Entwicklung im Mordfall Lübcke: Verdächtiger widerruft Geständnis
Der im Mordfall Lübcke festgenommene Stephan Ernst hat am Dienstag sein Geständnis zurückgenommen. Er gilt weiter als „dringend tatverdächtig“.
Ernst habe seine Aussagen komplett zurückgezogen, bestätigte dessen neuer Anwalt Frank Hannig der taz. Zu den Gründen, warum dies geschah, wollte er sich nicht äußern. Hannig wurde nach eigener Auskunft erst am Dienstag als neuer Verteidiger von Ernst beigeordnet. Zuvor wurde dieser durch den hessischen Anwalt und NPD-Politiker Dirk Waldschmidt vertreten.
Ernst, ein langjähriger Rechtsextremist, soll Anfang Juni den CDU-Politiker Lübcke mit einem Kopfschuss vor dessen Haus im hessischen Wolfhagen-Istha ermordet haben. Die Polizei hatte ihn Mitte Juni festgenommen – weil sie eine DNA-Spur von ihm auf der Kleidung Lübckes gefunden hatte. Vergangene Woche hatte Ernst die Tat schließlich gestanden und behauptet, als Einzeltäter gehandelt zu haben.
Am jetzigen Dienstag wurde der 45-Jährige nach Karlsruhe zum Bundesgerichtshof geflogen, um seinen Haftbefehl zu erneuern. Der bisherige lief noch über das Amtsgericht Kassel. Bei der Anhörung widerrief Ernst sein Geständnis. Der Bundesgerichtshof ließ sich davon nicht beeindrucken: Er verhängte danach dennoch einen neuen Haftbefehl gegen Ernst – wegen eines weiter bestehenden „dringenden Tatverdachts des Mordes“.
Mutmaßliche Waffenbeschaffer festgenommen
Die Bundesanwaltschaft, die den Fall Lübcke übernommen hat, wollte sich am Dienstag nicht zu dem Fall äußern. Ernsts ursprüngliche, teils sehr detaillierten Aussagen sind für sie aber weiter verwendbar. Und sie haben sich durch weitere Ermittlungen auch bereits bestätigt: So konnte dadurch das Waffenversteck von Ernst, in einem Erddepot bei dessen Kasseler Arbeitsstelle, gefunden werden, inklusive der Tatwaffe.
Auch konnten zwei mutmaßliche Waffenbeschaffer festgenommen werden. Bleibt Ernst bei seinem Widerruf, könnte sein anfängliches Geständnis in einem Prozess indirekt über die Ermittler eingeführt werden, die den Beschuldigten vergangene Woche befragten.
Ernst war bereits ab 1989 mit schweren, rechtsextremen Straftaten aufgefallen, saß dafür auch in Haft. Später bewegte er sich in der Kasseler Neonazi-Szene und in der NPD. Ab 2009 sei er aber nicht mehr auffällig gewesen, hieß es seitens der Sicherheitsbehörden. Daran aber gibt es Zweifel. So soll Ernst noch bis 2011 Mitglied der völkischen „Artgemeinschaft“ gewesen sein, auch sein mutmaßlicher Waffenvermittler Markus H. kommt aus der rechten Szene.
Womöglich nicht zufällig hatte sich Stephan Ernst zunächst auch den NPD-Politiker Dirk Waldschmidt als Anwalt gesucht. Sein neuer Vertreter, Frank Hannig, bewegte sich nun wiederum im Pegida-Umfeld. 2017 trat er als Redner auf einer Pegida-Veranstaltung auf. Hannig selbst engagiert sich politisch bei den Freien Wählern in Sachsen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
100 Jahre Verkehrsampeln
Wider das gängelnde Rot
++ Nachrichten zum Umsturz in Syrien ++
Baerbock warnt „Assads Folterknechte“
Rechtsextreme Demo in Friedrichshain
Antifa, da geht noch was
Mord an UnitedHealthcare-CEO
Gewalt erzeugt Gewalt
Trendvokabel 2024
Gelebte Demutkratie
Mehr Zugverkehr wagen
Holt endlich den Fernverkehr ins Deutschlandticket!