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Regierungssturz in FrankreichLe Pens verhängnisvolles Machtspiel

Rudolf Balmer
Kommentar von Rudolf Balmer

Mit der Unterstützung des Misstrauensvotums zeigte Marine Le Pen ihre schiere Macht im Parlament. Doch für den kurzen Erfolg riskiert die Rechtspopulistin viel.

Nun ging es ihm an den Kragen: der bisherige französische Premierminister Michel Barnier Foto: Alain Jocard/AFP/dpa

F rankreich ist in Katerstimmung. Per Vertrauensvotum vereint, war es der Opposition am Vorabend gelungen, die Regierung von Michel Barnier zu stürzen. Auch sein letztes, fast rührendes Plädoyer in eigener Sache änderte nichts mehr an der Entschlossenheit der Linken und der Rechtspopulisten, seine dreimonatige Amtszeit abrupt zu beenden.

Da beim Frontalangriff auf die Regierung die Linken und die Opposition unisono abstimmten, entstand eine klare Mehrheit von 331 von 577 für das Misstrauensvotum. Diese Macht, der sonst so verfeindeten Gegner, schwebte stets über dem Kopf des Premierministers. Dessen Koalition aus Macronisten und Konservativen bot keinen soliden Schutz vor einem Zangenangriff bei der Vertrauensfrage.

Eigentlich überlebte die Regierung nur dank der Duldung seitens der Rechtspopulisten des Rassemblement National (RN), das sich bei mehreren Voten enthielt. Als Gegenleistung verlangten sie dafür immer drängender Zugeständnisse von Barnier. Offenbar gab dieser nicht genügend nach. Darum hat der RN Barnier am Mittwoch eiskalt fallen lassen.

Den Schlag durfte Marine Le Pen in ihrer Funktion als Fraktionschefin des RN setzen: Ihre Partei habe nicht nur selbst einen separaten Misstrauensantrag eingereicht, sondern beabsichtige, für den Antrag der Linken zu stimmen, erklärte sie am Mittwoch. Das war nicht mehr die fast gemäßigte Rechtspopulistin, die sich wie eine Trittbrettfahrerin der Mitte-rechts-Koalition zurückgehalten hatte. Für Le Pen war die Vertrauensfrage ein Machtspiel, das sie nur gewinnen kann.

Le Pen könnte moderate Wähler verlieren

Eine Mehrheit ihrer Wählerschaft dürfte das beeindruckt haben. Laut Umfragen wünschten sich 60 Prozent den Sturz des Premiers und radikale Veränderungen. Für diesen kurzfristigen Erfolg und Effekt riskiert sie aber andere, politisch moderate Sympathisanten zu verlieren.

Denn Teile ihrer Anhänger könnten sich schon bald fragen, ob die nationalistische Rechte mit der passiven Unterstützung einer Mitte-rechts-Regierung, die keinerlei Zugeständnisse an die Linke machte, nicht viel mehr hätte erreichen können als diesen taktischen Schnellschuss. Und alles noch als Steigbügelhalter der Linken. Als mögliche Partnerin in einem „Bündnis der Patrioten“ mit der bürgerlichen Rechten hat sich Le Pen diskreditiert.

Nach Barniers Rücktritt ist noch offen, wer ihn ersetzt. Keine politische Kraft verfügt über eine Mehrheit. Und da Neuwahlen erst im Juli möglich wären, bleibt Frankreich in dieser unerfreulichen Situation handlungsunfähig. Dafür werden die Franzosen bald weniger die desavouierte Regierung Barnier beschuldigen als die für kurze Zeit triumphierenden Oppositionsparteien.

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Rudolf Balmer
Auslandskorrespondent Frankreich
Frankreich-Korrespondent der taz seit 2009, schreibt aus Paris über Politik, Wirtschaft, Umweltfragen und Gesellschaft. Gelegentlich auch für „Die Presse“ (Wien) und die „Neue Zürcher Zeitung“.
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9 Kommentare

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  • Mal andersherum überlegt: Hätte der FN gegen das Misstrauensvotum gestimmt, dann wäre der nächste Schritt eine Zusammenarbeit im Parlament zwischen FN und Macrons armseligem Haufen gewesen. Und was das für die nächste Präsidentenwahl bedeutet hätte, dafür braucht man keine Phantasie.

    Es ist daher gut, wenn das Klima zwischen FN und den Rechtsbürgerlichen frostig bleibt.

  • Nach 7 Jahren im Palast hat Macron das Gespür für die öffentliche Meinung verloren. Er glaubt einfach, "Recht" zu haben und die anderen müßten das irgendwie verstehen. Er ist es, der nicht versteht, und einen taktischen Fehler nach dem anderen macht.

    Nach einer Wahlschlappe bei den Europawahlen glaubte er, mit Neuwahlen die Linke loszuwerden und dann in einem Duell Mitte-Rechts gegen Rechtsextrem im Mehrheitswahlrecht zu gewinnen. Falsch gerechnet, die Linke hatte sich berappelt und wurde zur stärksten Kraft, wenn auch ohne absolute Mehrheit.

