piwik no script img

Rätsel der MännlichkeitVom Drang, den Penis zu zeigen

Warum wollen Männer, dass alle sehen, was sie für ihr bestes Stück halten? Unsere Autorin kommt da nicht mit.

Das öffentliche Urinieren ist in Brüssel sogar eine Sehenswürdigkeit Foto: Olivier Hoslet/dpa

E s ist Sommer, ich jogge im Park, und schon sind sie wieder da – die Penisse. Ein Mann steht auf dem Weg und pinkelt an einen Baum. Er könnte sich auch hinter den Büschen erleichtern oder sich nach einer öffentlichen Toilette umsehen, aber er steht auf dem Weg, auf dem ich gerade um die Kurve gelaufen komme, und da ich ihn von der Seite erblicke, erblicke ich auch das kleine Fitzelchen Fleisch. Ich wollte es nicht, aber es ist schon geschehen.

Jedes Jahr sehe ich unfreiwillig wenigstens zehn Penisse, freimütig, gleichgültig oder auch stolz werden sie mir dargeboten, den ersten sah ich mit sechs, das sind dann ungefähr fünfhundert unfreiwillige Penisanblicke.

Den ersten sah ich also mit sechs Jahren, wir wohnten im Wald und ich wartete an der Straße, die ebenjenen Wald durchschnitt, täglich alleine auf den Bus, um in die Schule zu fahren. Ein Mann stieg aus dem Auto und pinkelte in Sichtweite und mir zugewandt an einen Baum. Er wiederholte das in den nächsten Tagen, Wochen und Monaten. Pinkelte er nur vor Kindern oder auch vor Frauen? Gibt es pädophile Exhibitionisten?

In der Schule, in die ich von nun an ging, gab es dann bald die nächsten Penisse, die der kleinen Jungen meiner Klasse. „Willst du mal meinen Puller sehen?“, flüsterten sie mir verschwörerisch ins Ohr. Warum kleine Jungen so scharf darauf waren, ihn herzuzeigen, ich weiß es nicht.

Ich lehnte ab, aber andere Mädchen gingen mit den Jungen auf die Toilette, um ihn sich anzusehen. Waren sie neugierig? Mag sein. Wollten sie den Jungen einen Gefallen tun? Auch das kann sein. Einige Mädchen waren bereit, alles für Jungen zu tun, um ihnen zu gefallen.

Hose runter

Jedenfalls kam unsere Hortbetreuerin in einem solchen Fall dahinter und der betreffende Junge musste ihn uns zeigen, Hose runter vor der ganzen Gruppe. Wahrscheinlich hielt sie das für eine gute, pädagogische Maßnahme. Sie sagte, „Jetzt habt ihr ihn alle einmal gesehen, damit ist das hoffentlich erledigt.“

Auch dieser pädagogisch motivierten Zurschaustellung wohnte ich nicht freiwillig bei, aber ich wagte nicht, nicht hinzusehen, denn das sollten wir ja, es war Teil der Bestrafung, dass wir hinsahen, man könnte sagen, wir wurden unfreiwillig Teil sowohl seiner als auch unserer kollektiven Bestrafung.

Die meisten Penisse, die ich im Laufe meines Lebens eigentlich nicht sehen wollte, waren die von pinkelnden Männern. Nachts, nach einem Konzert oder nach der Disco standen sie überall betrunken herum, oft nur wenige Schritte von der Tür entfernt, obwohl die entsprechenden Lo­ca­tions wohl Toiletten hatten, die sie hätten benutzen können. Ich sah sie am Rande eines Volksfests nebeneinander auf die Rückwand des Toilettenwagens strullen, obwohl am Eingang zur Herrentoilette dieses Wagens keine Schlange stand wie an dem der Frauen.

Auf Spielplätzen, rund um jeden Bahnhof, in dem es Toiletten gibt, aber das spielt keine Rolle, der Mann holt ihn raus, wenn ihm so ist. Ihm ist einfach danach. Er holt ihn auch raus, einfach, um ihn zu zeigen, in der U-Bahn, auf dem Sitz schräg vor dir, zum Beispiel, er leuchtet sich selbst mit der Taschenlampe an, damit du ihn im Dunkeln auch wirklich siehst.

