Regierungsbildung in Großbritannien: Vielfältiger denn je
Im Kabinett der neuen Regierungschefin Liz Truss werden Schlüsselposten erstmals nicht mit weißen Männern besetzt sein. Wirtschaftsrefromen haben Priorität.
Ihre Regierung werde dabei sicherstellen, dass die Menschen nicht mit unbezahlbaren Rechnungen konfrontiert würden. Als dritten Punkt nannte Truss Reformen beim Gesundheitssystem NHS. „Gemeinsam können wir den Sturm überstehen“, erklärte sie.
Truss bezieht die Downing Street 10 in einer kritischen Phase. Großbritannien ist mit einer galoppierenden Inflation konfrontiert und droht in eine Rezession zu stürzen. Millionen Brit*innen haben Angst, im bevorstehenden Winter ihre Strom- und Erdgasrechnungen nicht mehr bezahlen zu können. Hinzu kommen Unsicherheiten durch den Krieg in der Ukraine, die Corona-Pandemie und der anhaltende Streit mit der Europäischen Union über den Brexit. Auch die Beziehungen zum traditionell engen Verbündeten USA gestalten sich schwierig.
Nach Truss' Ernennung standen dabei zunächst zwei Themen im Vordergrund: Das neue Kabinett sowie ihre Pläne zur Bewältigung der Energiekrise. Am Abend wurde bekannt, dass ihr enger Verbündeter Kwasi Kwarteng Finanz- und James Cleverley Außenminister wird. Zudem übernimmt Suella Braverman das Innenresort. Zusammen mit Truss selbst ist damit zum ersten Mal in der Geschichte des Königreiches keiner der vier wichtigsten Regierungsposten mit einem weißen Mann besetzt.
Größere Vielfalt
Die Tories haben in den vergangenen Jahren gezielt versucht, eine größere Vielfalt in ihren Reihen zu fördern. Die Parteibasis besteht dabei zu einem Viertel aus Frauen, sechs Prozent gehören Minderheiten an. Weiter hieß es zum Kabinett, Ben Wallace werde Verteidigungsminister bleiben.
Truss hatte im Vorfeld wiederholt Steuerkürzungen versprochen und angekündigt, als eine ihrer ersten Maßnahmen einen Plan zur Bewältigung der Energiekrise vorzulegen. Dieser wurde für Donnerstag erwartet. Medienberichten zufolge will sie Unternehmen mit einem Hilfspaket im Umfang von 40 Milliarden Pfund unter die Arme greifen. Im Gespräch ist auch eine Deckelung der Energiekosten, um einen Anstieg der Rechnungen zu stoppen. Die Umsetzung eines solchen Vorhabens könnte nach Angaben eines Insiders bis zu 100 Milliarden Pfund kosten.
Wie Großbritannien das finanziell stemmen soll, war nicht klar. Unter Fachleuten machte sich Skepsis breit, ob etwa die Inflation nicht noch befeuert werden könnte. Einige Investoren zogen sich zuletzt aus Anlagen in Pfund zurück. Allein im August verlor die britische Währung vier Prozent zum Dollar. Für 20-jährige britische Staatsanleihen war es nach Daten von Refinitiv und der Bank of England der schlimmste Monat seit etwa 1978.
Die Konservative Partei hatte Truss nach dem Rückzug von Boris Johnson zur Vorsitzenden gewählt. Das sichert der 47-Jährigen wie in Großbritannien üblich auch den Posten als Regierungschefin, da die Tories derzeit im Unterhaus eine Mehrheit haben. Der formelle Wechsel an der Regierungsspitze wurde am Dienstagvormittag mit einer Abschiedsrede Johnsons eingeleitet. Darin rief er die Mitglieder der Tories noch einmal dazu auf, sich hinter seine Nachfolgerin zu stellen.
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