Racial Profiling in Deutschland: Auf der Suche nach „Nordafrikanern“
Kleine Anfrage der Grünen: Gegen wen ist die Polizei an Silvester in Köln tatsächlich vorgegangen? Die Antwort wirft weitere Fragen auf.
Noch Mitte Februar hatte die Regierung in ihrer Antwort auf eine Kleine Anfrage der Linksfraktion mitgeteilt, die Bundespolizei habe am und im Kölner Hauptbahnhof „etwa 2.000 an- und abreisende nordafrikanische Männer festgestellt“. Diese Behauptung taucht in der Antwort auf die Grünen-Anfrage nun nicht mehr auf. Das könnte daran liegen, dass sie nicht zu belegen ist.
Dafür sprechen die Angaben, die das Innenministerium auf die Frage macht, wie viele Personen von individuellen Maßnahmen der Bundespolizei betroffen waren. Demnach ging sie gegen insgesamt 1.288 Menschen präventiv vor. Darunter befinden sich 951 Platzverweise, bei denen es allerdings bis auf ganz wenige Ausnahmen keine Identitätsfeststellungen gab.
Weiter gab es 311 Identitätsfeststellungen und 21 Durchsuchungen, bei denen die Staatsangehörigkeit der Betroffenen nicht dokumentiert worden ist. Außerdem gab es noch vier Ingewahrsamnahmen, die jedoch sämtlich afghanische Staatsbürger betrafen, sowie eine Aufenthaltsermittlung, bei der es um einen Deutschen ging.
Volker Beck, Grüne
Acht Straftaten wurden in der Silvesternacht bei der Bundespolizei angezeigt. Darunter findet sich ein Fall von sexueller Belästigung, bei der ein Westafrikaner als Tatverdächtiger gilt. Ansonsten reicht die Palette der angezeigten Delikte von Beleidigung (Deutscher) über Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte (Deutscher) bis zum Verstoß gegen das Waffengesetz (Deutscher). Unter den insgesamt 24 Tatverdächtigen befinden sich 4 Nordafrikaner. Bei 13 Personen wird als Staatsangehörigkeit „unbekannt“ angegeben.
Das Agieren der Polizei war von Menschenrechtsorganisationen scharf kritisiert worden. Es habe sich „um einen eindeutigen Fall von Racial Profiling“ gehandelt, konstatierte Amnesty International. Die Humanistische Union forderte „eine lückenlose Aufklärung des Polizeieinsatzes in der Kölner Silvesternacht“. Erstaunlich: Laut Bundesinnenministerium sind solche Stellungnahmen „der Bundesregierung nicht bekannt“.
Der grüne Abgeordnete Volker Beck kann das nicht nachvollziehen. „Das zeugt nicht davon, dass man sich mit der Problematik ernsthaft auseinandergesetzt hat“, sagt Beck der taz. „Dabei ist Fehlerkorrektur essenziell für eine demokratische und effiziente Polizeiarbeit.“ Gefahrenabwehr könne „nicht bedeuten, dass Hunderte anlasslos polizeilichen Maßnahmen unterworfen werden, weil sie anders aussehen als die Mehrheit“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind