Racial Profiling in Berlin: Alexanderplatz abschaffen
Die Polizei darf an „kriminalitätsbelasteten Orten“ verdachtsunabhängig kontrollieren. Ein Rechtsgutachten hält das für unrechtmäßig.
In Berlin darf die Polizei an selbst definierten „kriminalitätsbelasteten Orten“ wie Alexanderplatz, Kottbusser Damm oder Görlitzer Park bisher anlasslos und verdachtsunabhängig Personen kontrollieren. Die Regelung zieht aus Sicht des Bündnisses zwangsläufig Racial Profiling, also rassistische Polizeiarbeit, nach sich.
Im Koalitionsvertrag hat Rot-Rot-Grün zwar vereinbart, rassistische Kontrollen einzudämmen und bestimmte Paragrafen zu streichen – passiert ist seither allerdings noch nichts. Die Grünen sind gegen verdachtsunabhängige Kontrollen und haben kürzlich vorgeschlagen, eine Art Ticketsystem einzuführen, mit dem Betroffene übermäßige Kontrollen nachweisen können sollen. Die Linke ist sogar ganz für die Abschaffung der Sonderrechtszonen und bemängelt, dass entsprechende Forderungen der SPD in Verhandlungen um das neue Polizeigesetz gebremst würden. Die SPD sprach sich gegenüber der taz allerdings für die Beibehaltung der verdachtsunabhängigen Polizeibefugnisse an „kriminalitätsbelasteten Orten“ aus.
Unterdessen „berichten Schwarze und Menschen mit Migrationshintergrund von häufigen Kontrollen an diesen Orten aufgrund rassistischer Zuschreiben“, sagt Biplab Basu von der Kampagne für Opfer rassistischer Polizeigewalt. Man habe das Gutachten beauftragt, weil es noch immer weder Dokumentation von Identitätsfeststellungen noch einen Klageweg gegen Racial Profiling gebe. Finanziert hat das Gutachten die sich als ethisches Unternehmen vermarktende Kosmetikfirma Lush.
Rassismus gesetzlich festgeschrieben
Die Knackpunkte liegen laut Gutachten im Paragraf 21 des Berliner Polizeigesetzes (ASOG). Problematisch, so Rechtsanwältin Maren Burkhardt und Rechtswissenschaftler Cengiz Barskanmaz vom Max-Planck-Institut, seien insbesondere eine intransparente Definition der „kriminalitätsbelasteten Orte“ und dass die Polizei laut ASOG dafür auch aufenthaltsrechtliche Kriterien heranziehen könne – damit seien Kontrollen anhand äußerlicher Merkmale gesetzlich festgeschrieben.
„Die anlasslose Kontrolle ist ein juristischer Fremdkörper, deren faktischer Nutzen wenig erwiesen ist“, sagt Burkhardt, die angibt, als im Strafrecht tätige Rechtsanwältin sehr häufig mit Racial Profiling in Kontakt gekommen zu sein. Nur wenige Betroffene gingen gegen konkrete Maßnahmen vor, weil anlasslose Kontrollen nicht dokumentiert würden und Racial Profiling häufig vor Gericht schwer beweisbar sei – zumal der Rechtsweg teuer sei.
Besonders problematisch ist aus ihrer Sicht, dass Betroffene von Racial Profiling nicht grundsätzlich gegen eine Einstufung von kriminalitätsbelasteten Orten klagen können. Die Sonderrechtszonen der Polizei verstießen somit gegen das verfassungsrechtliche Gebot des Gesetzesvorbehalts. Zwar wurden verdachtsunabhängige Kontrollen in Polizeigesetzen seit Anfang der 90er Jahre länderübergreifend eingeführt und sind anerkannt, dennoch sei juristisch völlig unklar, wer eigentlich zum Ausweisen einer solchen bürgerrechtsfreien Zone befugt sei. Die Ausweisung dieser Zonen sei ein intransparentes und rein internes polizeibehördliches Verfahren, so Burkhardt.
GdP: Berliner Polizei betreibt kein Racial Profiling
Tatsächlich definiert die Polizei sich ihre Sonderrechtszonen selbst. Die zuständige Direktion bewertet die Lage im eigenen Verantwortungsbereich, bevor sie mit LKA, Justitiariat und der Polizeipräsidentin eine Entscheidung über eine Einstufung trifft. „Viele schwere Straftaten“ sind laut Polizei dafür maßgeblich, wobei die Grenzen sich an der aktuellen Kriminalitätslage ausrichteten. „Kriminalitäsbelastete Orte“ könnten zudem „bei Bedarf“ vergrößert oder auch verkleinert werden.
Aus Sicht des Rechtswissenschaftlers Cengiz Barskanmaz verstößt das Berliner Polizeigesetz zudem gegen das grundgesetzlich festgeschriebene Diskriminierungsverbot. Besonders deutlich werde dies, weil die Polizei explizit jene Plätze zu kriminalitätsbelasteten Orten machen kann, wo es den Verdacht gebe, dass „sich dort Personen treffen, die gegen aufenthaltsrechtliche Strafvorschriften verstoßen“ (ASOG). Dies wiederum machten Polizist*innen am Aussehen fest. Das habe eine stigmatisierende Wirkung, so Barskanmaz. Entsprechend würden hauptsächlich Nichtweiße kontrolliert – entgegen etwa der Behauptung der Gewerkschaft der Polizei (GdP), dass die Polizei Racial Profiling in Berlin nicht betreibe, hält der Grünen-nahe Lobby-Verein Polizei Grün vor allem den Aufenthaltsrechts-Passus für „einen Freibrief für Racial Profiling“.
Während die generelle Abschaffung von kriminalitätsbelasteten Orten derzeit unwahrscheinlich ist, dürfte letzterer Passus in Kürze abgeschafft werden. Zumindest das ist wohl in den Verhandlungen um das neue Polizeigesetz unstrittig.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Tabubruch der CDU
Einst eine Partei mit Werten
Mitarbeiter des Monats
Wenn’s gut werden muss
Erpressungs-Diplomatie
Wenn der Golf von Mexiko von der Landkarte verschwindet
Social-Media-Star im Bundestagswahlkampf
Wie ein Phoenix aus der roten Asche
80 Jahre nach der Bombardierung
Neonazidemo läuft durch Dresden
Zwei Todesopfer nach Anschlag in München
Schwer verletzte Mutter und Kind gestorben