Rassistische Krawalle in Heidenau: Nicht ein Täter sitzt in Haft
Zwei Festgenommene befinden sich wieder auf freiem Fuß. Amadeu-Antonio-Stiftung und Polizeigewerkschaft kritisieren die sächsische Polizei.
Die für Menschenrechte und gegen Rassismus engagierte Stiftung verwies auf die wohlvorbereiteten Aktionen speziell am späten Samstagabend. „Kiloweise Böller hat man nicht zufällig dabei“, meinte Lüdecke. „Wenn anlässlich einer NPD-Demo bei Facebook zu einer Straßenblockade aufgerufen wird, muss man das Gefahrenpotenzial abschätzen können“, sagte Innenpolitiker Valentin Lippmann von der Landtagsfraktion der Bündnisgrünen.
Das sächsische Innenministerium und die Polizeidirektion Dresden wiesen solche Vorwürfe zurück. Nach Entscheidungen der Landesdirektion Sachsen als zuständiger Behörde für die Flüchtlingsunterbringung werde „stets der erforderliche Sicherheitsaufwand eingeschätzt und abgestimmt“, sagt ein Sprecher des Innenministeriums. Man habe in Heidenau „ein Szenario wie in Freital vor einigen Wochen“ erwartet, bestätigte Polizeisprecher Steffen Geithner. „Es werden Personen beider Lager vor Ort sein und es wird verbale Auseinandersetzungen sowie Provokationen geben“, lautete die Prognose.
Die eingesetzten 140 Beamten hätten auch die Aufgabe erfüllt, die Versammlung abzusichern und die Lager zu trennen. „Dass wir selber angegriffen und zur Zielscheibe werden, können wir schlecht verhindern“, schilderte Geithner die Überraschung seiner Kollegen durch den Gewaltausbruch.
Strafverfolgung musste warten
Klar ist aber auch, dass die sächsische Polizei die letzten personellen Reserven für die Wochenendeinsätze aufbieten musste. „Die Einsatzkräfte waren unterrepräsentiert“, kritisiert der stellvertretende Landesvorsitzende der Polizeigewerkschaft, Torsten Scheller. Man sei vor allem mit der Lagebewältigung beschäftigt gewesen, bevor man an Strafverfolgung denken konnte, räumte Ministeriumssprecher Strunden ein.
Folglich ist der Weg zu einer harten Bestrafung der Täter, die vor allem Vizekanzler Sigmar Gabriel (SPD) gefordert hatte, noch weit. Nach Polizeiangaben sind lediglich zwei Personen vorläufig festgenommen worden, inzwischen aber wieder auf freiem Fuß. Von 160 Demonstranten wurden die Personalien aufgenommen. Strafverfahren seien eingeleitet und die Staatsanwaltschaft einbezogen worden, sagte ein Polizeisprecher am Dienstag. Die Polizeidirektion habe aber noch keinen zahlenmäßigen Überblick.
Paradoxerweise halfen die Neonazis selbst, Lücken in polizeilichen Videoaufzeichnungen zu schließen. Der SPD-Landtagsabgeordnete Henning Homann hat auf YouTube eine Aufzeichnung der rechten Szene entdeckt und gesichert, bevor sie wieder gelöscht wurde. Im Video sind die Zerstörung von Absperrungen, Alkoholgenuss und Würfe von Böllern, Steinen und Flaschen zu sehen. Homann hat Anzeige erstattet.
„Die Nazis brüsten sich“
Robert Lüdecke von der Amadeu-Antonio-Stiftung warnte vor Ermunterungseffekten zu weiteren Aktionen gegen Flüchtlinge. „Die Nazis brüsten sich und fühlen sich im Gefühl der Übermacht als Gewinner. Solange da kein Riegel vorgeschoben wird, meinen sie, sie könnten schalten und walten, wie sie wollen.“
Sachsens Innenminister Markus Ulbig (CDU) hat als Konsequenz vorerst nur die Wiedereinführung einer Wachpolizei angeregt. Bürgerpolizisten, die nach drei Monaten Qualifikation Objekte sichern, gab es in Sachsen schon einmal nach dem 11. September 2001. Zu künftigen Strategien wie etwa einer konsequenten Auswertung der Internet-Kommunikation war am Dienstag noch nichts zu erfahren.
In der kommenden Woche wird der Sächsische Landtag über die Asylpolitik im Freistaat debattieren. Schon am Mittwoch will Bundeskanzlerin Angela Merkel den Heidenauer Schauplatz besuchen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ungerechtigkeit in Deutschland
Her mit dem schönen Leben!
Neuer Generalsekretär
Stures Weiter-so bei der FDP
Zuschuss zum Führerschein?
Wenn Freiheit vier Räder braucht
Comeback der K-Gruppen
Ein Heilsversprechen für junge Kader
Der Check
Verschärft Migration den Mangel an Fachkräften?
Liberale in der „D-Day“-Krise
Marco Buschmann folgt Djir-Sarai als FDP-Generalsekretär