    Zweiter Akt: so tun, als ob man mit allen diskutiert und schließlich das Bündnis Rechts bis Mitte-Rechts ohne Rechtsextrem, was vor der Neuwahl noch eine Mehrheit gehabt hätte(!), durchzudrücken.

    Das unverschämte Parlament gibt dieser Arroganz eine Absage. Hätte es das nicht getan, man hätte auch gleich das Parlament abschaffen können.

    Dabei hätte Macron ganz einfach zuerst eine Linke Premierministerin (Castets) ernennen können, die wäre dann von rechts und rechtsextrem aus dem Amt geworfen worden. Danach hätte er dann sagen können, daß das nicht klappte und so seine gewünschte Mitterechtsregierung legitimieren können.

    Dumme Arroganz!

    • @Deutschfranzose:

      "Dumme Arroganz" ist sehr stark formuliert. Es ist ein Konflikt: Der Präsident gibt trotz seiner exzentrischen Persönlichkeit einen Poiltiker der Mitte. Deswegen findet er sich dort nicht zurecht und ist seinen Ministern keine Stütze. Um es deutlicher zu sagen : Der Präsident ist eine "ich war´s nicht" Persönlichkeit, die über die Ansicht anderer, dass ihr etwas schiefgegangen sein soll, erstaunt und trotz seiner Machtfülle mit " die anderen waren´s" reagiert. Den unüberbrückbaren Widerspruch (eigene Machtfülle vs. Schuldzuweisung an andere) findet diese Persönlichkeit nicht unlogisch. Weil sich die Grundstruktur einer Persönlichkeit nicht ändert wäre nur der Rücktritt richtig. Das ist aber das politische Problem starker Präsidialsysteme bei exzentrische Kandidaten und Amtsinhabern.

      Näheres bei:



      www.tagesschau.de/...ungskrise-100.html

  • Der Antrag der Linken war ein gravierender taktischer Fehler: Le PEN hat nun das Scheinwerferlicht.

  • Ja , das stimmt. Das ist eine Schwächung der Mitte - Rechts Positionen. Premierminister in dieser Lage wäre die Kunst des Gleichgewichts gewesen. Sagesse politique ? Verloren, nicht mehr auffindbar, nie vorhanden gewesen ?

  • Macron beging den Fehler, den gescheiterten Wirtschaftsliberalismus allein zu verfolgen und nicht mit den Linken das Beste der zwei Welten zu suchen: Rentensystem vereinfachen und Extrawürste abschaffen, länger arbeiten, aber so, dass das Geld eben bei den Arbeitenden bleibt, nicht bei den Kapitalfaulenzern; die mal wieder angemessen Steuern zahlen lassen; ...

    Melenchon hat bei mehr Dingen einen Punkt, als das hier bekannt ist.

    • @Janix:

      aber genau das würde ja Macron Politik zuwiderlaufen. Die Übereinstimmungen waren schon immer mit LePen größer als mit links. Durch seine Politik hat Macron den RN erst richtig groß gemacht, weil die es merkwürdigerweise, genau wie alle Rechten schaffen, mit einer Politik, die die Probleme der unteren Schichten noch verschärfen würde, die Beschnittenen auf Ihre Seite zu holen.



      Ein Zusammengehen mit links wäre, das Letzte, was Macron tun würde.

      • @nutzer:

        Wirtschaftlich ist er "liberal"-bonzenfreundlich wie sonst nur Le Pen und öffnet damit auch den Raum für Rechtspopulisten, weil real die Nur-Habenden bekommen und Nur-Arbeitenden genommen wird.



        Er könnte ja dennoch sich ändern, sich zum Effizienzmenschen neu erfinden und sich mit echten Linken konstruktiv auseinandersetzen, denn die völlig unübersichtliche Rentengestaltung in Frankreich könnte man vereinfachen und das gesparte Geld besser einsetzen (ähnlich wie bei dem Krankenkassenwirrwarr in unserem Gesundheitssystem). Er will doch sicher nicht nur mit einigen Notre-Dame-Fenstern in die Geschichte eingehen.

        • @Janix:

          Na, die Franzosen werden sich für Ihren Vorschlag bedanken, Geld aus dem Rentensystem zu entnehmen.



          Aber Ihren Ansatz im ersten Post finde ich sinnvoll. Habe allerdings das Gefühl, dass die Kompromissbereitschaft bei den gemäßigten Demokraten hier, wie auch in Frankreich, doch stark abgenommen hat. Letztes Beispiel: FDP. Und das vielleicht um so stärker je mehr eine einzelne Lichtgestalt der Partei vorsteht.



          Und: Es gibt hier viele Krankenkassen, aber wo ist der Wirrwarr? Meinen Sie etwa, dass Monopole wirtschaftlicher sind?