Das war die Woche in Berlin I: Nazis, verpisst euch!
Zwei polizeibekannte Neonazis pinkeln in der S-Bahn auf zwei Kinder. Warum schreitet keiner ein? Und warum lässt die Polizei die Täter laufen?
Samstagabend in der Ringbahn. Am S-Bahnhof Landsberger Allee steigen zwei Männer ein, polizeibekannte Neonazis, aber das weiß hier niemand. In der Bahn sitzt eine Frau mit zwei Kindern, auf etwa 5 und 15 Jahre alt schätzen die anderen Fahrgäste sie; die Familie habe „osteuropäisch“ ausgesehen, werden sie später sagen. Die beiden Männer fangen an zu grölen, die Familie als „Scheiß-Asylantenpack“ anzupöbeln, sie rufen „Heil Hitler!“ und zeigen den Hitlergruß. „Wir sind die Herrenrasse“, glauben sie. Dann lässt einer der beiden die Hose herunter und uriniert auf die beiden Kinder.
Das ist so widerlich, abstoßend und menschenverachtend, dass es einem die Sprache verschlägt. Mitten in Berlin werden Menschen aufs Ekelhafteste entwürdigt und degradiert. Mitten in Berlin zeigt sich, zu welch unterirdischen Taten Nazis fähig sind.
Das erinnert an die Art Nazi, der mit vollgepisster Hose 1992 in Rostock-Lichtenhagen den Hitlergruß zeigte. Der Nazi, der so dumm wie gefährlich ist, so entmenschlicht wie menschenverachtend.
Eigentlich war der natürlich nie weg: Auf vielen Brandenburger Dorffesten, bei Grillabenden in Marzahn oder Fußballspielen in Rudow gab es daran auch nie einen Zweifel. Aber die BerlinerInnen – zumindest die aus der Innenstadt; zumindest die, die nicht irgendwie migrantisch oder politisch links aussehen – konnten sich lange der Illusion hingeben, so etwas gebe es hier nicht.
Gibt es aber doch. Und die Geschichte hinterlässt Fragen: Warum rufen die Fahrgäste zwar die Polizei, greifen aber nicht selbst ein? Warum lässt die Polizei die beiden Männer, die sturzbetrunken ihre Gewalttätigkeit doch gerade erst unter Beweis gestellt hatten, noch am selben Abend wieder laufen? Warum schaltet sich der polizeiliche Staatsschutz erst am Dienstag in die Ermittlungen ein?
Ob sich auf diese Fragen noch eine Antwort finden lässt oder nicht, macht für die Familie aus der S-Bahn, die bisher nicht gefunden wurde, wohl keinen Unterschied. Sie hat etwas erlebt, das sich kaum verarbeiten lässt. Sie wurde von Menschen gedemütigt, die selbst kaum mehr die Bezeichnung Mensch verdient haben.
Mitten in Berlin.
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