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Rassismus-Studie und Horst SeehoferFakten gegen den Status quo

Gastkommentar von Johanna Soll

Vieles spricht dafür, repräsentative Daten zur ethnischen Herkunft und zu Diskriminierungserfahrungen zu erheben. Auch wenn das Thema sensibel ist.

Rassismus: umstrittener Bahnhofsname in Berlin, umstrittene Datenerhebung auf Bundesebene Foto: Christian Ditsch

W ir müssen reden. Denn wir haben ein Problem. Horst Seehofer hat eine breit angelegte Studie zu Rassismus in der Gesellschaft angekündigt. Über den genauen Umfang und die Methodik der geplanten Studie ist bisher nichts bekannt. Dabei ist aber gerade die Methodik das Entscheidende, denn eine weitere Studie zur Verbreitung von Rassismus und Ausländerfeindlichkeit in der deutschen Gesamtbevölkerung hätte keinen Mehrwert. Da es bisher keine repräsentativen statistischen Informationen zur Verbreitung von Diskriminierungserfahrungen aufgrund der ethnischen Herkunft gibt, müsste man Menschen, die von Rassismus betroffen sind, direkt befragen.

Und genau das ist das Dilemma, denn es würde bedeuten, es müssten entsprechende Angaben erhoben werden. Sind wir dazu bereit? Die Erhebung dieser Daten ist gerade in Deutschland ein sensibles Thema. Es ist zwar bekannt, wie viele Menschen im Land einen Migrationshintergrund haben, aber diese Daten lassen nicht immer Rückschlüsse über die Diskriminierung aufgrund der ethnischen Herkunft zu: Dafür kommt es vor allem darauf an, ob eine Person als „fremd“ oder „nicht weiß“ wahrgenommen wird.

Wenn es um die Erhebung von Daten zur ethnischen Herkunft und diesbezügliche Diskriminierungserfahrungen geht, gibt es Gewichtiges, was dafür, und manches, was dagegen spricht: Um strukturellen Rassismus sicht- und belegbar machen zu können, bedarf es aussagekräftiger Daten. Ansonsten kann man der Behauptung, bei strukturellem Rassismus handele es sich nur um Einzelfälle – so wie aktuell bei der Aufdeckung rechtsradikaler Strukturen in der Polizei postuliert wird –, keine Fakten entgegensetzen. Es bliebe eine Diskussion im luftleeren Raum, die denen nützt, die alles verleugnen, was über den eigenen Erfahrungshorizont hinausgeht, und den geliebten, weil so gemütlichen Status quo bloß nicht ändern wollen – den Konservativen.

Andererseits zeigt der Blick in die deutsche Vergangenheit, dass Daten zur ethnischen Herkunft auf abscheuliche Art und Weise missbraucht wurden. Während des NS-Regimes wurden amtliche Statistiken und das Meldewesen gezielt darauf ausgerichtet, Bevölkerungsgruppen zum Zweck ihrer Vernichtung zu identifizieren und zu selektieren. Deshalb lehnt der Zentralrat Deutscher Sinti und Roma eine Erfassung ethnischer Daten bis heute grundsätzlich ab. Mit Blick auf das beängstigende Revival rechten Gedankenguts und rechter Parteien darf man die Sorge der Sinti und Roma nicht als übertrieben abtun. Die Demokratie ist ein fragiles Gebilde, das nur durch den Willen der Mehrheit aufrechterhalten wird. Sollten sich die Mehrheitsverhältnisse ändern und das Pendel nach rechts ausschlagen, muss sichergestellt sein, dass der Staatsapparat Daten zur ethnischen Herkunft keinesfalls einzelnen Individuen zuordnen kann.

Johanna Soll

Juristin, Jahrgang 1982, als Tochter einer Afroamerikanerin und eines weißen Deutschen in Hamburg aufgewachsen. Seit 2019 lebt sie mit doppelter Staatsbürgerschaft in Boulder, Colorado, davor war sie in München als Rechtsanwältin tätig. Kürzlich hat sie ein Fernstudium an der Freien Journalistenschule in Berlin begonnen.

