Rechter „Philosoph“ Renaud Camus: Der Hetzer von der Burg
Der Neurechte Franzose Renaud Camus prägt Begriffe wie „Umvolkung“. Darauf bezogen sich auch die Attentäter von Christchurch und El Paso.
Bevor der Australier Brenton T. am 15. März in der neuseeländischen Stadt einen Terroranschlag auf zwei Moscheen verübte, bei dem er 50 Menschen tötete und ebenso viele verletzte, hatte er im Internet ein Pamphlet publiziert, das denselben Titel trug wie das erstmals 2011 erschienene Buch des französischen Autors: „The Great Replacement“.
Der 72-jährige Camus, der auf der Burg Château de Plieux in Südfrankreich lebt, gilt als „Erfinder“ jener Vorstellung: Sie besagt, dass in den USA, Europa und Ozeanien die Vorherrschaft der Weißen aufgrund von Immigration die Zusammensetzung der Bevölkerung so sehr ändert, dass weiße „Einheimische“ allmählich durch Zugewanderte ersetzt sein würden.
Dabei soll es sich nicht nur um normale demografische Prozesse handeln, sondern um eine Art Komplott, nämlich ein von einer „Elite“ ausgeheckter „Plan“: Im Kontext der Globalisierung solle „Menschenmaterial“ importiert werden, um die Geburtenschwäche der Weißen zu kompensieren. Dabei würde im Namen eines schädlichen „Multikulturalismus“ die Zivilisation oder „Identität“ der Einheimischen vernichtet.
Hetze im Eigenverlag
Es handelt sich um eine der zahllosen Versionen von Kulturpessimismus rassistischer Untergangspropheten. Für den bekannten Demografen Hervé Le Bras ist der „Große Austausch“ ein unwissenschaftlicher „Rassenmythos“. Die demografische Realität entspricht ihm zufolge einer ethnischen Vermischung („métissage“) in Europa, dies geschehe „mindestens seit dem Neolithikum“.
Der studierte, kultiviert wirkende Camus, der einst in regem Austausch mit AutorInnen wie Louis Aragon und Marguerite Duras stand, sogar Umgang mit Andy Warhol pflegte, hat mit seinen meist im Eigenverlag veröffentlichten Publikationen dieser paranoiden Obsession eine neue ideologische Grundlage geliefert. Camus beruft sich wiederum auf Schriften des rechten Politikers Maurice Barrès und des antisemitischen Journalisten Édouard Drumont.
Camus geht es nicht um ein „Konzept“, sondern um Evidenz: „Ist ein Volk, das rasend schnell in seinen Straßen, […] seinen Schulen, insbesondere im Fernsehen vor unseren Augen durch ein oder mehrere andere [Völker] ersetzt wird, immer noch dasselbe, weil es offiziell denselben Namen trägt?“ (aus „Le Grand Remplacement“, 2013)
Camus’ Begriff wird von diversen Rechtsextremen genannt, die damit vor einer „Islamisierung“ der westlichen Gesellschaften warnen. Vor allem in der Propaganda der „Identitäten“ und Neonazis ist „Der Große Austausch“ ein Dauerbrenner, auch der österreichische Rechtsaußen Heinz-Christian Strache (FPÖ) hat davon als „Tatsache“ gesprochen. Im rechtsradikalen Milieu hat das Schlagwort die „Überfremdung“ abgelöst, es richtet sich dem Konzept zufolge weniger pauschal gegen Migration und Ausländer, sondern vor allem gegen die afrikanisch-arabisch-muslimische Zuwanderung.
Verurteilt wegen Anstiftung zu Gewalt
Längst hat sich Camus’ Verschwörungstheorie auf gefährliche Weise verselbstständigt, wie wenn die mit pseudowissenschaftlichen Elementen begründete Bedrohungsidee allein die rassistische Gewalt rechtfertigen könnte. Jedes Mal, wenn er in den Medien nach einem Massenmord von weißen Rassisten der ideologischen Mitverantwortung bezichtigt wird, wäscht Camus, äußerlich gepflegt wirkend, mit weißem Bart und hypnotischem Blick, seine Hände in Unschuld.
Nach dem Attentat von Christchurch bezeichnete sich Camus gegenüber AFP geradezu entrüstet als Gegner von Gewalt. Immerhin ist er 2015 nach seiner Hetze gegen Araber wegen Anstiftung zu Hass und Gewalt gegen Muslime rechtskräftig verurteilt worden.
Seine Nähe zur Identitären Bewegung ist unbestreitbar. Da Camus zu wenig politische „Patenschaften“ für eine Kandidatur zusammenbekam, unterstützte er 2012 und 2017 jeweils die Präsidentschaftskandidatin Marine Le Pen (FN). Zudem wurde er führendes Mitglied der mit der extremen Rechten verbündeten Splitterpartei SIEL (Souveraineté, identité et libertés). Bei der Europawahl kandidierte er auf der Liste „La Ligne claire“ (0,01% Stimmen), in deren Parteiprogramm die „Entkolonisierung“ Frankreichs durch „unmittelbare Rückwanderung“ aller Immigranten (inklusive ihrer Nachkommen) in ihre (afrikanischen) Herkunftsländer gefordert wurde. Kurz zuvor distanzierte sich Camus davon.
Auf einem im Netz verbreiteten Foto war eine Mitkandidierende zu sehen, die ein Hakenkreuz in den Sand zeichnete. Die ideologische Verwandtschaft zu Hitlers mörderischer Rassenlehre wurde zu offensichtlich für den auf seine philosophische Subtilität bedachten Renaud Camus.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ungerechtigkeit in Deutschland
Her mit dem schönen Leben!
Neuer Generalsekretär
Stures Weiter-so bei der FDP
Zuschuss zum Führerschein?
Wenn Freiheit vier Räder braucht
Verkauf von E-Autos
Die Antriebswende braucht mehr Schwung
Die HTS in Syrien
Vom Islamismus zur führenden Rebellengruppe
Warnstreiks bei VW
Der Vorstand ist schuld