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Räumung der Habersaathstraße in BerlinOhne Vorwarnung auf die Straße geworfen

Seit Jahren wehren sich die Be­woh­ne­r:in­nen der Habersaathstraße gegen den Abriss. Am Montagmorgen räumte die Polizei überraschend zwölf Wohnungen.

Einsatz in der Habersaathstraße am frühen Montagmorgen Foto: Sven Kaeuler/dpa
Jonas Wahmkow

Von

Jonas Wahmkow aus Berlin

Alles, was Silke Brey von ihrer Wohnung in Berlin-Mitte noch bleibt, ist ein Einkaufswagen mit ihren Habseligkeiten. „Das Wichtigste ist die Katze, ich hoffe, dass ich ansonsten an alles gedacht habe“, sagt Brey. Sie habe noch geschlafen, als die Polizei mitsamt Gerichtsvollzieher frühmorgens an ihrer Tür klopfte; lediglich eine Viertelstunde habe sie gehabt, ihre Sachen zu packen und die Wohnung zu verlassen. Der Rest soll vernichtet werden.

Das Haus in der Habersaathstraße 48, in dem Brey bis heute Morgen gewohnt hat, ist ein umkämpftes Spekulationsobjekt. Der Eigentümer will dort Luxuswohnungen errichten, doch die verbleibenden Mie­te­r:in­nen verhinderten bislang trotz rabiater Entmietungsversuche einen Abriss des sich über die Aufgänge 42-48 erstreckenden Plattenbaukomplexes. 2021 besetzen Ak­ti­vis­t:in­nen und wohnungslose Menschen 30 der leerstehenden Wohnungen. Am Montagmorgen räumte die Berliner Polizei einen Teil davon.

Um 5.30 Uhr rückte ein Großaufgebot von 150 Beamten an und sperrte die Straße. „Wir folgen einem Amtshilfegesuch des Gerichtsvollziehers“, erklärte ein Polizeisprecher. Es gehe um zwölf Wohnungen im Aufgang der Habersaathstraße 48. Man habe zwei Be­woh­ne­r:in­nen angetroffen, die ihre Wohnungen freiwillig verlassen hätten – Silke Brey und ihren Partner.

Brey betont allerdings, sie sei von der Räumung überrascht worden. „Post ist keine gekommen“, sagt sie. Sie hätten erst durch das Klopfen der Polizei erfahren, dass sie geräumt werden sollen. Da die ehemals obdachlosen Be­woh­ne­r:in­nen nicht polizeilich gemeldet sind, konnte ihnen auch keine Post zugestellt werden.

Einspruch unmöglich

Auch Daniel Diekmann, einer der letzten Mie­te­r:in­nen der Habersaathstraße, hat erst durch Zufall am Freitag durch einen Aushang am Amtsgericht von der Räumung erfahren. „Da wurde niemand informiert“, sagt Diekmann.

In der Folge konnten aber zumindest weitere Betroffene gewarnt werden. Bis auf Brey und ihrem Partner hatten die restlichen Be­woh­ne­r:in­nen ohne Mietvertrag das Haus schon am Sonntagabend verlassen. „Eine Zwangsräumung ist die schlimmste Art, die Wohnung zu verlieren“, betont Diekman. Viele der Menschen, die hier wohnten, hätten Gewalt erlebt.

Zudem schafften es die Unterstützer:innen, eine Protestaktion am Montagmorgen zu organisieren. Rund 70 Menschen versammelten sich in der Frühe am Haus, die Polizei verbannte die Kundgebung allerdings rund 100 Meter weiter auf einen Gehweg.

Zeit, rechtliche Schritte gegen die Räumungstitel einzulegen, blieb hingegen nicht. Als der Gerichtsvollzieher um 7 Uhr anrückte, hatte das Gericht noch nicht geöffnet. Auch Anwälte, die zur Unterstützung der Betroffenen vor Ort waren, hatten kaum Zeit, mit ihnen zu sprechen und sie über ihre Rechte aufzuklären. Am Montag verweigerte die Polizei den Anwälten immer wieder den Zugang zum Gebäude.

Zudem gab es im Vorfeld keine Angebote für die Bewohner:innen, wo sie nach ihrer Räumung bei nächtlichen Temperaturen um den Gefrierpunkt unterkommen sollen.

