Rechtsextremismus im Osten: Neue Rechte will Dresden erobern
Der Verein „Ein Prozent“ will ein Hausprojekt aufbauen. Seit Pegida haben Rechtsextreme und Neurechte Dresden zu ihrer Hauptstadt auserkoren.
Ein hoher Metallzaun umschließt das Gelände. Ein Schild warnt: „Achtung, Videoüberwachung.“ Der zweigeschossige Flachbau hat bodentiefe Fenster und einen taubengrauen Anstrich. In dem Haus in der Kurt-Beyer-Straße 2 in Dresden plant der neurechte Verein „Ein Prozent“ ein Hausprojekt. Experten warnen: Es könnte zu einem neuen rechtsextremen Zentrum werden.
Ein Mann – Jeans, dunkles T‑Shirt mit Runenschrift, seitlich anrasierter Haarschnitt – tritt an den Zaun. Es ist Volker Zierke, Aktivist der rechtsextremen Identitären Bewegung (IB), die seit Kurzem vom Verfassungsschutz beobachtet wird. 2017 war Zierke mit zwei weiteren Aktivisten der Identitären an einer Auseinandersetzung beteiligt, bei der ein Antifaschist mit einem Messer am Hals verletzt wurde – angeblich aus Notwehr.
Das Gespräch mit ihm bleibt kurz. Zu dem Hausprojekt will er am Zaun nichts sagen und erklärt, dass man für Interviews eine E-Mail an den Verein „Ein Prozent“ schreiben solle. Ebenso wenig will Zierke kommentieren, dass das Haus einem AfD-Politiker gehört.
AfD, „Ein Prozent“ und Identitäre Bewegung in einem Haus: Die Konstellation erinnert stark an ein Hausprojekt, das der lokale IB-Ableger 2017 in Halle bezogen hat und das dort für Aufregung und Protest sorgte. Aus dem Haus heraus kam es zu Angriffen auf Linke.
Sechs Wochen im Osten: Vor der Landtagswahl in Sachsen am 1. September 2019 war die taz in Dresden. Seit dem 22. Juli waren wir mit einer eigenen Redaktion vor Ort. Auch in Brandenburg und Thüringen sind bzw. waren wir vor den Landtagswahlen mit unserem #tazost-Schwerpunkt ganz nah dran – auf taz.de, bei Instagram, Facebook und Periscope. Über ihre neuesten Erlebnisse schreiben und sprechen unsere Journalist*innen im Ostblog und im Ostcast. Begleitend zur Berichterstattung gibt es taz Gespräche in Frankfurt (Oder), Dresden, Wurzen und Grimma. Alle Infos zur taz Ost finden Sie auf taz.de/ost.
Seit 2016 versucht „Ein Prozent“ als Bindeglied zwischen AfD, Pegida und Rechtsextremisten wie den Identitären zu fungieren. Entstanden aus dem Umfeld des neurechten Verlegers Götz Kubitschek, war es wohl das erste rechte Projekt, das Geld über Crowdfunding sammelte. Auf seiner Website schreibt der Verein von „Flüchtlingsinvasion“ und „Widerstand“, der Name verweist auf die Idee, dass für letzteren die Unterstützung von nur einem Prozent der Bevölkerung nötig sei.
Der Verein finanziert Aktionen der Identitären Bewegung und hilft laut den Rechtsextremismusexperten des Kulturbüros Sachsen bei Aufbau und Technik auf Pegida-Demonstrationen. Auf eine Anfrage der taz reagiert der Verein bis Redaktionsschluss nicht.
Auf dem Briefkasten des Hauses in Dresden stehen neben dem des IB-Aktivisten Zierke drei weitere Namen: Stein, Monaco, Schäfer. Allesamt sind sie führende Aktivisten der rechten Szene: Michael Schäfer und Julian Monaco saßen jahrelang im Bundesvorstand der JN, der Jugendorganisation der NPD. Philipp Stein ist Sprecher der extrem rechten Deutschen Burschenschaft. Sie alle engagieren sich nun bei „Ein Prozent“, Stein ist Vorsitzender des Vereins.
Vier einschlägige Namen auf dem Briefkasten an einem unscheinbaren Haus im Stadtteil Reick: Was aktuell wie eine rechtsextreme Wohngemeinschaft wirkt, soll mehr werden. Das belegt eine interne E-Mail, die der taz vorliegt. In der Mail schreibt Stein Ende Mai, dass er in die Kurt-Beyer-Straße einlade, um über eine Kampagne zur „Wahlbeobachtung“ der Europawahl zu informieren. Weiter heißt es in dem Schreiben: „Zudem wollen wir patriotischen Dresdnern und Sachsen unsere Pläne für ein Hausprojekt in der Hauptstadt der patriotischen Bewegung vorstellen.“ Auf einer Skizze ist das Haus zu sehen – mit einem Anbau, den es heute auf dem rund 850 Quadratmeter großen Grundstück noch nicht gibt. Überschrift der Grafik: „Unsere Pläne für ein Hausprojekt in Dresden“.
