Rechtsextreme Übergriffe in Deutschland: Nazipositive Stimmung
In den vergangenen Wochen gab es antisemitische und queerfeindliche Angriffe. Jedes Schweigen dazu unterstützt die Ideologie.
Ein mutmaßlicher Rechtsextremist verübt Brandanschläge auf einen lesbischen Verein in Berlin-Neukölln und auf das Denkmal für die im Nationalsozialismus ermordeten Homosexuellen unweit des Regierungsviertels. Er zerstört auch die BücherboXX am Holocaustmahnmal Gleis 17, verbrennt dort kritische und antifaschistische Bücher, hinterlässt ein antisemitisches Bekennerschreiben.
Fast zeitgleich in Sachsen: Nach einem brutalen Angriff auf ein Heim für Geflüchtete, bei dem ein Jugendlicher verletzt wurde, versammeln sich mehr als 450 Neonazis zu einer Demo im beschaulichen Sebnitz. Zu einem solidarischen Friedensgebet im Ort erscheinen gerade mal 50 Personen. Die hässliche Fratze Ostdeutschlands macht die Runde in sozialen und klassischen Medien.
Auch der Kurort Burg in Brandenburg kommt seit Wochen nicht zur Ruhe: Nachdem zwei Lehrer*innen dort rechtsextreme Gewalt an ihrer Schule angeprangert haben, werden sie bedroht, müssen um ihr Leben fürchten und schließlich aus dem Ort fliehen. Viele Menschen in der Region zeigen sich solidarisch – mit den Rechtsextremisten, die sich gegen jegliche Zivilcourage mit martialischen Einschüchterungsversuchen wehren. In Berichten ist die Rede davon, dass es für viele Bürger*innen in Burg immerhin um das eigene Image gehe.
Ist es ein Zufall, dass sich in den vergangenen wenigen Tagen und Wochen rechtsextrem motivierte Straftaten in Deutschland häufen, oder steckt dahinter doch ein Muster?
Normalisierte politische Einstellungen
Bei all diesen Fällen ist zumindest ein Zusammenhang zu beobachten: Die rechtsextremen Täter*innen scheinen die weitverbreitete nazipositive Stimmung in der Bevölkerung als Aufforderung zum „Handeln“ zu nehmen, sie greifen sie selbstbewusst auf bei ihren Attacken, Drohungen und Aufmärschen. Dieser Zusammenhang zwischen längst normalisierten politischen Einstellungen und rechtsextremen Taten spiegelt sich in den Kontexten dieser Fälle selbst und in Umfragen wider, die zum Beispiel die AfD bei über 20 Prozent, in einigen Bundesländern sogar über 30 Prozent sehen.
An dieser Stelle gibt es auch kein Henne-Ei-Problem: Gewaltbereite Neonazis ziehen ihre rechtsextreme Energie aus einer breiten, normalisierten Unterstützung für ihre Ideologie. Zuerst waren die weitverbreiteten Einstellungen da, dann folgte die Gewalt. Jede Verharmlosung von trans- und queerfeindlichen Parolen, die Akzeptanz der Entmenschlichung von Geflüchteten, der Applaus für antisemitische und islamfeindliche Ansichten potenzieren diese rechtsextreme Energie um ein Vielfaches. Desinteressiertes oder unterstützendes Schweigen aber auch. Die Folge: Überall nutzen gewaltbereite Rechtsextremisten die Gunst der Stunde und schlagen zu.
Oder sind das doch alles nur Zufälle? Eine Phase, die wieder vorbeigeht? Laut der Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Linken im Bundestag hat sich 2023 die Zahl der rechtsextremen Aufmärsche wie jenes in Sebnitz deutschlandweit verdreifacht. Wurden im ersten Halbjahr 2022 „nur“ 35 rechtsextreme Aufmärsche gezählt, waren es im ersten Halbjahr 2023 schon 110. Tendenz steigend. Und das Jahr ist bekanntermaßen noch nicht rum.
Sie trauen sich aus ihren Höhlen heraus
Die Neonazis sind natürlich nicht vom Himmel gefallen, sie trauen sich nur immer öfter aus ihren Höhlen heraus. Sie haben mitbekommen, dass ihre Kamerad*innen in anderen europäischen Ländern mittlerweile in Regierungsverantwortung sind und es in Deutschland immer normaler wird, rechtspatriotische Gedanken auszusprechen. Die hier zitierte Statistik bildet auch nur jene Fälle ab, die als Aufmärsche gezählt werden können, also die mit Fahnen und Fackeln. Das Verteilen von AfD-Luftballons von aktenkundigen Neonazis an Kindergartenkinder (wie neulich im thüringischen Sonneberg geschehen) fehlt in dieser Statistik zum Beispiel.
Eigentlich könnte dieser Text nur aus aktuellen Angriffen und Drohungen aus rechtsextremen Motiven heraus bestehen. Denn aus den vielen „Einzelfällen“ geht durchaus ein deutliches Muster hervor: Überall im Bundesgebiet erhielten Moscheegemeinden zum Beispiel Drohbriefe mit dem Absender „NSU 2.0“.
In einem mutmaßlich aus Niedersachsen verschickten Brief stand der Satz „wir kommen wieder“, auf eine Moschee in Hannover wurde erst vor Kurzem ein Brandanschlag verübt. Aus Lieberose musste eine bosnische Familie nach ihrem Umzug in die brandenburgische Provinz schon nach drei Tagen flüchten. Sie wurde massiv angefeindet und von Neonazis bedroht. Und in Weißenfels warfen Neonazis am Rande des Christopher Street Days Flaschen, zeigten Hitlergrüße und riefen „Sieg Heil“. Zuvor wurde eine Regenbogentreppe einer Naumburger Schule von Unbekannten übermalt: in den Farben der Reichsflagge. Eindeutiger geht es nicht.
All diese rassistischen, antisemitischen und queerfeindlichen Einschüchterungsversuche und Angriffe eint zweierlei: Sie sind in den letzten Wochen passiert, und sie stoßen auf wenig Gegenrede, ja sogar manchmal auf viel Sympathie aus der sogenannten Mitte der Gesellschaft. Kein Wunder also, dass die rechtsextremen Täter immer dreister, mutiger, gewalttätiger werden.
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