Rechtsextreme nehmen Gegner ins Visier: Neonazis horten Feindeslisten
Immer wieder finden Ermittler Feindeslisten bei Rechtsextremen – und Sicherheitsbediensteten. Die Linke sieht eine „echte Gefahr“.
Laut einer Antwort des Ministeriums auf eine Linken-Anfrage sind dem Bundeskriminalamt aktuell 16 Feindeslisten in der rechtsextremen Szene sowie im Bereich „Sonstiges“ bekannt, wo Coronaleugner:innen oder Reichsbürger:innen einsortiert werden. Heikel: Etliche davon wurden bei Razzien von Terrorverdächtigen gefunden – so wie zuletzt bei den Reichsbürger:innen um Heinrich Prinz Reuß und mehrere frühere und aktive Soldaten und Polizist:innen.
Auf einer der dortigen Listen waren 18 Spitzenpolitiker:innen wie Annalena Baerbock oder Saskia Esken aufgeführt. Die zweite Liste führte ebenso Politiker:innen und ihre Wahlkreisbüros sowie Anschriften von Ärzt:innen. Auf einer dritten Liste standen laut Ministerium die Daten von Personen aus dem näheren Umkreis eines Beschuldigten – die in „Gefährlichkeitsstufen“ eingeteilt waren.
Aber auch im Fall des früheren Soldaten Franco A., der wegen Anschlagsplänen verurteilt wurde, sowie bei den unter Rechtsterrorverdacht stehenden Gruppen Nordkreuz, Atomwaffendivision, Nordadler, Knockout51 und der Gruppe S. fanden Ermittler solche Feindeslisten. Im Fall von Franco A. waren es gleich 4 Listen mit 32 Namen, denen jeweilige Berufe, die vermeintliche Gesinnung, persönliche Verhältnisse und teils Anschriften zugeordnet waren – darunter der frühere Außenminister Heiko Maas oder die Ex-Vorsitzende der Amadeu Antonio Stiftung Anetta Kahane.
Anschriften und Pkw-Kennzeichen notiert
Brisant wird die Sache, weil nicht nur hier die Feindeslisten in den Händen von Uniformierten lagen. Auch bei der Gruppe Nordkreuz, in der auch Reservisten und Polizisten aktiv waren, fanden sich gleich sieben Listen – auch hier teils mit Anschriften, Geburtsdaten oder Telefonnummern. Die größte, mit gut 24.000 Namen, geistert seit Jahren durchs Internet und beruht auf einem Hack des „Impact Mailorder“ im Jahr 2015, einem linken Punkversand.
Auch bei der „Gruppe S.“, die momentan in Stuttgart vor Gericht steht, unter ihnen auch ein Polizeiangestellter, fanden Ermittler die „Impact Mailorder“-Liste – dazu noch eine selbst zusammengetragene. Die Großliste fand sich auch bei der Atomwaffendivision, hier bei einem früheren Bundeswehrangehörigen, sowie bei Knockout51 und Nordadler. Knockout führte dazu noch zwei weitere Listen – eine mit Anschriften und Fahrzeugkennzeichen und eine weitere zu Beschuldigten aus einem Strafverfahren. Mutmaßlich handelt es sich bei dem Strafverfahren um das gegen die Leipzigerin Lina E., der vorgeworfen wird, mit anderen Autonomen den Knockout-Anführer Leon R. überfallen zu haben.
Bei Nordadler führte ein Beschuldigter wiederum noch eine Liste mit Bilddateien von rund 4.000 Personen des öffentlichen Lebens. Daneben fand sich eine Textdatei mit 72 Personen und eine mit 31 deutschen Mitgliedern des Europäischen Parlaments.
Die Linken-Innenexpertin Martina Renner, die die Anfrage stellte, zeigte sich über die vielen Funde alarmiert. „Wenn in so vielen rechtsterroristischen Komplexen solche Listen entdeckt werden, ist das eine echte Gefahr. Dass dabei auch noch Polizisten und Soldaten an zentralen Stellen waren, weist auf ein Demokratiedefizit in diesen Apparaten hin.“
Das Justizministerium dagegen betont, dass bei den Listen immer eine Prüfung im Einzelfall nötig sei. Eine konkrete Gefährdung der dort Genannten sei nicht automatisch gegeben.
Feindeslisten wurden 2021 als strafbar eingestuft
Renner kritisiert auch, dass die Funde zeigten, wie wirkungslos die 2021 eingeführte Strafbarkeit solcher Feindeslisten sei: „Dieser öffentlichkeitswirksam eingeführte Paragraf macht erwartungsgemäß genau das nicht, was er angeblich soll, nämlich rechte Feindeslisten bekämpfen“, so Renner. „Dass die größte Bedrohung der Demokratie der Rechtsextremismus ist, scheint ein den Behörden abgerungenes Lippenbekenntnis zu sein, dem die Praxis bislang nicht folgt.“
Auch Opferverbände hatten bei der Einführung des Paragrafen beklagt, dass beim Schutz von Betroffenen weiter „gravierende Lücken“ blieben. Das Gesetz ziele allein auf die Bestrafung der Täter. Die Behörden seien weiter nicht verpflichtet, Betroffene zu informieren, wenn sie auf solchen Listen auftauchten. Sinnvoll wäre für diese auch eine automatische Auskunftssperre im Melderegister. Bisher aber bleiben die Betroffenen „schutzlos zurück“, so die Verbände.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Müntefering und die K-Frage bei der SPD
Pistorius statt Scholz!
Kampf gegen die Klimakrise
Eine Hoffnung, die nicht glitzert
Krieg in der Ukraine
Biden erlaubt Raketenangriffe mit größerer Reichweite
Haldenwang über Wechsel in die Politik
„Ich habe mir nichts vorzuwerfen“
Rentner beleidigt Habeck
Beleidigung hat Grenzen
Zweite Woche der UN-Klimakonferenz
Habeck wirbt für den weltweiten Ausbau des Emissionshandels