin besteht die Einigung zwischen Bremens Innensenator Ulrich Mäurer (SPD) und den evangelischen Kirchen zum Kirchenasyl?

Bremen schiebt bis Ende Januar niemanden ab, der oder die Schutz in einer Kirchengemeinde gesucht hat. Das hat der Innensenator am Donnerstagabend mitgeteilt. Anfang Dezember hatte dies die Polizei versucht, in zwei folgenden Fällen war es angekündigt. Bisher hatte Mäurer behauptet, er könne nicht anders – weil es das Bundesamt für Migration (Bamf) neuerdings anordne. So hatte auch Schleswig-Holsteins Sozialministerin Aminata Touré vor einem Jahr die versuchte Abschiebung von zwei Afghanen aus dem Kirchenasyl begründet. In Niedersachsen gibt es eine ähnliche Vereinbarung zwischen Innenministerin und Kirche. Ohne Befristung.

Und was bieten die Kirchen?

Die nehmen keine Menschen mehr aus anderen Bundesländern auf. Das tun sie aber seit dem Sommer schon nicht mehr, sagt Lars Ackermann vom Verein Zuflucht, der die Kirchenasyle in der Stadt Bremen koordiniert. „Seitdem Bremen so viel abschiebt, melden sich viel mehr Menschen bei uns, die bereits hier leben.“ In Bremerhaven kamen fast alle Geflüchteten bisher aus anderen Bundesländern. Der Grund: Es gibt dort kein Erstaufnahmezentrum wie in Bremen, die dort ansässigen evangelischen Kirchengemeinden gehören überwiegend zur Landeskirche Hannover.

Wie entscheiden die Gemeinden?

In der gemeinsamen Pressemitteilung vom Donnerstagabend steht auch: „Bevor eine Kirchengemeinde künftig Kirchenasyl gewährt, soll sie sich unbedingt mit der jeweiligen Landeskirche oder der Geschäftsstelle der Konföderation niedersächsischer Kirchen beraten und abstimmen.“ Nichts Neues, sagt Lars Ackermann vom Verein Zuflucht. „Hier gucken immer sechs Augenpaare drauf.“ Manchmal würden Gemeinden einen Fall anders beurteilen als er und ein Kirchenasyl ablehnen. Auch die niedersächsischen Gemeinden in der Konföderation wendeten dieses Verfahren bereits an, sagt deren Pressesprecher. Es sei möglich, dass vereinzelt Gemeinden alleine entschieden hätten.

Wer steht vor den Türen der Gemeinden und sucht Schutz?

„Bei 95 Prozent der Menschen, die sich bei uns melden, handelt es sich um Härtefälle“, sagt Lars Ackermann. Sven Quittkat vom Ländernetzwerk Kirchenasyl in Niedersachsen nennt andere Zahlen. Er habe 30 bis 40 Anfragen pro Woche, ein Drittel mehr als Anfang des Jahres. Von diesen seien zehn bis 20 Härtefälle, Leben oder Gesundheit wären bei einer Abschiebung in ein anderes Land bedroht. „Nur einem oder einer kann ich einen Platz anbieten.“ Familien sind schwerer unterzubringen, deshalb handelt es sich in der Mehrzahl der gezählten Fälle um Einzelpersonen.

Aber sollten die nicht bloß in Länder wie Spanien, Schweden und Finnland abgeschoben werden?

Ja. Kirchengemeinden nehmen fast nur Menschen auf, die nach der Dublin-Verordnung in die europäischen Länder „überstellt“ werden sollen, in denen sie nach ihrer Flucht zuerst registriert wurden. Nach sechs Monaten hierzulande dürfen sie in Deutschland Asyl beantragen; in den Kirchen harren sie in der Regel wenige Tage oder Wochen bis Fristablauf aus. Nur weil sie in den oben genannten Ländern keine systematische Gewalt durch Po­li­zis­t:in­nen befürchten müssen, heißt das nicht, dass sie dort ein faires Asylverfahren bekommen. „Wir konzentrieren uns in Bayern auf Menschen, die nach Bulgarien und Rumänien abgeschoben werden“, sagt Stephan Reiche vom Verein Matteo, über den nach eigenen Angaben etwa 80 Prozent der Kirchenasyl-Fälle in Bayern koordiniert werden. 232 sollen es nach Angaben des Bremer Innensenators in diesem Jahr gewesen sein, eine andere Vergleichszahl liegt nicht vor. Aber auch Stephan Reiche sagt: Den Einfluss von rechtspopulistischen Parteien in Skandinavien, die teils mitregieren oder wie in Schweden Minderheitenregierungen stützen, würden Geflüchtete deutlich spüren.