„Das Haus hat das Potenzial, zu einem wichtigen Ort der rechten Szene in Dresden zu werden“, sagt Michael Nattke, Fachreferent beim Kulturbüro Sachsen, bei dem die Mobilen Beratungsteams gegen Rechtsextremismus angesiedelt sind. Seit es der Pediga-Bewegung in Dresden gelang, im Jahr 2015 mehrere Tausend Menschen für ihre Demonstrationen zu mobilisieren, sei die Stadt im Fokus rechter und neurechter Gruppen. Die sächsische Landeshauptstadt entwickle sich „zum organisatorischen und aktionistischen Zentrum von ‚Ein Prozent‘ und Identitärer Bewegung“, sagt Nattke.
So fand etwa im August 2018 ein Treffen der Identitären Bewegung in Dresden statt, bei dem von einer „Hauptstadt des Widerstands“ gesprochen wurde. „Ein Prozent“-Chef Stein habe bei anderer Gelegenheit öffentlich davon gesprochen, dass ein „Strukturausbau“ in der Stadt stattfinden solle, so Nattke. Der Verein habe hier bereits seit 2017 Büroräume angemietet, seit Anfang 2018 dann neue Räume gesucht. Wohl auch, weil vermutlich AntifaschistInnen auf den Sitz des Vereins aufmerksam machten, indem sie die Tür des Büros zumauerten. Der Vermieter kündigte dem Verein daraufhin.
Seit Januar 2019 ist nun der lokale AfD-Politiker Hans-Joachim Klaudius Eigentümer des Flachbaus in Dresden-Reick. Das geht aus dem Grundbucheintrag hervor, den die taz eingesehen hat. Eigentlich hat die AfD 2016 eine Unvereinbarkeit für die Zusammenarbeit mit der Identitären Bewegung festgelegt, deren Nähe für die Partei hinsichtlich einer drohenden Beobachtung durch den Verfassungsschutz schädlich sein könnte. Nicht nur das Beispiel in Dresden zeigt: In der Praxis ist der Beschluss nicht ernst zu nehmen – in vielen Landesverbänden bestehen enge Verbindungen.
Klaudius sagt dazu der taz, das Haus habe oben eine Wohnung und unten Gewerberäume, es handele sich um „Mischbebauung“. Er vermiete die Räume. „Alles andere ist von Ihnen hineinphantasiert“, erklärt er. Der stellvertretende sächsische AfD-Landesvorsitzende und Europaabgeordnete Maximilian Krah hingegen sagt der taz, Klaudius habe auf einem Landesparteitag von dem Haus berichtet. Krah selbst erklärt, er habe mit dem Projekt nichts zu tun, stehe den Aktivitäten von „Ein Prozent“ aber grundsätzlich positiv gegenüber.
Die Sächsische Staatsregierung indes hat weder Erkenntnisse zu einem Hausprojekt noch zur Nutzung durch extreme Rechte oder zu geplanten Veranstaltungen. Das erklärte das Innenministerium im Juni auf eine Anfrage des Grünen-Landtagsabgeordneten Valentin Lippmann. Auch Lippmann sagt, dass Akteure der Neuen Rechten, also Gruppen wie „Ein Prozent“ und die Identitäre Bewegung, seit den Pegida-Demonstrationen auf Dresden als neue „Hauptstadt der Bewegung“ schauten. „Es ist davon auszugehen, dass mit dem Haus der Versuch verbunden ist, sich weiter in Dresden zu etablieren.“ Mit der AfD als ihrem parlamentarischen Arm sei dabei die Hoffnung auf eine günstige Ausgangslage für rechte Politik verbunden.
In Dresden-Reick wird es für die Neurechten in jedem Fall schwer sein, in den Stadtteil hineinzuwirken. Zwar ist Reick bekannt für rechte Umtriebe, erst vergangene Woche fand um die Ecke eine Razzia in einem Büro von selbsternannten Reichsbürgern statt. Laut Nattke kommen viele Mitglieder der Freien Kameradschaft Dresden, der derzeit wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung der Prozess gemacht wird, zu großen Teilen aus Reick und dem Stadtbezirk Prohlis. Neben dem Flachbau allerdings befinden sich nur Industriehallen. Das Gewerbegebiet wirkt fast ausgestorben. Auch Stress mit Nachbarn ist hier also kaum zu erwarten.
Wie das rechte Haus der Identitären in Halle funktionierte, wissen die Bewohner in Dresden indes sehr genau: Michael Schäfer und Julian Monaco waren bei Demos vor Ort, mit Mario Müller, einem vorbestraften Gewalttäter und führenden Kopf der IB in Halle, ist Monaco gut bekannt. Beide machten vor Jahren in der Gegend von Delmenhorst bei Bremen gemeinsam rechtsextreme Politik und drangsalierten Andersdenkende.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Grünen-Abgeordneter über seinen Rückzug
„Jede Lockerheit ist verloren, und das ist ein Problem“
Historiker Traverso über den 7. Oktober
„Ich bin von Deutschland sehr enttäuscht“
Elon Musk greift Wikipedia an
Zu viel der Fakten
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Das Weihnachten danach
Die Wahrheit
Glückliches Jahr