Ungewöhnliches Vorgehen

Auch das Bezirksamt habe erst am Wochenende durch die Mobilisierung zum Gegenprotest von der geplanten Räumung erfahren, sagte der Sozialstadtrat von Mitte, Carsten Spallek (CDU), vor Ort. Der Bezirk biete den Betroffenen jetzt eine ordnungsrechtliche Unterbringung in Wohnheimen an. „Jede Person wird ein Angebot bekommen“, erklärte Spallek. Dafür müssten die Betroffenen sich im Rathaus in der Müllerstraße beim Bezirksamt melden.

Doch Silke Brey und ihr Partner sind sich noch nicht sicher, ob sie das Angebot des Bezirks für eine Unterbringung annehmen werden. „Wohnheim ist total ätzend, außerdem ist es mit Tieren schwierig“. Die Katze würde sie nie zurücklassen. „Wenn es nicht klappt, gehen wir wieder auf die Straße“, sagt Brey.

Während die Räumung des Aufgangs mit der Nummer 48 ohne Widerstand ablief, wurde aus dem benachbarten Aufgang 46, der ein linksautonomes Wohnprojekt beherbergt, Pyrotechnik auf die Polizei geworfen. Durch Schilde gesichert brachen die Beamten die Sicherheitstür auf und stellen die Personalien zweier Personen im Hausflur fest. Eine Räumung des Aufgangs erfolgte allerdings nicht.

Rabiate Entmietung

Dennoch scheint es nur eine Frage der Zeit, bis der Eigentümer Andreas Pichotta weitere Räumungstitel erwirkt. Eine Sprecherin des Landgerichts bestätigt der taz auf Anfrage, dass es „weitere laufende Verfahren für das Objekt Habersaathstraße“ gebe.

Zu den Gründen, warum weder der Bezirk noch die Be­woh­ne­r:in­nen informiert wurden, konnte sich die Sprecherin mit Hinweis auf den Schutz der Privatsphäre der Beteiligten nicht äußern. Generell würden aber Betroffene und das Bezirksamt mindestens drei Wochen im Voraus informiert.

Als „sozialpolitischen Skandal“ bezeichnet die mietenpolitische Sprecherin der Grünen Katrin Schmidberger die Räumung. „Es ist ein politisches Armutszeugnis, dass die Polizei hier Amtshilfe leisten muss, während der Eigentümer selbst seinen Pflichten nicht nachkommt.“

Der Eigentümer Andreas Pichotta, Geschäftsführer der Arcadia Estates, war erst in der vergangenen Woche mit der Ankündigung in die Medien geraten, die Fernwärmeversorgung für das gesamte Haus ab 1. November einstellen zu wollen. Dabei haben zumindest die restlichen fünf Mietparteien einen rechtlichen Anspruch auf Fernwärme.

Bezirk droht

Der Schritt rief auch die Wohnungsaufsicht auf den Plan. Mittes Baustadtrat Ephraim Gothe (SPD) sagte am Freitag gegenüber dem Tagesspiegel, Pichotta müsse bis Mittwoch eine Lösung finden, ansonsten drohe eine „Ersatzvornahme“ durch den Bezirk, die im schlimmsten Fall auch eine Treuhänderschaft des Hauses sein könne.

Bei den Be­woh­ne­r:in­nen des Hauses ist Pichotta durch seine rabiaten Entmietungspraktiken bekannt. Im August 2023 demolierte ein Bautrupp mehrere Wohnungen und baute die Stromzähler aus. Die Be­woh­ne­r:in­nen ohne Mietvertrag haben seitdem keinen Strom, außerdem gibt es im gesamten Haus kein Warmwasser mehr.

Im November vergangenen Jahres hatte das Landgericht eine Räumungsklage gegen einen ehemals obdachlosen Bewohner mit einem Vergleich beigelegt. Der Bewohner könne bleiben, solange der letzte Mieter noch nicht ausgezogen sei, urteilte das Gericht damals.

Mieter Daniel Diekmann ist fassungslos angesichts der neuerlichen Eskalation. „Recht und Gesetz gelten in Mitte nicht für Mieter, sondern nur für Spekulanten“.

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9 Kommentare

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  • Handelte es sich um Mieter mit Mietvertrag ?, dann könnten sie sich doch wehren?

    • @Filou:

      Manche Immobilien lassen sich nicht wirtschaftlich auf die neuen Energiestandards bringen und muessen abgerissen werden. Wird die Immobilie durch einen Neubau ersetzt, kommt die Verwertungskuendigung ins Spiel. Ohne Haertefall ist man da als Mieter chancenlos.

      Nachdem sich auch beim letzten entgegen gegenteiliger Behauptungen rumgesprochen hat, dass die Einsparenungen durch eine energetische Sanierung nicht die Kosten ausgleichen, ging man dazu ueber die Moeglichkeiten der Umlegung dieser Kosten auf den Nutzniesser zu beschraenken. Dummerweise erhoehte man damit die Chancen einer erfolgreichen Verwertungskuendigung, weshalb wir bis zur Klimaneutralitaet noch oefter von solchen Faellen lesen werden.

  • Seid gewarnt vor Falschinformationen. Keiner hat gesagt, dass die restlichen Sachen der Betroffenen "vernichtet" werden. Die Polizei hat ausdrücklich gesagt, dass sobald das Objekt leersteht, noch Gutachter etc, in die Wohnungen gehen und den Wert jeglicher Sachen die offensichtlich kein Müll sind bestimmen und ihnen jegliche Sachen zur Abholung zur Verfügung stellen. Wieder mal eine extrem eninseitige Ansicht..

  • Was hat der Eigentümer eigentlich falsch gemacht. Wenn ihm dieses Haus gehört und er eine Räumung bei Gericht beantragt hat, ist dies sein gutes Recht. Denn es waren ja anscheinend zum Teil noch nicht mal seine Mieter, sonst hätten diese ja einen (kündbaren) Mietvertrag gehabt. Und wer illegal in einer Wohnung lebt, kann wohl eher nicht auf die Solidarität der Gesellschaft oder auch nur Verständnis hoffen.

    • @Oleg Fedotov:

      "Und wer illegal in einer Wohnung lebt, kann wohl eher nicht auf die Solidarität der Gesellschaft oder auch nur Verständnis hoffen

      Schon mal von der momentanen Wohnungsnot gehört, oder ist das ihnen etwa ein Fremdwort, weil sie gerade in ihrer schönen beheizten Wohnung sitzen.



      Selbst wenn sie einen gültigen Mietvertrag haben, hat das heute gar nichts mehr zu sagen, wenn sie aus Ihrer Wohnung wegen Eigenbedarf gekündigt werden und das kommt heute nicht selten vor trotz Mietvertrag, und sie dann ein halbes Jahr später ihre alte Wohnung als Kernsanierte Eigentumswohnung in viele Wohnungsportale wieder finden. Das ist doch mal was!

      Sollte Ihnen sowas passieren selbst mit einen vorhandenen rechtsgültigen Mietvertrag, dann wird auch meine Solidarität gegen null tendieren!

      Wie kann man nur so emphatielos gegenüber anderen Menschen sein, gerade in der heutigen Situation und Lage!

      • @taz.manien:

        Warum ephatilos?



        Das hat etwas mit Werten zu tun, die Leute sind Einbrecher mehr nicht. So einfach wie du das mit der Kündigung darstellst ist das auch nicht.

    • @Oleg Fedotov:

      Was er falsch gemacht hat?



      Er ist Eigentuemer einer nicht selbtgenutzten Berliner Immobilie.

      • @elektrozwerg:

        Wir (meine Frau und ich) sind auch Eigentümer einer momentan nicht genutzten Immobilie. Wegen Versetzung durch den Arbeitgeber müssen wir halt momentan 400 Kilometer entfernt zur Miete wohnen. Diese Wohnung wird aber notwendig werden, wenn unser Sohn dort eine Lehrstelle bekommt, oder einer von uns wegen Pflege/Unterstützung der Eltern kurzfristig an den Wochenenden wieder vor Ort sein müsste. Daher wird diese auch nicht vermietet. Wir müssten dann nämlich die Garantie haben, das der Mieter die Wohnung innerhalb sehr kurzer Zeit frei macht, egal welche Gründe aus dessen Sicht dagegen sprechen.

        • @Oleg Fedotov:

          Meine Antwort war auch eher auf Vermietung bezogen und wuerde bei Ihnen nur passen, wenn Sie in Ihrer Situtation vermieten wuerden. Nach Ihrer Beschreibung waere der Aerger vorprogrammiert.