Rechter Terror in Hessen: Lübcke und „NSU 2.0“–Drohbriefe

Vor dem rassistischen Anschlag in Hanau hat es in Hessen andere Vorfälle gegeben: der Lübcke-Mord und eine Drohbriefserie sind nur ein Teil dessen.

Stuhl Mit Portrait von Walter Lübcke

Erst nach einem halben Jahr stufte die Polizei das Lübcke-Attentat als politisch motivierte Tat ein Foto: Yann Walsdorf/Picture Alliance

BERLIN taz | Einen Tag, bevor der Attentäter von Hanau zehn Menschen und sich selbst das Leben nahm, war sich Hessens Innenminister Peter Beuth (CDU) noch sicher: „Hessen ist ein sicheres Land.“ Beuth steht am Rednerpult im Hessischen Landtag in Wiesbaden und verkündet die neuesten Zahlen aus der Polizeilichen Kriminalitätsstatistik. 2019 sei die „Kriminalitätsbelastung“ so niedrig wie zuletzt 1978, die Aufklärungsquote die höchste, die in Hessen jemals gemessen wurde. Beuth ist voll des Lobes für die Arbeit der Sicherheitsbehörden – auch für ihre Arbeit gegen rechts.

Seit dem Mord an Walter Lübcke im Juni 2019 habe Hessen eine „bis dato einmalige“ landesweite Einheit mit rund 140 Ermittlern geschaffen, um den „Druck“ auf die rechte Szene zu erhöhen. Seit Juli seien mehr als 1.100 Kontrollmaßnahmen durchgeführt worden. „Wir werden den Druck auch 2020 hoch halten“, verspricht der Innenminister.

Es ist wenig verwunderlich, dass Beuth dies betont. Der Mord an dem Kasseler Regierungspräsidenten Lübcke war das erste tödliche Attentat eines Rechtsextremen auf einen Politiker in der Geschichte der Bundesrepublik. Dennoch dauerte es ein halbes Jahr, bis die hessische Polizei das Lübcke-Attentat als politisch motivierte Tat einstuft. Und das, obwohl der mutmaßliche Täter, der Rechts­ex­tre­me Stephan E., zunächst – vor dem Widerruf – ein eindeutiges Geständnis ablegt und die Generalbundesanwaltschaft früh den Fall an sich gezogen hatte. Warum die hessische Polizei so lange mit der Einstufung wartete, ist unklar. Auch, warum Beuths Behörde lange verschwieg, dass der Name Stepahn E. elfmal in einer NSU-Akte auftaucht und offenbar dennoch vom Radar des Verfassungsschutzes verschwand.

Wächtersbach, Drohbriefe an NSU-Opferanwältin

Fakt ist: Die Herausforderung im Kampf gegen Rechtsextremismus ist nicht geringer geworden. So hat kurz nach dem Anschlag auf Lübcke ein Mann im südhessischen Wächtersbach auf einen Eritreer geschossen. Die Zahl rechtsmotivierter Delikte in Hessen ist im Jahr 2019 auf insgesamt 917 gestiegen, das sind 52 Prozent mehr als im Vorjahr. Auch die Zahl antisemitischer Delikte in Hessen stieg um 56 Prozent an. Die Opposition sieht darin die Quittung dafür, dass die hessische Polizei die rechtsextreme Szene jahrelang nicht sonderlich eng überwachte.

Im Gegenteil: Im August 2018 erhielt die Frankfurter NSU-Opferanwältin Seda Başay-Yıldız den ersten von insgesamt vier Drohbriefen, unterzeichnet mit „NSU 2.0“. Wie sich herausstellte, hatten der oder die Absender:in wohl Zugriff auf Polizeicomputer. Im Zuge der weiteren Ermittlungen wurde eine mutmaßliche rechtsextreme Chatgruppe in der Frankfurter Polizei aufgedeckt. Die fünf Be­am­t:in­nen sind zwar vom Dienst suspendiert worden – bis heute ist der Zusammenhang zu den „NSU 2.0“-Drohbriefen nicht geklärt. Und wie im Falle Stephan E. bemängelt die Opposition im Hessischen Landtag, nur unzureichend über den Fall informiert zu werden.

Polizei und rechtes Gedankengut

Tatsächlich stellt sich in Hessen – aber nicht nur – die Frage, wie sehr die Polizei selbst anfällig ist für rechtsextremes Gedankengut. In einer aktuellen Befragung von mehr als 4.000 Angehörigen der hessischen Polizei äußerte fast jede und jeder Dritte Sorgen vor einer „Islamisierung“ Deutschlands.

Zum aktuellen Fall in Hanau hat sich die hessische Regierung nun aber schnell positioniert: Innenminister Beuth bestätigte am Donnerstagmorgen im Landtag den Verdacht eines rechtsradikalen Hintergrunds. Zuvor hatte der Landtag eine kurze Gedenkminute abgehalten. Der Sitzungstag wurde komplett abgesagt. Am Landtagsgebäude wurde die Trauerbeflaggung gehisst.

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