Wenn es sich dabei um eine Krankheit handelt, warum befällt diese Krankheit nur Männer? Das Internet hat dem Mann mit Penisstolz unglaubliche Möglichkeiten eröffnet. Ein Bild kann mehrfach, ja hundertfach verschickt werden. Hier ist er, mein Penis, ist er nicht wunderschön, ist er nicht ein Geschenk?

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Schriftstellerin
Mehr zum Thema

11 Kommentare

 / 
  • Vielen Dank für eure Beiträge, wir haben die Kommentarfunktion geschlossen.

    Die Moderation

  • Die "Interessengemeischaft deutscher Wildpiesler" hat bei ihren Mitgliedern [!] eine Umfrage gestartet warum sie sich so verhalten. 95% antworteten mit: Weil wir es können.

  • Nun, die Gleichberechtigung schreitet zwar langsam voran, aber sie macht Fortschritte: nachdem oben ohne bei Frauen inzwischen vielerorts erlaubt ist, wird auch dieses letzte Tabu sicher bald fallen...

  • Muss was Kulturelles sein.



    In den USA ist der Penis tabu.



    In Indien und anderen Ländern bringt Mann sich beim öffentlichen Urinieren in Lebensgefahr.



    Ich habe in den 40 Jahren, die ich nun in Kreuzberg leben, noch nicht ein einziges Mal einen Türken/Araber in der Öffentlichkeit urinieren sehen.

  • Vom universellen Drang, Körperteile zu zeigen .. könnte auch mal ein Forschungsprojekt sein.

  • Es schwingt für mich beim Lesen etwas mit, das sich mir zunächst als "Neid" aufdrängte. Ich kann mir aber vorstellen, dass es die gefühlte Ungerechtigkeit ist, dass Männer damit durch kommen während Frauen sich zum öffentlichen pinkeln verstecken "müssen".



    Ja, Männer können sich etwas mehr bemühen einen geschützteren Ort zu finden um sich zu erleichtern.



    Man darf aber auch wegschauen und es ignorieren.



    Ich weiß gar nicht warum ich den Artikel angeklickt habe, denn im Grunde wusste ich, was mich erwartet.

  • Vielleicht ist es was evolutionäres. Paviane posieren damit.



    Aber wo sieht man soviele, ausser bei Betrunkenen auf Festivals?

  • AUF DIE FRAGE "WAS NUN MACHEN?"



    HÖRTE ICH MAL "GANZ LAUT LACHEN!"



    /



    Obsolet erscheint uns heut,



    Was wir lasen einst bei Freud



    Über einen Penisneid,



    Es war eine andre Zeit.



    Aber manchmal ist es Leid,



    Wenn der Weg ist gar zu weit,



    Die Blase Entleerung schreit,



    Nur "Druck ablassen" befreit.



    /



    www.urologie-grona.../ueberaktive-blase

  • Was soll ich sagen, ich finde das auch sehr unangenehm. Manchmal bin ich in Versuchung, einem dieser Pinkelfritzen von hinten in den Arsch zu treten, auf dass er sich einnässe. Ich tu’s dann aber nicht.

    Ich für meinen Teil zeigen meinen Penis nur auf Verlangen und im kleinen Rahmen.

  • Wie oft man unfreiwillig Penisse sichten muss, ist sicherlich auch davon abhängig, wo man unterwegs ist. Ich lebe auch im städtischen Raum und beobachte das manchmal bei Straßenfesten oder auch mal bei Sportlern im Wald aber die Anzahl der Sichtungen hält sich aber sehr in Grenzen. Zeigegeilheit ist wohl bei den wenigsten Männern das Motiv, ich tippe eher auf starken Harndrang, Bequemlichkeit gepaart mit Ignoranz. Betrunkenheit kommt in manchen Fällen als Enthemmer auch noch dazu.