Minimalinvasive Präzision

Ein weiterer Einwand, der sich gegen die Erhebung von Daten zur ethnischen Herkunft ins Feld führen ließe, ist der der Förderung der gesellschaftlichen Spaltung, wie man sie in den USA vorfindet. Die einzelnen ethnischen Gruppen leben und lieben überwiegend unter und kämpfen fast ausschließlich für sich. Dies liegt jedoch nicht an Formularen, die nach der ethnischen Herkunft fragen, sondern an der US-amerikanischen Gesellschaftsstruktur und dem Prinzip des Individualismus, wonach sich die eigene ethnische Community als einzig denkbare Erweiterung des eigenen Selbst darstellt. Solche Daten sollten hier auch nicht, wie in den USA üblich, bei Behörden, im Bildungs- und Gesundheitswesen oder in der (Straf-)Justiz erhoben werden. Eine derart inflationäre Datensammlung ist zum einen nicht geboten und könnte zum anderen zu diskriminierenden Zwecken missbraucht werden und rassistische Ressentiments noch befeuern.

Den vorgenannten Bedenken und Einwänden lässt sich begegnen, indem man bei der Erhebung von Daten zur ethnischen Herkunft mit minimalinvasiver Präzision vorgeht. Diese Daten sollten mittels der anonymen Selbstidentifizierung sowie der selbst wahrgenommenen Fremdzuschreibung und auf freiwilliger Basis erhoben werden, auch wenn dies zu Abstrichen bei der Repräsentativität der Erhebung führen kann.

Konkret umgesetzt werden könnte die Erfassung der ethnischen Herkunft beispielsweise im Rahmen des jährlich stattfindenden Mikrozensus, einer repräsentativen Mehrzweckstichprobe und mit der Befragung von etwa einem Prozent der Bevölkerung in Deutschland die größte Erhebung.

Afrozensus als erster Schritt

Eine Blaupause für dieses Vorgehen liegt bereits vor: Die Soziologinnen Anne-Luise Baumann, Linda Supik und die Sozialpädagogin Vera Egenberger haben 2018 im Auftrag der Antidiskriminierungsstelle des Bundes eine Expertise zur „Erhebung von Antidiskriminierungsdaten in repräsentativen Wiederholungsbefragungen“ erstellt und konkrete Umsetzungsvorschläge gemacht. Eine Erhebung von Daten zur ethnischen Herkunft im Rahmen des Mikrozensus scheint ein gangbarer Weg zu sein. Sehr wichtig, so betonen die Expertinnen, wäre dabei die frühzeitige Einbindung von Interessenvertretungen der von Rassismus betroffenen Gruppen schon bei der Konzeption der Fragen, um die nötige Aufklärungsarbeit zu leisten und die eigenen Communitys von der Wichtigkeit der Teilnahme zu überzeugen.

Mit dem Afrozensus hat die afrodeutsche Community den ersten Schritt gemacht. Dennoch sollte es nicht ausschließlich von Rassismus betroffenen Gruppen überlassen werden, entsprechende Daten zu erheben. Denn dann besteht die Gefahr, dass aufgrund einer zu geringen Zahl von Befragten und uneinheitlicher Methoden die Aussagekraft dieser Studien infrage gestellt und sie von Entscheidungsträgern unzureichend beachtet werden.

Interessant wird, ob und wie sich Horst Seehofer diesem Thema widmen wird.

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5 Kommentare

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  • Rassisten erkennt man sofort daran, dass sie fest an die Existenz menschlicher Rassen glauben. Derartiges gibt es jedoch erwiesenermaßen gar nicht. Es gibt allerdings Bevölkerungsgruppen, die entweder weitgehend ähnliche Merkmale aufweisen und/oder sich von ihrem eigenen Selbstverständnis als zusammengehörig begreifen. Hier spricht man meist von Ethnien und meint damit soziale Gruppen. Deutsch-Amerikaner etwa sind eine soziale Gruppe von Menschen die selbst, bzw. deren Vorfahren aus dem deutschsprachigen Raum in die USA eingewandert sind. Das ist nicht etwa eine genetisch irgendwie homogene Gruppe, sondern eine Art Schicksalsgemeinschaft mit sehr ähnlicher Vergangenheit. Die Frage, ob nun eine bestimmte soziale Gruppe gegenüber einer anderen diskriminiert wird, lässt sich immer nur auf der Ebene sozialer Parameter beantworten. Jede statistische Erhebung in Richtung ethnischer Kriterien nimmt doch immer schon ethnische Gründe als ursächlich gegeben vorweg und lenkt damit nur ab vom sozialen Hier und Jetzt.



