Rekordhitze in Kanada: Flucht vor Hitze und Feuer
Seit Tagen klettern im Westen Kanadas die Temperaturen bis knapp 50 Grad – hunderte Bewohner müssen jetzt wegen heranrückender Waldbrände fliehen.
Kurz darauf eilten Polizisten von Haus zu Haus, um die Bewohner vor dem Waldbrand zu warnen. Nur die wenigsten hatten noch die Zeit, wichtiges Hab und Gut einzupacken. „Wir wollten nur noch raus, einfach nur noch weg“, berichtete eine Bewohnerin. Schwere Rauchschwaden zogen über das Dorf, Dachstühle und Autos fingen Feuer. Der nahe Trans-Kanada-Highway wurde abgesperrt.
Lytton liegt im Tal des Fraser River, etwa vier Autostunden von Vancouver entfernt. Seit Tagen schon steht Lytton in den Schlagzeilen, denn das 300-Einwohner-Dorf ist so etwas wie das Epizentrum der Hitzewelle, die den Westen Kanadas seit fünf Tagen fest im Griff hat. 49,6 Grad Celsius waren am Dienstag dort gemessen worden, die höchste Temperatur, die in Kanada je aufgezeichnet wurde.
Es war der dritte Rekord innerhalb dreier Tage. Am Sonntag war das Thermometer in Lytton zunächst auf den neuen Landesrekord von 46,6 Grad gestiegen, am Montag dann auf 47,9 Grad. Am Dienstag schließlich vermeldete der kanadische Wetterdienst knapp 50 Grad – vier Grad mehr als der bisherige in Kanada gemessene Höchstwert aus dem Jahr 1937. Am Mittwochabend dann kam das Feuer.
„Ein Wunder, wenn es alle geschafft haben“
Augenzeugen sprachen von „katastrophalen Zerstörungen“. Noch ist unklar, ob alle Bewohner das Dorf rechtzeitig verlassen konnten. „Es wäre ein Wunder, wenn es alle geschafft haben“, sagte der Bürgermeister. Eine Anwohnerin berichtete im Radio, rund 100 Einwohner seien in einem langen Auto-Konvoi in eine nahe Kleinstadt geflüchtet. „Es ist unglaublich. Unser Dorf ist nicht mehr.“ Die Einsatzkräfte versuchten bis spät in die Nacht das Feuer mit Hilfe von Hubschraubern zu löschen. Womöglich jedoch wurde das Dorf völlig zerstört.
Insgesamt wüten in British Columbia derzeit rund 30 Waldbrände, angefacht durch die sengende Hitze und Windböen von bis zu 60 Stundenkilometern. Neben den Bewohnern von Lytton mussten auf Anweisung der Behörden auch andernorts hunderte Menschen ihre Häuser verlassen. Für die nächsten Tage sind Hitze-Gewitter vorhergesagt, was die Lage weiter verschärfen dürfte.
Die Rekord-Hitzewelle, die sich zuletzt von der Küstenmetropole Vancouver ins Landesinnere der Provinzen British Columbia, Alberta und Saskatchewan verlagert hatte, dürfte nach Schätzungen der Regierung bislang zu mehreren Hunderten Todesfällen beigetragen haben. In den letzten fünf Tagen sind allein in British Columbia laut Gerichtsmedizinern 486 plötzliche Todesfälle gemeldet worden.
300 Tote mehr als üblich
Laut der obersten Gerichtsmedizinerin der Provinz, Lisa Lapointe, sind das rund 300 mehr als üblich für einen solchen Zeitraum. Die Behörde geht davon aus, dass der starke Anstieg mit der extremen Hitze zusammenhängt. Viele der Todesopfer hätten allein gelebt und sich in schlecht belüfteten und nicht gekühlten Räumen aufgehalten, bei den meisten haben es sich um Senioren gehandelt, so Lapointe.
In vielen Gemeinden wurden in Kirchen, Schwimmbädern, Garagen oder Bibliotheken Kühlungsräume eingerichtet, in denen Menschen Zuflucht vor der Hitze finden können. Viele Bewohner von British Columbia haben in ihren Häusern keine Klimaanlagen, denn die Region gilt insbesondere im Küstenbereich als gemäßigt. Temperaturen von über 30 Grad im Sommer sind dort außergewöhnlich.
In größeren Städten sind Klimaanlagen bereits seit Tagen ausverkauft. Nicht wenige Bewohner haben sich laut dem Hotel- und Gaststättenverband von British Columbia in klimatisierte Hotelunterkünfte eingemietet, um dort zu arbeiten und Schlaf zu finden. In Vancouver wurden allerorten Brunnen und Sprinkleranlagen laufen gelassen, in Calgary stehen Tankwagen mit Trinkwasser bereit.
Klimaforscher schockiert
Auslöser der extremen Hitzewelle in Kanada sowie im Nordwesten der USA ist ein sogenannter „Heat Dome“, eine Hitzekuppel. Dabei hält der Hochdruck in der Atmosphäre die heiße Luft in einer Art Kuppel fest, die sich nur langsam bewegt. Am Mittwoch wurden die höchsten Temperaturen in British Columbia mit 46,1 Grad in der Gemeinde Ashcroft gemessen, ebenfalls im Tal des Fraser-Flusses gelegen.
Das Ausmaß der Hitzewelle habe ihn schockiert, sagte der Klimaforscher Simon Donner von der Universität von British Columbia dem Sender CBC. „Als Wissenschaftler rechnen wir mit mehr extremen Wetterereignissen, denn die Treibhausgase in der Atmosphäre nehmen weiter zu“, meinte Donner. „Dass die derzeitige Welle aber so intensiv ist und so lange andauert, ist in Kanada ohne Beispiel.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Haftbefehl gegen Netanjahu
Sollte die deutsche Polizei Netanjahu verhaften?
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Deutscher Arbeitsmarkt
Zuwanderung ist unausweichlich
#womeninmalefields Social-Media-Trend
„Ne sorry babe mit Pille spür ich nix“
Rechtspopulistinnen in Europa
Rechts, weiblich, erfolgreich
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern