Rechtsextreme Netzwerke in Sachsen: Wo AfD-Politiker einen SS-Mann ehren
Jenseits des Rampenlichts verbünden sich AfD-Politiker mit Neonazis, Hooligans und Völkischen. Eine taz-Recherche in der Oberlausitz.
W as durch die AfD droht, offenbart sich meist besonders, wenn die Rechten sich unbeobachtet fühlen. So gehört in Sachsen auf kommunaler Ebene der Schulterschluss mit dem Neonazismus längst zum Alltag. Die taz konnte im Landkreis Görlitz Belege dafür sammeln, wie eng AfD-Lokalpolitiker mit Neonazis, Hooligans, völkischen Gruppen und Reichsideologen gemeinsame Sache machen. Und: Wie bei ihnen keine Hemmung besteht, offen den Nationalsozialismus zu verherrlichen.
Am 22. Juni trafen sich Rechtsextremisten zu einer Sonnenwendfeier in der Oberlausitz, im Dorf Strahwalde im Landkreis Görlitz. So wie vielerorts, wo Rechte sich aus diesem Anlass zusammenfinden, knüpfte der Ablauf des Fests an den Nationalsozialismus an: Etwa 150 Erwachsene und Kinder trafen sich zu einem Ritual mit Fackeln, Trommeln und Lagerfeuer, sangen Lieder der Hitlerjugend und ehrten einen SS-Standartenführer. Die anwesende Polizei nahm laut Zeugen die Personalien der Teilnehmer auf, schritt aber nicht ein.
Die taz hatte mit dem Medienkollektiv Recherche Nord kürzlich bereits über eine ähnliche Zeremonie in Eschede berichtet. Anders als in Niedersachsen standen in der Oberlausitz in Strahwalde allerdings AfD-Lokalpolitiker Seit an Seit mit den Neonazis. Mehr noch: Das Event wurde von Mandatsträgern der AfD mitgestaltet, darunter ein Gemeinderat aus Mittelherwigsdorf sowie ein Stadtrat aus Niesky.
Eigentlich wollten die Teilnehmenden unter sich bleiben. Doch die taz kann durch eigene Recherche vor Ort sowie Foto- und Videomaterial belegen: Die Feier in Strahwalde war ein NS-verherrlichendes Stelldichein der extrem rechten Szene inklusive AfD.
SS-Verehrung und Lieder der Hitlerjugend
Das Event begann bereits am frühen Nachmittag zunächst mit „Volkstänzen“, einer Laientheaterdarstellung und „Sportwettkämpfen“. So stand es auf einer Programmtafel an einem Zeltpavillon auf einer Wiese des Dorfes. Auf dem Gelände tummelten sich Männer mit weißen Leinenhemden, Cord- und Lederhosen samt Gürteln mit Koppelschlössern, Frauen mit langen Röcken und Kinder im Kita- und Grundschulalter.
Höhepunkt war ein Ritual am Abend, bei dem die Teilnehmenden in einem großen Kreis mit Fackeln gemeinsam einen etwa zehn Meter hohen mächtigen Holzstapel entzündeten. Begleitung auf Landknechtstrommeln, Kreistänze und Feuersprüche inklusive. Dies ist durch Foto- und Videomaterial dokumentiert, das der taz vorliegt. Geschworen wurde unter anderem auf die „deutsche Jugend“, geredet „zur Ehre des Löbauer Standartenführers Max Wünsche und all den Ritterkreuzträgern“. Die Runde antwortete jeweils mit einem „Heil Sonnenwende“.
Diese Aussagen wurden der taz von mehreren Zeugen vor Ort bestätigt, die Polizei bestätigte der taz den wiederholten Ausspruch „Heil Sonnenwende“. Der SS-Standartenführer Wünsche war Ordonnanzoffizier bei Adolf Hitler und befehligte im Zweiten Weltkrieg die 12. SS-Panzer-Division „Hitlerjugend“, in der massenhaft Hitlerjungen für den Kriegsdienst rekrutiert wurden. Mit dem Ritterkreuz wurden Soldaten während des Nationalsozialismus für „Tapferkeit vor dem Feind“ ausgezeichnet.
Nach dem Entzünden des Feuers sangen die Teilnehmenden gemeinsam das Propagandalied „Nur der Freiheit gehört unser Leben“, das der NS-Dichter Hans Baumann für die Hitlerjugend schrieb. Der Gesang ist durch Videos dokumentiert, die der taz vorliegen.
AfD-Lokalpolitiker gestalten Sonnenwendfeier mit
Erkennbar an der Vorbereitung der Zeremonie beteiligt war der Sozialpädagoge Robert Thieme, der im Juni für die AfD für den Stadtrat in Zittau kandidierte, sowie Thomas Christgen, der im Juni in den Stadtrat von Niesky gewählt wurde. Fotos, die der taz vorliegen, zeigen die beiden bei Absprachen in kleinerer Runde vor der Zeremonie. Ältere Fotos dokumentieren Christgen in einem T-Shirt der Kameradschaft „Schlesische Jungs“ und auf einer Demo hinter einem Transparent der NPD.
Der AfD-Politiker Frederic Höfer, Bodybuilder und Autor im Verlag „Jungeuropa“, wirkte am Nachmittag beim Programm der Veranstaltung mit, ebenso der Militärhistoriker Peter Hild, der für die AfD in den Gemeinderat in Mittelherwigsdorf gewählt wurde. Auch in Strahwalde dabei: Markus Wertz, Mitglied der Parteinachwuchs-Organisation „Junge Alternative“, sowie Kurt Hättasch aus dem AfD-Vorstand im Landkreis Leipzig. Hättasch wurde 2024 in den Stadtrat von Grimma gewählt.
Robert Thieme wies auf Anfrage der taz die Vorwürfe zurück und drohte rechtliche Schritte an, sollte die taz „unzutreffende Behauptungen“ publizieren. Christgen, Höfer, Hild, Wertz und Hättasch antworteten nicht auf Anfrage der taz.
Vernetzung mit extrem rechten Gruppen
Welcher Vernetzung das Event diente, zeigt ein Blick auf die weiteren Teilnehmenden. Neben den AfD-Politikern war ein verurteilter Gewalttäter und Hooligan von Dynamo Dresden dabei sowie Anhänger der paramilitärischen Reichsbürger-Organisation „Vaterländischer Hilfsdienst Meißen“. Zudem anwesend: Aktivisten der völkischen „Wanderjungend Oberlausitz“, von der rechtsextremen Kameradschaft „Werra Elbflorenz“ und der Jugendgruppe „Sturmvogel“, die Kinder und Jugendliche völkisch-neofaschistisch indoktrinieren will.
Anmelder und Veranstalter der Sonnenwendfeier war Stephan Jurisch. Er ist Vorsitzender der Jungen Landsmannschaft Ostdeutschland, eines rechtsextremen Vereins, der mit dem sogenannten „Trauermarsch“ in Dresden jahrelang eine der wichtigsten Neonazi-Demonstrationen Europas organisierte. Jurisch bestätigte auf Anfrage der taz, die „Privatveranstaltung“ angemeldet zu haben, wies den Vorwurf der NS-Verherrlichung zurück und drohte im Fall einer entsprechenden Berichterstattung rechtliche Schritte an.
Mit Simon Kaupert und Maximilian Schmidt waren auch zwei Video-Aktivisten auf dem Treffen zu sehen, die der Identitären Bewegung zuzuordnen sind. Schmidt begleitete den AfD-Europaabgeordneten Maximilian Krah im Dezember zu einer Trump-Gala in New York, Kaupert arbeitete für den rechtsextremen Verein „Ein Prozent“ sowie den Propagandasender Auf1. Bei der Sonnenwendfeier in Strahwalde filmten beide das Geschehen. Kaupert und Schmidt antworteten nicht auf Anfrage der taz.
Eigentlich ist die Stadt Herrnhut, zu der das Dorf Strahwalde zählt, nicht als Neonazi-Hochburg berüchtigt. In der evangelisch geprägten Stadt, die historisch für ihre internationale Missionsarbeit bekannt ist, ist man stolz auf die eigene Weltoffenheit. Doch wie in der ganzen Republik konnte die AfD auch in Herrnhut bei den jüngsten Wahlen deutliche Zugewinne erzielen. Mit 37 Prozent sammelte die rechtsextreme Partei in der Gemeinde bei der Europawahl die mit Abstand meisten Stimmen.
Demokratie-Inititative sieht Nachholbedarf
Willem Riecke, Bürgermeister von Herrnhut von der lokalen „Herrnhuter Liste“, bestätigte der taz, dass es im Vorfeld eine private Anmeldung zu einem Feuer auf privatem Grund gegeben habe. „Wir hatten keinerlei Kenntnis und auch keine Vermutung vom Charakter dieses Feuers. Insofern ist es genehmigt worden – wie andere an diesem Tag auch.“ Erst zwei Tage vor dem Event sei ein Hinweis eingegangen. Doch weder Landratsamt noch Polizei hätten eine Möglichkeit gesehen, das Feuer zu verbieten. „Die Stadt Herrnhut lehnt derartige Veranstaltungen (ob privat oder öffentlich) konsequent ab. Solche Dinge haben auf unserem Gemeindegebiet keinen Platz“, erklärte Riecke. Für die Zukunft wolle man sich im Stadtrat besprechen und auch externe Beratung in Anspruch nehmen.
Die Demokratie AG Ostsachsen, ein Netzwerk freier Träger, äußerte sich besorgt über die Entwicklung. Unter den in diesem Jahr im Landkreis Görlitz veranstalteten Sommersonnenwendfeiern hätten erneut einzelne „den offenen Anschluss an völkische und nationalsozialistische Brauchtumspflege zelebriert“, heißt es in einer Erklärung. Die Veranstaltung in Strahwalde habe dabei besonders herausgestochen. Dass die Feier direkt im Ort und im Beisein der Polizei stattgefunden habe, zeige, „dass die Veranstalter*innen sich durch ausbleibende Konsequenzen und fehlgeleitete Toleranz legitimiert sehen.“
Dieser Text ist Teil unserer Berichterstattung zu den Wahlen 2024 in Brandenburg, Sachsen und Thüringen. Die taz zeigt, was hier in diesem Jahr auf dem Spiel steht.
Das Netzwerk beklagt „ein fehlendes Hintergrundwissen seitens der Beamt*innen zu völkisch-nationalistischer Vereinnahmung“ solcher Rituale. „Wir erwarten von der Polizei, dass sie sich mit den ideologischen Hintergründen solcher Veranstaltungen und den Gefahren, die von ihnen ausgehen, auseinandersetzt, anstatt das Problem herunterzuspielen“.
Die zuständige Polizeidirektion Görlitz erklärte, im Zusammenhang mit der Veranstaltung habe man keine strafbaren Handlungen festgestellt. „Die Sonnenwendfeier verlief grundsätzlich friedlich und ohne Störungen.“ Der Verfassungsschutz beschäftigte sich mit der Einordnung der Feier. Nach Informationen der taz wurde von Zeugen nach der Veranstaltung Anzeige wegen Volksverhetzung und wegen des Verbreitens von Propagandamitteln verfassungswidriger und terroristischer Organisationen erstattet. Die Polizei hat Ermittlungen aufgenommen.
(Anmerkung der Redaktion, 20.09.2024: Wir haben aus rechtlichen Gründen bei der Beschreibung von Markus Wertz ein Wort geändert.)
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