Wie? Nix Bullerbü für alle?

Aus Schweden werden immer wieder Menschen nach Syrien und Afghanistan abgeschoben. Dänemark hat die Unterstützungsleistungen für Asylsuchende auf ein Minimum zurückgefahren, auch für Kinder. Finnland hat ein Gesetz erlassen, das erlaubt, Geflüchtete über die Grenze nach Russland zurückzuweisen. Offiziell ist es nicht zur Anwendung gekommen, aber Menschen, die in Deutschland um Kirchenasyl bitten, berichten, ihnen sei das passiert. Aus Spanien gibt es Berichte, dass Asylanträge nicht bearbeitet werden und Geflüchtete auf der Straße leben.

Die müssen aber nicht alle in Bremen Kirchenasyl bekommen, oder?

Das findet Bremens Innensenator, der Jour­na­lis­t:in­nen ein Balkendiagramm zur Verfügung stellt, das die ungleiche Verteilung anschaulich machen soll. Danach kamen zwischen Januar und Oktober in Bremen 29,2 Kirchenasyl-Fälle auf 100.000 Einwohner:innen, beim Zweitplatzierten Hessen 5,28 und beim Schlusslicht Baden-Württemberg 0,2. Innensenator Mäurer hat die Zahlen vom Bundesamt für Migration, das deren Herausgabe an Medien verweigert. Besonders empört ihn, dass er von „63 Kirchen­asylfällen in Bremen“ ausgegangen sei, stattdessen seien es 202 gewesen, wie er in einem Interview sagte. Dabei haben Bremer Kirchengemeinden immer schon relativ viele Geflüchtete aufgenommen. Nach Angaben der Bremischen Evangelischen Kirche waren es im vergangenen Jahr 92 Fälle – allein in der Stadt Bremen. In diesem Jahr seien es dort bisher 125 gewesen. Die Landeskirche Hannover gibt für Bremerhaven 100 Fälle bis Dezember an. Dort kann eine Gemeinde zehn Plätze zur Verfügung stellen. Bundesweit ist die Zahl der Kirchenasyl-Fälle seit 2022 gestiegen – parallel zu den steigenden Abschiebungen.

Man kann auch fragen: Warum gibt es in anderen Bundesländern so wenige Gemeinden, die Kirchenasyl gewähren?

Stimmt, in der Bremischen Evangelischen Kirche gewähren fünf von 52 Gemeinden Kirchenasyl, in Bremerhaven vier von elf in der Landeskirche Hannover. Zum Vergleich: Nach Angaben der Nordkirche gewähren 26 von 920 Gemeinden Kirchenasyl.

Woran liegt das?

Bremen wird seit jeher von der SPD regiert, seit 2007 gemeinsam mit den Grünen, seit 2019 auch mit den Linken. Der Fußballverein Werder Bremen positioniert sich seit langem öffentlich gegen Rechtsextremismus, vor dem Stadion weht die Flagge für alle Geschlechter. Wer wundert sich da über linke Kirchengemeinden? Der Innensenator ist kein rechter Hardliner, sondern stur. Das trifft an anderer Stelle Hooligans, Wettbüros oder die Deutsche Fußballliga.

Bei 95 Prozent der Menschen, die sich bei uns melden, handelt es sich um Härtefälle

Lars Ackermann, Verein Fluchtpunkt

Ist das Kirchenasyl gefährdet?

Jein. Einerseits handelt es sich bei den versuchten und vollzogenen Abschiebungen wie in Hamburg um Einzelfälle, die in Bremen am Widerstand von Bür­ge­r:in­nen gescheitert sind. Andererseits übernehmen Medien die Darstellung von Landesregierungen, es gebe eine Übereinkunft zwischen Bamf und Kirchen, wonach das Kirchenasyl beendet werden muss, wenn das Bamf nach erneuter Prüfung keinen Härtefall erkennt. Tatsächlich enthält die Einigung aus dem Jahr 2015 keinen solchen Passus. Dafür veröffentlichte vor zwei Jahren das Bamf ein „Merkblatt“ mit Regeln für Kirchenasyle. Radio Bremen fragte eine Bremerhavener Kirchenvertreterin, ob sie es „beim Kirchenasyl übertrieben habe“. Dahinter steht die Annahme, es gebe eine Instanz, die beurteilen könne, wie viel Kirchenasyl zulässig sei. Analog müsste man der Letzten Generation gestatten, sich auf Straßen festzukleben, auf denen nur wenige Autos fahren.

Kirchenasyl ist illegal?

