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Regionalwahlen in FrankreichDie Front gegen rechts bröckelt

Am Sonntag beginnen die französischen Regionalwahlen. Linke und Grüne treten getrennt an, was in Macrons Kalkül passt. Doch es gibt eine Ausnahme.

Will Regionalchefin in Hauts-de-France werden: Karima Delli (l.) Foto: Sylvain Lefevre/Hans Lucas/afp

Paris taz | Beim Verteilen ihres Wahlkampfflugblatts zieht die 42-jährige Karima Delli immer wieder lächelnd die noch obligatorische Schutzmaske runter, damit die Leute sehen, dass sie sehr wohl die schwarzhaarige Kandidatin von den Fotos ist. Viele kennen die grüne Spitzenkandidatin einer linken Einheitsliste in der nordfranzösischen Region Hauts-de-France überhaupt nicht, obwohl sie selbst aus Tourcoing an der Grenze zu Belgien kommt und auch schon zweimal ins Europaparlament gewählt worden ist.

Bei Frankreichs Regionalwahlen, die am Sonntag beginnen, will Delli Präsidentin des Regionalrats von Hauts-de-France werden. Doch weil ihre beiden wichtigsten Konkurrenten, Amtsinhaber Xavier Bertrand und der rechtsextreme Abgeordnete Sébastien Chenu, den meisten besser bekannt sind, wird Dellis Kampagne zu einer Aufholjagd mit ungewissem Ausgang.

In Umfragen liegt Dellis Liste auf dem dritten Platz. Ihre Aufgabe ist alles andere als leicht: Die extreme Rechte ist in allen Regionen Frankreichs stark im Kommen, und der bisherige Regionsvorsitzende Bertrand ist eine nationale Größe der konservativen Rechten. Bertrand hat sogar bereits seine Kandidatur für die Präsidentschaftswahl im April 2022 angemeldet. Wie in den meisten anderen Regionen hat die Regierungspartei La République en marche (LREM) in den Regionalwahlen übrigens kaum Chancen, unter den Ersten zu landen.

Delli muss und will vor allem die traditionellen Links­wäh­le­r:in­nen motivieren, die nach akkumulierten Enttäuschungen entweder zu Emmanuel Macron oder zu Marine Le Pens rechtsextremem Rassemblement national (RN) abgewandert sind oder aus fatalistischem Desinteresse überhaupt nicht mehr wählen mögen. Die Angst vor Le Pen oder die Berufung auf den Antifaschismus allein zieht nicht mehr. Dellis Erfolgsausweis ist, dass sie es als Grüne immerhin geschafft hat, fast alle linken Parteien in ihrer Region für eine Wahlunion zu gewinnen, was in dieser Form eine Ausnahme ist.

Die Wahl vor der Wahl

Votum In Frankreichs 17 Regionen werden neue Regionalräte gewählt. Die erste Runde findet am 20. Juni statt, die zweite eine Woche später.

Rechte Die Präsidentenpartei La République en Marche (LREM) regiert bisher keine Region, da sie bei der letzten Regionalwahl 2015 noch nicht existierte. Daran dürfte sich auch jetzt nichts ändern. Le Pens Rassemblement National (RN) könnte in vielen Regionen den ersten Wahlgang gewinnen.

Stimmung Es ist die letzte große Wahl vor der Präsidentschaftswahl im April 2022. Die wird wohl ein Rennen zwischen Macron und Le Pen. (taz)

Delli schreibt diesen Erfolg ihrem in Brüssel als EU-Parlamentarierin erlernten Verhandlungsgeschick zu: „Wenn es um einen Kompromiss in der EU geht, hast du nicht unbedingt Recht oder Unrecht, es handelt sich darum, eine Handlungsmöglichkeit zu finden. Genauso haben wir hier (im französischen Nordwesten, Anm. d. Red.) verstanden, dass uns mehr vereint als trennt. Es ist mir gelungen, alle meine Partner zu respektieren und ein gemeinsames Ziel zu formulieren.“

Linkes Konkurrenzdenken

Darum kandidieren auf der linken Einheitsliste neben den Grünen von Europe-Ecologie-Les Verts (EELV) auch Mitglieder von La France insoumise (LFI), den Kommunisten (PCF) und auch den Sozialisten (PS), die lange in diesem ehemaligen Kohle- und Industriegebiet den Ton angegeben hatten, jetzt aber den Grünen den Vortritt lassen, um überhaupt noch im Rennen zu sein.

In anderen Regionen Frankreichs ist aus unterschiedlichen Gründen, oft wegen politischer Divergenzen, aber auch aus geradezu sektiererisch anmutendem Eigensinn und Konkurrenzdenken, keine vergleichbare Einheit zustande gekommen. Die sonst traditionelle Linksfront Front républicain gerät zusehends ins Bröckeln. Im Burgund beispielsweise treten gleich drei linke Listen an, und prompt liegt nach Umfragen die extreme Rechte im Hinblick auf den ersten Wahlgang am kommenden Sonntag in Führung und hat sogar reelle Aussichten, diese Region zu erobern, die früher im Unterschied zur Provence-Alpes-Côte d’Azur oder zum Elsass nie stark für die extreme Rechte gewählt hatte.

