Atomkraftwerke in der Ukraine: Gefahren lange nicht gebannt
Überarbeitete Mitarbeiter, brennende Wälder, mögliche Stromausfälle: Die Lage rund um die AKW Saporischschja und Tschernobyl bleibt bedrohlich.
Das Atomkraftwerk Tschernobyl und die 30-Kilometer-Schutzzone wird derzeit von russischen Truppen kontrolliert. Nach Angaben des in Kiew ansässigen Europäischen Tschernobyl Instituts nutzten die russischen Streitkräfte das Territorium des Unglücksreaktors bereits seit fast einem Monat für militärische Zwecke, wissend, dass die ukrainischen Streitkräfte nicht auf Tschernobyl schießen werden. Gleichzeitig, so das Institut, würden die russischen Truppen regelmäßig die verstrahlten Wälder von Tschernobyl beschießen, um Waldbrände zu entfachen.
Die aktuellen Waldbrände seien allerdings in ihrer Intensität weitaus geringer als die Waldbrände von 2020, so Valeri Korschunow vom Institut. Auch die ukrainische staatliche atomare Aufsichtsbehörde ist zwar besorgt über die durch Beschuss angefachten Waldbrände, bestätigt aber auch, dass die durch diese Waldbrände leicht angestiegene Radioaktivität um das 30-Fache unter der bei den Waldbränden in April 2020 gemessenen angestiegenen Radioaktivität liege.
Gegenüber der Nachrichtenagentur Ukrinform erklärte der ukrainische Umweltminister Roman Strilez, derzeit lägen ihm keine erhöhten Radioaktivitätsmesswerte aus Tschernobyl vor. Gleichzeitig musste er jedoch auch einräumen, dass die Ukraine wegen der Besetzung des Atomkraftwerks durch russische Truppen den Zugang zum nuklearen Überwachungssystem von Tschernobyl verloren habe und man nun nur noch von einer Messstation Daten erhalte.
600 Stunden durchgearbeitet
Am Wochenende konnte endlich die Hälfte des Betriebspersonals des AKW ausgetauscht werden. Fast 600 Stunden hintereinander hatten die Mitarbeiter:innen des Kraftwerks in Tschernobyl ihren Dienst geleistet. Von den russischen Truppen war ihnen das Verlassen des Geländes verboten worden. Doch die meisten Mitarbeiter des AKW Tschernobyl leben im Städtchen Slawutitsch. Und dort gibt es derzeit keinen Strom, kein Wasser und keine geöffneten Lebensmittelgeschäfte. Weiter unklar ist auch die Lage im größten Atomkraftwerk Europas, dem AKW Saporischschja, das ebenso wie Tschernobyl von russischen Truppen besetzt ist.
Derzeit arbeiteten die beiden in Betrieb befindlichen Blöcke des AKW Saporischschja mit zwei Dritteln ihrer maximalen Kapazität von jeweils rund 1.000 Megawattstunden, nachdem in der vergangenen Woche zwei Stromleitungen repariert worden waren, berichtet die Internationale Atomenergiebehörde IAEA unter Berufung auf die ukrainische Aufsichtsbehörde. Auch die Sicherheitssysteme des Kraftwerks, so die IAEA, seien voll intakt.
Etwas weniger optimistisch klingen hingegen die Aussagen eines Mitarbeiters des AKW Saporoschschja, der, ohne seinen Namen zu nennen, in einem Interview mit der oppositionellen belarussischen Plattform Euroradio.fm seine Sicht der Situation schildert. Im Atomkraftwerk Saporischschja könnte es aufgrund von Stromausfällen zu einer nuklearen Katastrophe kommen, fürchtet er. Jederzeit könne es passieren, dass das Kraftwerk keinen Strom mehr bekomme, und das sei eine ernsthafte Gefahr.
Damit der Reaktor in einem sicheren Zustand ist, müsse er ständig gekühlt werden, ob er nun in Betrieb ist oder nicht. Also benötige man Wasser zur Kühlung. Dafür brauche man Strom. Wenn man den nicht habe, werde es große Probleme geben. Da helfe es auch nicht, so der Mitarbeiter, dass sowohl Reaktor als auch am Reaktor angesiedelte Atommülllager bisher unbeschadet die Kämpfe überlebt hätten.
Ein weiteres Problem, so dieser Mitarbeiter, seien instabile Internetverbindungen und der Umstand, dass sich die Internationale Atomenergiebehörde IAEA aus dieser Problematik weitgehend zurückgezogen habe. Dort heiße es nur immer wieder, man inspiziere alle ukrainischen AKWs.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Umfrage zu Sicherheitsgefühl
Das Problem mit den Gefühlen
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
„Freiheit“ von Angela Merkel
Die Macht hatte ihren Preis
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!
Berliner Sparliste
Erhöht doch die Einnahmen!