Rechtsextremismus an Schulen: Brandenburg ist überall
Nach einem Brandbrief von Lehrkräften werden immer mehr rechtsextreme Vorfälle an Schulen bekannt. Keine Überraschung, sagen Expert:innen.
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Ende April beschrieben Lehrkräfte der Grund- und Oberschule Burg im Spreewald, wie alltäglich Nazisymbole und rassistische Anfeindungen an ihrer Schule sind und wie selten Kolleg:innen oder die Schulleitung dabei einschreiten. Seither bemüht sich das Bildungsministerium um Aufarbeitung. Noch-Staatssekretär Freiberg appellierte an alle Lehrkräfte, „sich zu melden“, wenn sie bei diesem Thema Probleme hätten, und verwies auf einen Fünfpunkteplan zur Stärkung der politischen Bildung, der noch unter Britta Ernst ausgearbeitet worden ist. Gleichzeitig räumte Freiberg ein, dass er von dem Vorfall „nicht überrascht“ sei. „Dass es diese Herausforderungen gibt, wissen wir.“
Spätestens seit der Studie „Jugend in Brandenburg“ von 2017 ist in Potsdam bekannt, dass ein wachsender Anteil von Schüler:innen offen für rechtsextremistische und menschenfeindliche Äußerungen ist. Und die schlagen sich in Taten nieder. In der Vergangenheit zählte das Bildungsministerium im Jahr zwischen 24 und 53 Meldungen zu extremistischen Vorfällen an Schulen. Im laufenden Schuljahr waren es – vor dem aktuellen Fall in Burg – 6 Meldungen.
Die Zahl dürfte jetzt in die Höhe schnellen. Nicht nur wegen der mutmaßlichen Straftaten an der Schule im Spreewald, die nun ans Licht gekommen sind. Nach dem Brandbrief haben sich weitere Schulen mit ähnlichen Erfahrungen an die Öffentlichkeit gewandt. Am Montag wurde dann bekannt, dass Schüler:innen aus Berlin am Wochenende in einer Jugendherberge im brandenburgischen Heidesee rassistisch beleidigt und bedroht worden sein sollen – laut Polizei von Jugendlichen aus dem Umland.
Unklare Datenlage
Auch wenn Brandenburg aktuell im Fokus steht – rechtsextreme Vorfälle kommen im ganzen Bundesgebiet vor. Das zeigt eine Umfrage der taz unter den Bundesländern. Thüringen etwa zählte seit Jahresbeginn an Schulen etwa 33 Fälle von „Volksverhetzung“ oder „Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen“. In Mecklenburg-Vorpommern sind es im laufenden Schuljahr insgesamt 30 Fälle mit „extremistischem Hintergrund“ oder nicht erlaubten Kennzeichen oder nicht erlaubter Propaganda. In Sachsen meldeten Schulen in den ersten drei Monaten dieses Jahres 17 Vorkommnisse mit „rechtsextremem Hintergrund“, Niedersachsen spricht von „rechtsextremistischen Einzelfällen“ an Schulen.
Die Ministerien selbst weisen auf eine gewisse Unschärfe der Daten hin: So seien Zahlen, die auf den Meldungen der Schulen beruhten, nicht zwangsläufig deckungsgleich mit denen der Polizei. In Sachsen beispielsweise stehen den 73 rechtsextremen Straftaten an Schulen aus dem Jahr 2022 nur 48 entsprechende Meldungen der Schulen gegenüber. „Im Meldeverhalten der Schulen liegt … viel Ermessungsspielraum“, heißt es dazu aus dem Dresdner Bildungsministerium.
In Niedersachsen ist der Regelfall sogar, dass Schulen rechtsextreme Vorfälle zwar der Polizei melden, nicht aber dem Kultusministerium. Rechtsextremistische Äußerungen würden nur „vereinzelt“ gemeldet, teilt ein Sprecher mit. Auch das Schulministerium Nordrhein-Westfalens verweist auf die Zuständigkeit des Innenministeriums, das eine taz-Anfrage bis Redaktionssschluss jedoch unbeantwortet lässt. Die Bildungsministerien wissen also nicht unbedingt, welche Vorfälle überhaupt gemeldet werden.