Delli muss sich etwas einfallen lassen. Um die linke Einheit zu stärken und sonst demotivierte Wäh­le­r:in­nen zu überzeugen, setzt sie auf eine soziale und ökologische Verkehrspolitik: Die Be­nut­ze­r:in­nen der öffentlichen Transportmittel unter 26 Jahren sollen gratis fahren, lautet ihr Wahlslogan. Sie richtet sich damit direkt an die jüngsten Stimmberechtigten, die Meinungsforschern zufolge mehrheitlich gar nicht wählen oder aber immer mehr von den demagogischen Versprechen des RN angezogen werden. Denn die Hauts-de-France – die „Höhen Frankreichs“ – sind nur dem Namen nach ganz oben, in Wirklichkeit zählen sie seit dem Ende der einstigen Kohle- und Stahlindustrie zu den ärmsten Regionen. Die Jugendarbeitslosigkeit beträgt 31 Prozent, betont Delli.

Zwischenwahlen als Generalprobe

Als neuntes von 13 Kindern einer aus Algerien eingewanderten Arbeiterfamilie weiß sie, wovon sie spricht, wenn sie solche Zahlen nennt oder von der Misere redet. Sie weiß auch, dass sie aufgrund ihrer Herkunft eine Ausnahme von der Regel ist: Sowohl mit ihrem Studium und ihrer Laufbahn wie auch mit der politischen Linkseinheit bei diesen Wahlen. Diese, so hofft sie, soll erfolgreich genug sein, um in Hinblick auf die Präsidentschafts- und Parlamentswahlen 2022 auch landesweit als Vorbild zu dienen.

Für alle Parteien sind diese Zwischenwahlen in den Regionen und Departements ohnehin eine Art Generalprobe und ein Test für mögliche Allianzen oder Abgrenzungen. Präsident Macron erwartet von den Listen, die sich auf ihn berufen, keine spektakulären Erfolge. Seine Partei LREM hat keinen Sockel an Ämtern in den Regionen zu verteidigen. Ihm kann es hingegen für seine Wiederwahl anlässlich eines erneuten Finales gegen Marine Le Pen in zehn Monaten nur dienlich sein, wenn die linken und bürgerlich-rechten Parteien weiter geschwächt aus den Regionalwahlen hervorgehen.

Dass die Krise der traditionellen Parteien – namentlich links bei den Sozialisten und rechts im Lager von Les Républicains (der Ex-Partei von Nicolas Sarkozy) – im Gegenzug auch der extremen Rechte Auftrieb gibt, scheint er mit einer etwas kurzfristigen Sicht als kalkuliertes Risiko in Kauf zu nehmen.

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8 Kommentare

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  • Sollte es den (Linken,Grünen) Parteien nicht zu denken geben das sie die klassischen Industriegebiete verlieren?

  • @SVEN GÜNTHER:

    Panik? Die Konservativen (und in EU stellen sie immer noch die Mehrheit -- in DE auch) betrachten m.E. diese (entsetzlichen) Rechten als ihr niedliches Haustier ("der beisst nicht, der will nur spielen").

    Bis es sich halt umdreht und die selbst beisst.

    Das ist ein Ablauf, den wir mittlerweile zu Genüge kennen müssten.

  • Irgendwie ist mir da auch noch zu wenig Panik in der EU und in der deutschen Politik ausgebrochen!

    Wir reden hier davon, das Frankreich, das stellt 20% der Wirtschaftskraft der Euro Zone, nächstes Jahr, vielleicht von einer Rechtsradikalen regiert wird! Bei den aktuellen Umfragen für die Regionalwahlen liegt ihr RN in 6 von 12 Provinzen vorn, mit Thierry Mariani, besteht eine realistische Chance, das der RN in der Region Provence-Alpes-Côte d'Azur zum ersten mal den Regionalpräsidenten stellt.

    • @Sven Günther:

      „Irgendwie ist mir da auch noch zu wenig Panik in der EU und in der deutschen Politik ausgebrochen!“



      Ich würde Ihnen da zu mehr Gelassenheit raten.



      Dumme Worthülsen der inkompetenten Rechten und Linken ist, Macron sei nur Neoliberal.



      Programm von Macron:



      Der Kampf gegen Gewalt gegen Frauen?



      Das Verbot Lebensmittel wegzuwerfen?



      Die Abschaffung der Wohnungssteuer?



      Die bürgerfreundlichere Reform der Arbeitsämter?



      Der besser Zugang zu Bildungseinrichtungen für Alle?



      Die Abwendung des Projekts Großflughafen bei Nantes?



      Die Reform des völlig ungerechten Rentenchaos?



      P.S.: Viele haben von Macrons politischen Inhalten schlicht keine Ahnung.

    • @Sven Günther:

      Deutschland könnte sich ja mal die Frage stellen ob nicht auch deutsche Politik der letzten Jahre mit verantworlich ist für das Erstarken der Rechtspopulisten in vielen europäischen Ländern.

      • @Šarru-kīnu:

        Na klar, das der RN in Frankreich stark ist oder das in Ungarn Orban und in Polen Morawiecki regiert ist ganz klar Folge der deutschen Politik, irgendwelche Belege für diese Theorie?

    • @Sven Günther:

      Also ähnlich wie in anderen Nchbarländern wie der Schweiz, Österreich, Tschechien, Polen, Niederlande, Belgien....

      • @FancyBeard:

        Weder in der Schweiz, noch in den Niederlanden oder Belgien regieren Rechtsextreme vom Schlage einer MLP...

        Und selbst wenn, noch einmal den größenvergleich ins Gedächtnis rufen, Polen oder Ungarn ist auf der Prioliste weit hinter der V Republik.