    Wie der Zentralrat deutscher Sinti und Roma halte auch ich deshalb die grundsätzliche Ablehnung einer Erfassung ethnischer Daten mehr denn je für sehr begründet, gut nachvollziehbar und richtig.

  • Bitte, bitte nicht; das ist der Anfang von etwas unsäglichem. Welche Kategorien will ich denn wissen. Ich will nicht, dass meine Bräunung irgend etwas über mich aussagt. Der Zentralrat der Sinti und Roma hat vollkommen recht, sich all dem zu verweigern.

  • Die Erhebung solcher Daten ist sinnvoll – wenn es state-of-the-art durchgeführt wird. Weil anekdotische Erzählungen nicht repräsentativ sind: sich subjektiv diskriminiert fühlen, mag fälschlicherweise als ‘rassistische’ Diskriminierung wahrgenommen werden, und z.B. mehr mit ‘Klasse’ zu tun haben. Auch kann die individuelle Wahrnehmung psychologisch und ideologisch verzerrt sein. ‘Confirmation bias’ kommt oft ins Spiel. Deshalb sind trennscharfe state-of-the-art Erhebungen notwendig.

    Ein Blick auf den weiteren Kontext:

    Die Autorin mag bedenken, daß der Grad der Abschottung ethnischer Gruppen in Deutschland (noch) nicht so hoch sein dürfte, wie in den USA. Auch ist der Individualismus in Deutschland weniger stark ausgeprägt, gemeinschaftliche Einstellungen hingegen stärker. Daß also eine Steigerung der Spaltung denkbar ist. - Der Umgang mit Kategorien wie ‘Ethnie’ erfordert also große Sensibilität.

    Selbst wenn ‘die eigene ethnische Community ‘als einzig denkbare Erweiterung des eigenen Selbst’ wahrgenommen wird, so stellt sich die Frage, wie wir – theoretisch und praktisch-politisch - damit umgehen.

    Über Jahrhunderttausende haben die Menschen sich (fast) ausschließlich mit ihren Familien und Clans identifiziert. Ihnen galt ihre Loyalität. Sie waren reziprok aufeinander verwiesen – Innen und Außen waren strikt getrennt, Sympathie und Empathie galten nur für die In-Group, ‘die Anderen’ wurden oft dämonisiert und blutig bekämpft.

    Alle Menschen sind immer in Gefahr, in diesen ‘Naturzustand’ zurückzufallen. Alle Politik, die mit Gruppenidentitäten arbeitet, sollte sich der großen Gefahren einer Retribalisierung der Gesellschaft bewußt sein. Zusammenschluß und Interessenvertretung von (ethnischen) Gruppen kann durchaus gut und notwendig sein - die entscheidende Frage ist jedoch, in welcher Perspektive, in welchem Geist das geschieht: ‘Wir zusammen für Gleichheit’ oder ‘Wir zusammen gegen die anderen’. Allein die Dosis macht das Gift.

  • Das ethnische Gruppen am Anfang unter sich leben, dürfte der Fremdheit geschuldet sein. Es kommt aber darauf an wie sich die Sache dann entwickelt und dafür wird Wissen über die Herkunft hilfreich sein. Nehmen wird die Entwicklung der immer öfter zu sehenden reinen Herrenfriseursalons. Hier wird die errungene Gleichheit der Geschlechter auf subtilen Pfaden wieder zurückgedreht. Jetzt kann natürlich argumentiert werden, dass dies eine freie Entscheidung des Unternehmers sein muss. Wenn dann aber ein Unternehmer keine Frau mit Kopftuch einstellen will, ist er sofort ein Rechter.



    Darüber möchte ich reden ohne ein Rassist genannt zu werden. Wenn wir immer und überall Rassismus vermuten, vor allem in der Wissenschaft, werden das auch keine angenehmen Zeiten.



    Wir müssen die anprangern, die nicht ohne Schaum vorm Mund solche Dinge besprechen können. Darüber reden müssen wir schon.



    Da einen Mittelweg zu finden scheint unser größtes Problem zu sein.

  • ein Argument dafür und mehrere dagegen



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