Reaktion auf Silvesterausschreitungen: „Wenn einschränken, dann jetzt“
Grünen-Fraktionschefin Silke Gebel drängt auf ein Böllerverbot und will Anhörungen mit Polizei, Feuerwehr und Krankenhäusern im Abgeordnetenhaus.
taz: Frau Gebel, Sie sind eine von denen, die seit vielen Jahren ein Böllerverbot fordern – bislang vergeblich. Wird jetzt nach den erschreckenden Bildern von Silvester etwas draus?
Silke Gebel: Als ich 2013 das Thema als ganz frische Abgeordnete forciert habe, habe ich noch in der Morgenpost die Kopfnote 6 bekommen. Jetzt aber sagt sogar die B.Z., dass wir unbedingt ein Böllerverbot brauchen. Da hat sich tatsächlich was gedreht. Meine Erfahrung ist aber: Wenn wir das Böllern einschränken wollen, dann müssen wir das jetzt im Januar machen.
Die Debatte geht nach den Angriffen auf Feuerwehrleute und Polizisten allerdings gerade in die Richtung Jugendgewalt. Droht da das Thema Böllerverbot nicht gleich wieder in den Hintergrund zu geraten?
Es gibt tatsächlich diejenigen, wie zum Beispiel CDU-Chef Kai Wegner, die einfach nur das Recht der Stärkeren verteidigen wollen. Frei nach dem Motto: Je größer das Geschoss, desto größer die Freiheit. Das machen sie in der Verkehrspolitik, das machen sie jetzt eben auch hier beim Böllern an Silvester.
Silke Gebel
Die 39-jährige gebürtige Schwäbin ist seit 2016 Co-Chefin der Grünen-Fraktion im Abgeordnetenhaus.
Was meinen Sie mit „Recht des Stärkeren“? Wegner fordert, friedlich knallende Familien nicht mit einem Böllerverbot für die Aggressivität anderer zu bestrafen.
Schauen Sie doch mal in die Bilanz, die das Unfallkrankenhaus Berlin jetzt getwittert hat: Da mussten bei Kindern Gliedmaße, also Finger, amputiert werden. Das sind genau die Schwächeren, die wir mit einem Böllerverbot schützen wollen. Für die Familien, mit denen Wegner argumentiert, setzen wir Grüne uns dafür ein, dass es eben zentrale Feuerwerke gibt, die sich die Familien dann auch unbesorgt anschauen können – und alle anderen auch, die Spaß an Feuerwerk haben. Vielleicht kann es auch den einen oder anderen Abbrennplatz für Knaller geben – aber eben auch weit genug weg von allen vulnerablen Gruppen.
Mit dieser Haltung machen Sie sich nicht nur Freunde.
Es ist doch ganz einfach: Wenn wir keine Böller an Silvester in diesem Ausmaße haben, dann gibt es auch einfach nicht diese Ausschreitungen, weil es niemanden gibt, der Böller schmeißen kann.
Manche scheinen eher zu meinen, angesichts von Angriffen mit Stangen und Steinen auf Feuerwehrleute seien Böller das geringste Problem
Wir haben ja in den letzten zwei Jahren gesehen, wie friedlich Silvester ablaufen kann, wenn es eben nicht diese Unmengen an Böllern gibt. Dann kann die Polizei auch viel besser Herrin der Lage sein und Ausschreitungen viel besser im Griff behalten.
Was soll aus Ihrer Sicht nun konkret im Abgeordnetenhaus passieren, um möglichst schnell zu einem Böllerverbot zu kommen?
Wir werden jetzt auf jeden Fall Anhörungen auf den Weg bringen und im Innenausschuss Polizei und Feuerwehr zu Wort kommen lassen. Gut wäre auch, im Gesundheitsausschuss noch mal die Krankenhäuser anzuhören. Wir haben als Berlin außerdem eine Bundesratsinitiative, mit der wir ein bundesweites Verkaufsverbot von Böllern erreichen wollen. Das wird jetzt forciert werden müssen. Da rufe ich auch alle anderen Bundesländer auf, dem zuzustimmen.
Diese Initiative ist ja nicht gerade neu.
Die haben wir schon 2019 in den Bundesrat eingebracht. Allerdings war es bislang schwierig, eine Mehrheit zu bekommen. Aber wenn man sich jetzt mal in ganz Deutschland umschaut, dann gibt es ja schon eine erschreckende Bilanz, nicht nur in Berlin. Außerdem müssen wir schnell weitere Böllerverbotszonen für Silvester 2023 festlegen.
Das klingt so, als ob Sie noch nicht davon ausgehen, dass es bis dahin ein bundesweites Böllerverbot gibt.
Die Erfahrung der Böllerdiskussion lehrt, dass man zweigleisig fahren kann. Die FDP hat ja schon gesagt, dass ihr Verständnis von Freiheit ist, dass alle Leute wild um sich böllern dürfen. Insofern haben ich wenig Hoffnung, dass die Ampelregierung sich zu einem Verkaufsverbot durchringen kann.
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