Gemeinden handeln aus der Überzeugung, als Chris­t:in­nen Menschen in Not helfen zu müssen. Viele verstehen ihr Handeln als gewaltlosen Widerstand, was vom Grundgesetz gedeckt ist. Insofern stellen sie sich nicht „über das Recht“, wie ihnen oft vorgeworfen wird. „Kirchenasyl ist nicht legal, aber legitim“, sagt Benedikt Kern, der Koordinator der Kirchenasyle in Nordrhein-Westfalen. Staatliche Ver­tre­te­r:in­nen versuchten erfolgreich, das Kirchen­asyl durch formalisierte Verfahren „einzuhegen“. Dazu zähle die juristisch nicht definierte Bezeichnung „Sonderpetitionsrecht“, auf die sich Bremens Innensenator und die Kirchen laut Pressemitteilung geeinigt haben. „Damit bekommt der Staat die Definitionsmacht über das Kirchenasyl.“

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11 Kommentare

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  • Wo ist das Problem ? Wenn die Kirche meint jemanden Asyl zu gewähren, gut, dann soll sie. Gleichzeitigt gehört dann aber geregelt das die Kirche dann auch sämtliche Kosten für diesen zu tragen hat. Weil wenn die Kirche meint über geltendem Recht zu stehen ist sie auch ( finanziell ) für diese Personen verantwortlich.

    • @Günter Witte:

      Nein, das geht nicht. Die Kirche ist mittellos.

  • Kirche. Wann enden all die kirchlichen Sonderrechte endlich?

    • @QuerBeetLeser:

      Zivilgesellschaftliches Engagement ist beileibe kein Sonderrecht

      • @Rudolf Fissner:

        Wenn ich als Institution gegen eigentlich geltendes Recht verstoßen darf, dann ist das kein Sonderrecht? Eigene Gerichtsbarkeiten gibt es auch noch. Eigenes Arbeitsrecht, oft erstaunlich wenig christlich. Steuern durch den Staat ei treiben lassen. Alles zu haareraufen.

    • @QuerBeetLeser:

      Warum denn?! .. Oder: wann enden Steuerprivilegien für Superreiche endlich? Wann endet endlich der globale Temperaturanstieg? Wann wird endlich die Schöpfung nachhaltig geschützt und erhält Grundrechte? ..

  • Die Beantwortung der Frage "Woaran liegt das?" (dass in Bremen soviel Kirchenasyl vorkommt) mutet irgendwie merkwürdig an: Werder Bremen, Die Linke, Die GRÜNEN und die SPD seien der Grund.

    Glaubensfragen, Christentum oder konservative Werte werden da völlig ausgeblendet. Plötzlich sind die Kirche die Sperspitze der Progressiven. Und das Werder Bremen eine besondere Affinität zu Gottesdiensten hat wage ich auch zu bezweifeln. Bengalos sind keine Weihrauchkerzen!.

  • Herzlichen Glückwunsch liebe Kirchengemeinden. Mit jedem Fall von durchgesetztem Kirchenasyl generiert Ihr eine Anzahl von Wählerstimmen für extreme Parteien. Lässt Euch das besser schlafen?

    Wenn ich meine subjektiven Moralvorstellungen immer über das Gesetz stellen könnte, wäre es schlecht um den (auf demokratischer Legitimation beruhenden) Rechtsstaat bestellt. Warum sollte es bei Euch anders sein?

    • @Hector Savage:

      Sie wollen also Faschos bekämpfen in dem Sie das exakt selbe wie die Faschos fordern interessant

      • @Kaninchen sind keine Nagetiere:

        Die aktuell geltenden Gesetze sind keine faschistischen Gesetze.

        Sie rechtsstaatlich auf demokratischen Wege zustande gekommen.

        Nur deshalb gibt es Abschiebungen nach Schweden, Spanien oder Finnland.

        Faschismus ist nicht, wenn jemand nicht meine Meinung vertritt.

      • @Kaninchen sind keine Nagetiere:

        Interessant ist eher sich zu fragen, was den Faschos überhaupt dazu verholfen hat solche Stimmenanteile bei relevanten Wahlen einzufahren.

        Das kann man alles ganz furchtbar finden, sich Augen und Ohren zuhalten und dabei "Lalala" schreien, aber das ändert aber eben nichts an den Wahlergebnissen. Das Problem hat sich "Politik" selbst eingebrockt, also muss "Politik" auch einen Weg dort hinaus finden. Dieser Weg kann nur über stabile Mehrheiten erreicht werden. Wem diese Mehrheitsentscheide nicht passen kann immer noch laut schreien (s.o.), er/ siemacht sich damit aber im demokratischen Diskurs irrelevant.