Reichsbürger auf Corona-Demos: Sie meinen es ernst
Bei den Demos gegen Coronamaßnahmen ist eine Reichsbürgergruppe aus Süddeutschland besonders aktiv. Sie will weitere Unterstützer ködern.
Bei ihnen handelt es sich überwiegend um Anhänger der sogenannten Querdenken-Bewegung, die schon mehrfach Tausende Pandemieleugner in Stuttgart versammelte. Bisher fast unbemerkt ist aber noch eine andere Gruppe aktiv, die auf den Hygienedemos ebenfalls vorgibt, für die Grundrechte einzutreten. Tatsächlich aber erkennt sie das Grundgesetz gar nicht als Verfassung dieses Landes an. Gemeint ist die sogenannte Verfassunggebende Versammlung, kurz VV.
Die Gruppe ist im Internet straff organisiert, betreibt sogar einen Internetauftritt samt dem eigenen Radiosender ddbradio. Auch sie ist besonders in Baden-Württemberg sowie in Bayern aktiv. Es sei alles für die Übernahme der Macht durch den Souverän, das Volk, vorbereitet, heißt es auf der Internetseite.
Per Unterschrift auf einem Vordruck, der derzeit auch eifrig auf den Hygienedemos verteilt wird, könne man an einem Referendum zur Abschaffung des Grundgesetzes teilnehmen. Als Kontaktadresse ist ein Postfach im badischen Lahr angegeben. Für ein Postfach in der Kreisstadt am Rande des Schwarzwalds hat sich vor wenigen Monaten schon die Polizei interessiert – als sie Razzien gegen Reichsbürger durchführte.
„Deutschland-Treff“
In den jährlichen Berichten des Landesamts für Verfassungsschutz in Baden-Württemberg wird die VV denn auch im Kapitel zu den Reichsbürgern behandelt: Deren Ideologie beruhe auf der Annahme, dass die Legitimation der Bundesrepublik Deutschland im Zuge der Wiedervereinigung 1990 erloschen sei. Die Bundesrepublik, so die Überzeugung der Anhänger, sei eine GmbH, die lediglich verwaltet werde, bis eine neue Verfassung in Kraft trete, die vom deutschen Volk in freier Entscheidung beschlossen worden ist.
An dieser Verfassung arbeitet man. Sie begründet nach Auffassung einer kommissarisch eingesetzten Führung unter Leitung eines gewissen „Uwe von Leonhard“ den bereits 2016 ausgerufenen „Bundesstaat Deutschland“ – in den Grenzen von 1916. So habe man es in den Vollversammlungen beschlossen, die in einem Chatraum namens „Deutschland-Treff“ stattfanden, wie es in „aktuellen Informationen aus dem Präsidialamt“ auf der Homepage heißt.
Anhänger der Gruppe haben in den letzten Monaten die Hygienedemos im Südwesten bereist, um Menschen für ihre verfassungsfeindlichen Anliegen zu begeistern und um neue Unterzeichner für ihr Referendum zu rekrutieren.
So berichtete zum Beispiel ein „Jürgen von Friedrich“ in einem Facebook-Video auf der Rückfahrt von einer Demo in Offenburg, dass dies dort Thema gewesen sei: „Die Menschen wachen langsam auf. […]. Wir sind auf einem sehr guten Weg. Die verfassunggebende Versammlung findet immer mehr Gehör“, sagt er. Massiv wirbt die Gruppe auch in den Chaträumen der regionalen Anti-Corona-Demonstrationen um neue Anhänger. Die Diskussionsteilnehmer dort lädt sie mit Links in ihre eigenen Kanäle ein.
Mehr Reichsbürger auf Telegram
Harmlos kommt die Bewegung keinesfalls daher. Die Anhänger meinen es ernst – und werden ungeduldig, wie sich an der rasant ansteigenden Zahl von Kanälen in der Chat-App Telegram und an der wachsenden Radikalität ihrer Beiträge ablesen lässt.
So schreibt etwa ein User Namens „Timo“ im Telegram-Kanal „Deutschlandtreff“: „Ich merke das uns die Zeit davon läuft und uns der Kragen enger gezogen wird. Es ist jetzt Zeit zu handeln. […] Wir müssen unsere neue Verfassung ausrufen und verkünden das wir unsere Politiker absetzen. […] Ich fühle mich wie wenn wir in einer Schlacht stehen, aber niemand tut etwas um die Messer und Speere die auf uns zulaufen aufzuhalten.“
Allein dieser Kanal hat 1.780 Mitglieder, täglich werden es mehr, und es gibt bundesweit mittlerweile Hunderte ähnlicher Chatgruppen. Auch auf der Berliner Großdemo war vielerorts und sogar vor Fernsehkameras die Rede davon, dass sich Politiker, Medienschaffende und Verwaltungsangestellte nach der Machtübernahme für ihr Handeln vor einem „Tribunal des Rechts“ verantworten müssen. Die Propaganda der „Verfassunggebenden Versammlung“ verfängt offenbar.
Ein Demonstrant ist allerdings desillusioniert von Berlin zurückgefahren: Der baden-württembergische AfD-Landtagsabgeordnete Stefan Räpple, gegen den ein Parteiausschlussverfahren läuft, plädierte dafür, nach der Demo weiter zum Reichstag zu ziehen. In einem Video auf seiner Facebook-Seite bedauert er auf dem Rückweg schließlich, dass der Umsturz dieses Mal ausgeblieben sei: „Wir hätten es natürlich knallen lassen können. […] Es ist ein bisschen schade, dass es jetzt heute so verpufft ist.“ Von Baden sei schließlich schon einmal eine Revolution ausgegangen.
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