NS-Verbrechen und rechte Gewalt: Rassismusbekämpfentheater
Horst Seehofers Bekenntnis zum Kampf gegen Rassismus und Faschismus ist reichlich halbherzig. Dabei wäre eine konsequente Haltung notwendig.
Was geht in den Menschen vor, wenn Menschen anderen Menschen das Menschsein absprechen?“ Das ist so ein Satz von Esther Bejarano. Eine ihrer klaren, schlichten Antworten auf die Frage, was Faschismus genau ist. Esther Bejarano hat erlebt, was Faschismus ist.
Bejarano hat Auschwitz überlebt. Sie hat überlebt, dass Nazis ihr musikalisches Talent missbrauchten: Im Mädchenorchester musste sie spielen, als Gefangene in den Tod geschickt wurden. Als wäre das Töten eine Inszenierung. Sie hat den Tag der Befreiung als ihre zweite Geburt erlebt. Das Talent, das sie in den Lagern entdeckt und das ihr das Leben gerettet hat, nutzt sie heute, um mit jüngeren Menschen eine Verbindung zu suchen. Sie rappt. Sie will, dass man „schunkelt“ zu ihren Liedern. „Nach Auschwitz wollte ich mich an den Nazis rächen. Das habe ich natürlich nicht getan. Oder doch. So lange über das Grauen der Faschisten reden zu dürfen, das ist meine Rache“, sagt sie heute. Ihre Rache besteht auch darin, das Leben zu lieben. Und es mit anderen zu feiern.
Wer eine Stunde mit der bald sechsundneunzigjährigen Frau spricht, ihren Kampf gegen Rassismus und Faschismus erlebt, der wird das Wort Antifaschismus nie wieder infrage stellen. Ich durfte sie diese Woche kennenlernen bei der Verleihung des diesjährigen Hermann-Maas-Preises in Heidelberg. Ich war Teil der Jury, ich bin daher insofern befangen, als ich die Arbeit dieser Frau und ihre Kraft bewundere. Sie ist eine der letzten Zeitzeuginnen. Wenn wir als Gesellschaft das Glück haben, wird sie noch einige Jahre bei uns sein, denn ihr Ziel, so sagt sie im Gespräch, sei weiterzukämpfen, „bis es keine Nazis“ mehr gibt. Ein wenig utopisch, sagt sie.
In Deutschland, dem Land, in dem der Faschismus Menschen auf grausame Weise ermordet hat, in dem während der Naziherrschaft Bürokratie zum Synonym für eiskaltes Morden wurde, sollte so ein Ziel nicht so utopisch sein. Es sollte das Ziel eines jeden Demokraten in diesem Land sein. So steht es in der deutschen Verfassung. Doch die Regierung, so Bejarano, tue nicht genug gegen Rassismus und Faschismus. Im Gegenteil, sie bekämpfe etwa den Verein, dessen Ehrenvorsitzende sie sei: die Vereinigung der Verfolgten des Nazi-Regimes (VVN-BdA). Dem Verein wurde letztes Jahr die Gemeinnützigkeit aberkannt. Bejarano schrieb damals einen offenen Brief an den Finanzminister und heutigen SPD-Kanzlerkandidaten Olaf Scholz: „Das Haus brennt – und sie sperren die Feuerwehr aus.“
Vereinigung der Überlebenden
Es ist ein Verein, den die Überlebenden von Konzentrationslagern gegründet haben. Der bayerische Verfassungsschutz soll maßgeblich daran beteiligt sein, dass das Bundesamt für Verfassungsschutz die Organisation als „extremistisch“ aufführt. Steuernachzahlungen im fünfstelligen Bereich werden gefordert. Mitarbeiter in Finanzministerien wissen erfahrungsgemäß, wie man zivilgesellschaftliche Organisationen in die Knie zwingt oder stärkt. Zu Recht lässt Bejarano im Gespräch die Frage im Raum stehen, wie sich so viele rechtsextreme Netzwerke und Strukturen halten können. Die Regierung tut nicht genug, sagt sie.
Für eine Überlebende ist der Kampf gegen Rassismus naturgemäß nie genug. Diese Kompromisslosigkeit der Zeitzeug:innen ist auch ein Grund dafür, dass die Bundesrepublik heute eine der stabilsten Demokratien weltweit ist. Hier konnte man von Überlebenden lernen: Demokratien stehen nie von selbst, sie stehen nur, wenn die Bevölkerung klug über die Herrschenden wacht. Zeitzeug:innen wie Bejarano gehen von uns. Doch sind wir, die nächsten Generationen, mit genug Wissen und Sensoren ausgestattet, um diesen Kampf fortzusetzen? Wer keine eigene Erfahrung mit Faschismus hat, dessen Haut ist vermutlich etwas dicker, oder es wird gern vorgeworfen, seine Humanität sei nur Pose. Schreiten wir früh und laut genug ein, wenn es darum geht, antidemokratische Strukturen zu bekämpfen?
Die Bundesregierung verkündet auf ihrer Homepage stolz, dass sie nun einen „Kabinettausschuss zur Bekämpfung von Rechtsextremismus und Rassismus“ unter dem Vorsitz der Bundeskanzlerin habe. Diese Woche hatte die Regierung Gelegenheit, unter Beweis zu stellen, wie ernst sie es mit dem Kampf gegen Rechtsextremismus meint. Von Rassismus Betroffene verlangen nicht erst seit Hanau und Halle eine Rassismus-Studie bei der Polizei. Die Koalition macht aus solchen zivilgesellschaftlichen Forderungen gerne Kompromisse, wie gerade geschehen. Dieser ist jedoch besonders perfide.
Rassismusstudie bei der Polizei
Der Autor Max Czollek fasst das Perfide an diesem „Kompromiss“ auf seinem Twitter-Account kurz zusammen: „Die Studie, die wir bekommen = Welche Erfahrungen von Hass & Gewalt machen Polizisten eigentlich? OB IHR UNS VERARSCHEN WOLLT, HABE ICH GEFRAGT?!“ Die Frage in GROSSSBUCHSTABEN ist berechtigt. Damit Horst Seehofers Handschrift bei dem Kompromiss gut erkennbar ist, sollen die Geheimdienste zugleich mehr Überwachungsbefugnisse bekommen. Im Zweifelsfall werden somit Minderheiten über ihren „Hass auf die Polizei“ ausgespäht. Die Bundesregierung inszeniert Anti-Rassismus-Arbeit. Was sie eigentlich tut: Sie instrumentalisiert den Wunsch der von Rassismus Betroffenen, um den Geheimdiensten mehr Eingriffe ins Private zu ermöglichen.
„Alle Menschen müssen wissen, dass es auf sie ankommt. Jeder Einzelne zählt“, sagt Ester Bejarano. Jeder Einzelne müsse immer, wenn er mit Rassismus oder Faschismus konfrontiert sei, die Stimme erheben. Eine Bundesregierung, die sich den Kampf gegen Rassismus auf die Fahnen schreibt, sich aber windet und drückt, wenn es um entschlossenes Handeln geht, hat solche Zeitzeuginnen wie Bejarano nicht verdient. Gern benutzt man sie, um zu zeigen, wie vorbildlich Deutschland den Nationalsozialismus aufgearbeitet habe.
Doch man verhöhnt die Überlebenden, wenn man im Hier und Jetzt nicht entschlossen gegen Rassismus vorgeht und dabei auch noch so tut, als ob.
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