Reaktion auf sinkende Kundenzahlen: Tabubruch bei Netflix
Erstmals seit zehn Jahren verliert Netflix Kund:innen. Nun will der Streamingdienst Zuzahlung bei geteilten Abos verlangen und Werbung einführen.
Für Netflix war es das erste Quartal mit Kundenschwund seit mehr als zehn Jahren. In den drei Monaten bis Ende März gingen unterm Strich rund 200.000 Bezahlabos verloren. Ein Grund dafür war zwar der Stopp des Russland-Geschäfts nach dem Einmarsch in die Ukraine, wodurch auf einen Schlag 700.000 Kund:innen wegfielen. Doch auch mit dem Zuwachs von 500.000 Abonnent:innen wäre Netflix weit hinter der eigenen Prognose von 2,5 Millionen zurückgeblieben. Schlimmer noch: Fürs laufende Quartal rechnet der Dienst mit dem Abgang von rund zwei Millionen Kunden. Dabei hat Netflix neue Folgen von Hit-Serien wie „Stranger Things“ und hochkarätig besetzte Filme wie „The Gray Man“ mit Hollywood-Star Ryan Gosling starke Produktionen am Start.
Insgesamt sank die weltweite Kundenzahl zum Quartalsende auf 221,6 Millionen. Wie kam es dazu? Das Management um Gründer und Co-Chef Reed Hastings verwies unter anderem auf „Faktoren außerhalb unserer Kontrolle“ wie den langsameren Anstieg des Anteils von Smart-TVs mit Internet-Anschluss, Russlands Krieg in der Ukraine und die Inflation.
Vor allem sind Netflix aber die Kund:innen ein Dorn im Auge, die ihre Login-Daten mit anderen teilen. Der Dienst schätzt, dass mehr als 100 Millionen Haushalte so als Trittbrettfahrer unterwegs seien. Als das Wachstum noch hoch war, habe man ein Auge zugedrückt, sagte Hastings. Doch nun will Netflix nicht mehr tatenlos zusehen.
Mehr Geld für geteilte Abos
„Wenn sie etwa eine Schwester haben, die in einer anderen Stadt lebt und ihr Netflix-Abo mit ihr teilen wollen, ist das super. Wir versuchen nicht, das zu unterbinden“, sagte Produktchef Greg Peters. „Aber wir werden sie bitten, dafür etwas mehr zu bezahlen.“ Netflix kann zum Beispiel anhand der IP-Adressen feststellen, von wo Nutzer auf den Dienst zugreifen. Bis das System eingefahren sei und weltweit eingesetzt werde, könne es aber noch ein Jahr dauern, sagte Peters.
Zu Beginn der Corona-Pandemie galt Netflix noch als einer der großen Gewinner der Krise, allein im Jahr 2020 stieg die Kundenzahl um 37 Millionen. Doch jetzt heißt es, der Schub habe die Sicht vernebelt.
Immer mehr Konkurrenz
Netflix konnte als Pionier zunächst nahezu ungehindert Land im Videostreaming-Geschäft gewinnen. Doch inzwischen gibt es immer mehr Konkurrenz – unter anderem von Disney, Amazon, Apple sowie Warners HBO Max. Nannte Hastings vor ein paar Jahren noch mit einem Anflug von Arroganz das Online-Spiel „Fortnite“ als schärfsten Konkurrenten, gibt er nun zu, dass der Wettbewerb „einige sehr gute Filme und Serien herausgebracht“ habe.
Branchenbeobachter sehen auch ein Problem in der Netflix-Strategie, das Programm mit einer Flut von Inhalten zu überschwemmen, wobei manchmal die Qualität auf der Strecke bleibe. Ein Rivale wie Disney setzt dagegen auf aufwendig produzierte wenige Serien rund um populäre Figuren aus den Welten von „Star Wars“ und Marvel, die mit einer Folge pro Woche über einen längeren Zeitraum die Kunden binden.
Günstigeres Angebot mit Werbung
Um das Wachstum wieder in Gang zu bringen, ist Netflix sogar bereit, an einem seiner größten Tabus rütteln und ein günstigeres Abo mit zwischengeschalteten Werbe-Clips einführen. So etwas gab es bei Netflix noch nie – Hastings hatte bislang wenig dafür übrig. Er sei zwar nach wie vor ein Fan der Einfachheit von Abos – „aber ich bin noch mehr ein Fan davon, den Verbrauchern eine Wahl zu bieten“, sagte er. Netflix sei nun offen fürs Werbe-Modell. „Wir schauen uns das an und versuchen, das in ein bis zwei Jahren auf die Reihe zu kriegen.“ Details wie die Personalisierung der Werbung könne man dabei auch anderen überlassen.
Das letzte Mal, dass Netflix ein Quartal mit sinkenden Nutzerzahlen verbuchte, war im Oktober 2011. Trotz des Rückgangs liegt Netflix weiter deutlich vor der Konkurrenz. Zum Vergleich: Der große Rivale Disney+ hatte Ende 2021 knapp 130 Millionen Kund:innen. Doch auch beim Gewinn musste Netflix im abgelaufenen Quartal Abstriche machen. Der Überschuss sank gegenüber dem Vorjahreswert um etwa sechs Prozent auf 1,6 Milliarden Dollar (1,5 Mrd Euro). Der Umsatz legte zwar um rund zehn Prozent auf 7,9 Milliarden Dollar zu, verfehlte die Erwartungen der Analysten aber dennoch knapp. Die Netflix-Aktie war seit Beginn des Jahres bereits um über 40 Prozent gefallen. Der Quartalsbericht setzte auch den Kursen anderer Streaming-Anbieter zu.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
Nach der Gewalt in Amsterdam
Eine Stadt in Aufruhr
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
+++ Nachrichten im Nahost-Krieg +++
IStGH erlässt Haftbefehl gegen Netanjahu und Hamas-Anführer
Die Wahrheit
Der erste Schnee
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja