Regierungskrise in Schweden: Feilschen um die Mietpreisbremse
In Stockholm kann die Regierungskrise nur mit einer Einigung über die weitere Mietwohnungspolitik gelöst werden. Sonst gibt es Neuwahlen.
Parallel dazu gewinnt die Debatte zur Wohnungspolitik an Fahrt, welche die „Mittsommerkrise“ ausgelöst hatte. Denn zur Bestürzung vieler war der Sozialdemokrat Löfven bereit gewesen, zur kurzfristigen Machtsicherung eine tragende Säule der bisherigen Wohnungspolitik zu opfern, die einst die Sozialdemokraten selbst aufgebaut hatten.
Aus dem Jahr 1968 stammt das bis heute geltende „Nutzwert“-Prinzip im schwedischen Mietrecht. Dort hat der Immobilienbesitzer nicht die Freiheit, weitgehend ungehindert die Bedingungen festzulegen, unter denen er eine Wohnung vermietet. Ähnlich wie Löhne und andere Anstellungsbedingungen im Rahmen von Tarifverträgen zwischen Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden ausgehandelt werden, geschieht das in Schweden beim Mietrecht durch Verhandlungen zwischen Immobilieneigentümerverbänden und einer Art Mietergewerkschaft, der Hyresgästföreningen.
Jedes Jahr im September beginnen die regionalen Verhandlungen über die Rahmenverträge zur Festlegung der Grundsätze für die Mieten im Folgejahr. Die Immobilieneigentümer präsentieren zunächst ihre Vorstellungen auf der Basis der Entwicklung ihrer laufenden Kosten. Die zulässige Höhe der Mieten orientiert sich dann am „Nutzwert“ der Wohnungen für die MieterInnen.
Bisher: Schiedsgericht bestimmt Miethöhe
In diese Berechnung fließen Kriterien wie beispielsweise Modernisierungsmaßnahmen, Lage der Wohnung, Ausstattung und die Mieten für vergleichbare Wohnungen ein. Gibt es keine Einigung, trifft ein paritätisch besetztes Schiedsgericht eine bindende Entscheidung.
Billig ist Wohnen in Schweden keineswegs. Aber dieses Modell hat die Wirkung einer Mietpreisbremse. KritikerInnen wollen es auch dafür verantwortlich machen, dass zu wenig Wohnungen neu gebaut werden: Potentielle InvestorInnen würden sich eben andere Sektoren suchen, in denen Geldanlagen profitabler sind.
Hätte die Linkspartei mit ihrem Misstrauensvotum Löfvens rot-grüner Minderheitsregierung keinen Strich durch die Rechnung gemacht, wäre die aufgrund einer Vereinbarung mit zwei liberalen Parteien bereit gewesen, eine Ausnahme vom „Nutzwert“-Prinzip zuzulassen: Für Neubauwohnungen sollten Marktmieten möglich werden, also eine Festlegung der Miethöhe allein durch die Wohnungseigentümer.
Welche Folgen dies haben könnte, berechnete die staatliche Bau- und Planungsbehörde Boverket vor einigen Jahren. Auf nationalem Niveau seien aufgrund Angebot und Nachfrage Mietpreissteigerungen von „nur“ 5 bis 7 Prozent zu erwarten, aber in Ballungsräumen mit Wohnungsmangel wie etwa Stockholm könne es ein Plus von 68 Prozent geben.
Gleichzeitig hätte eine solche Deregulierung laut Boverket aber fast keinen Einfluss auf den Neubau von Mietwohnungen, weil Investoren wie schon jetzt vorwiegend Eigentumswohnungen bauen würden.
Studien: Nicht weniger, sondern mehr Regulierung ist nötig
Wolle man die Engpässe bei Mietwohnungen wegbauen, so empfehlen Studien, wäre nicht „der Markt“ die Lösung, sondern mehr Regulierung durch gezielte staatliche Förderung des Mietwohnungsbaus. Das wäre auch das Mittel gegen den verbreiteten Schwarzmarkt mit Untervermietungen. Stattdessen verschärfte die Politik durch umfassende Umwandlungen von Miet- in Eigentumswohnungen bisher noch den Mangel.
Zwar wohnen in Schweden nicht einmal 30 Prozent der Bevölkerung zur Miete (Deutschland: 50 Prozent), doch irgendwann im Leben ist dort fast jede und jeder einmal MieterIn. Deshalb ist eine klare Mehrheit für das „Nutzwert“-Prinzip.
Das Zentrum, eine der beiden Parteien, die ihre Unterstützung Löfvens von der Forderung nach teilweisen Marktmieten abhängig gemacht hatte, hat dies jetzt für den Fall neuer Regierungsverhandlungen zunächst aufgegeben. Ein Ende der „Mittsommerkrise“ war am Sonntag aber noch nicht in Sicht.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Erderwärmung und Donald Trump
Kipppunkt für unseren Klimaschutz
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
EU-Gipfel zur Ukraine-Frage
Am Horizont droht Trump – und die EU ist leider planlos
Streit um Russland in der AfD
Chrupalla hat Ärger wegen Anti-Nato-Aussagen