Die ganze Bandbreite
„Wir müssen von einer hohen Dunkelziffer ausgehen“, sagt Marlene Jakob. Die 34-Jährige koordiniert seit 2018 in Sachsen das Netzwerk „Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage“. Allein über die 109 sächsischen Schulen im Netzwerk bekämen sie gut mit, wie alltäglich Rassismus und Ausgrenzung in Klassenzimmern und auf Pausenhöfen seien. Darüber hinaus gingen Mitarbeitende des Netzwerks aber auch regelmäßig für Workshops an die übrigen Schulen. „Häufig werden wir auch als Feuerwehr gerufen“, sagt Jakob der taz. „Also erst dann, wenn es bereits brennt.“
Die Vorkommnisse deckten die ganze Bandbreite ab: Hakenkreuzschmierereien, Naziparolen, Einschüchterungsversuche Andersdenkender. Besonders regelmäßig seien Schulen in Regionen mit traditionell starker Neonaziszene betroffen.
So ähnlich formuliert das auch die Rechtsextremismusforscherin Heike Radvan für Brandenburg. In der Region, zu der die Grund- und Oberschule Burg gehört, die jetzt durch den Brandbrief bekannt wurde, gebe es eine gewachsene rechte Szene, die AfD habe dort ihre Hochburgen. Was Jakob und Radvan beide betonen: Rassistische oder homophobe Einstellungen finden sich nicht allein am rechten Rand.
„Diese Einstellungen haben wir in der Mitte der Gesellschaft“, sagt Jakob. Auch Lehrer:innen verstärkten oft Stereotype oder die Ausgrenzung einzelner Schüler:innen. Etwa, indem sie Kinder mit Migrationsgeschichte bäten, etwas über ihre vermeintliche Heimat zu erzählen. Dafür müsse man viele Schulen noch sensibilisieren. Deswegen sei es auch so wichtig, diejenigen zu stärken, die sich klar gegen Rassismus und rechte Hetze einsetzten. Manchmal stehen sie damit vor Ort ziemlich alleine da.
Vorbild Sachsen
Wie weit gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit verbreitet ist, zeigt unter anderem der Sachsen-Monitor, der regelmäßig im Auftrag der Sächsischen Staatskanzlei erhoben wird. Zuletzt gaben darin 40 Prozent der Befragten an, dass die Bundesrepublik „durch die vielen Ausländer gefährlich überfremdet“ sei. Mehr als jede:r Fünfte stimmte der Aussage zu, dass Juden heute Vorteile daraus ziehen wollten, dass sie im Zweiten Weltkrieg die Opfer gewesen seien.
Als 2016 der erste Sachsen-Monitor erhoben wurde, waren die menschenfeindlichen Einstellungen zum Teil sogar noch höher. Die Landesregierung stärkte daraufhin die politische Bildung an Schulen und kooperierte enger mit außerschulischen Initiativen wie „Schule ohne Rassismus“. Auch deshalb sieht Sachsens Bildungsminister Christian Piwarz sein Land heute gut gegen Rechtsextremismus an Schulen gerüstet.
Auch die anderen Bundesländer verweisen auf Notfallpläne und eine Vielzahl an präventiven Maßnahmen: Lehrerfortbildungen, mobile Beratung und Workshops an Schulen, die Behandlung entsprechender Themen im Unterricht. Bayern hebt unter anderem den Stellenwert der Erinnerungsarbeit inklusive verpflichtendem KZ-Gedenkstättenbesuch an Gymnasien und Realschulen hervor.
Sachsen-Anhalts Bildungsministerin Eva Feußner (CDU) lobt das Engagement vieler Schulen im Netzwerk „Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage“: „Vielleicht auch deshalb ist die Zahl der verfassungsfeindlichen Vorfälle an unseren Schulen überschaubar“, sagt sie der taz.
Neuanfang in Burg?
Die Rechtsextremismusforscherin Radvan hält die derzeitigen Anstrengungen insgesamt für zu gering. Sie fordert die Kultusministerkonferenz (KMK) auf, sich stärker mit Rechtsextremismus an Schulen zu befassen. Die KMK müsse genauer hinsehen und eine Interventionsstrategie entwickeln. Wenn so etwas wie in Burg passiere, müssten alle Akteure „klare Kante“ zeigen.
Das soll jetzt im brandenburgischen Ort Burg passieren. Am Montag teilte das Bildungsministerium mit, dass sich die im Brandbrief erhobenen Vorwürfe in den Gesprächen mit allen Beteiligten vor Ort bestätigt hätten. Das Kollegium soll sich nun – auch mithilfe eines Coachings – besser auf einen einheitlichen und offenen Umgang mit extremistischen und menschenfeindlichen Äußerungen einigen. Auch die Schulleitung wolle künftig klare Haltung zeigen.
Dass dies nicht einfach wird, zeigt ein Vorfall von vergangener Woche. Anhänger der rechtsextremistischen Kleinstpartei „Der Dritte Weg“ verteilten vor der Schule Handzettel.
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